Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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Un­wil­len. Als wir nun ei­nes Ta­ges mit un­se­ren Tar­la­tan­hü­ten und den schwes­ter­lich glei­chen grün und weiß ge­streif­ten Wasch­kleid­chen zu­sam­men aus­gin­gen und uns da­bei sehr nied­lich vor­ka­men, brach eine Rot­te Schul­jun­gen, die eben den Schul­berg her­ab­ka­men, heu­lend und Stei­ne wer­fend auf uns ein, dass wir die Pfleg­hof­gas­se hin­auf uns in einen Bäcker­la­den flüch­te­ten, der schnell ge­schlos­sen wer­den muss­te. Die Gas­sen­ju­gend bom­bar­dier­te die Tür mit wü­ten­den Stein­wür­fen, und wir wur­den wohl eine Vier­tel­stun­de lang von der wohl­wol­len­den Bäckers­frau in den hin­ters­ten Räu­men ver­steckt ge­hal­ten, ehe wir uns wie­der hin­aus­trau­en durf­ten. Von da an gin­gen wir nur noch un­ter männ­li­chem Schutz in un­se­ren Tar­la­tan­hüt­chen aus, bis die Töch­ter Phi­li­stä­as an­fin­gen, sie nach­zu­ma­chen und die Mode sich ver­brei­te­te.

      Auch Hed­wig Wil­hel­mi wet­ter­leuch­te­te wie­der durch mein Le­ben. Sie ent­zück­te als maîtr de plai­sir, in­dem sie Aus­flü­ge und an­de­re Lust­bar­kei­ten ver­an­stal­te­te, wo­bei sie sel­ber auch auf ihre Rech­nung kam, denn wäh­rend die Ju­gend tanz­te und toll­te, ge­sell­ten sich die äl­te­ren Stu­den­ten zu der rei­fen, fes­seln­den Frau, um mit ihr zu rau­chen und sich im Wort­ge­fecht, das ihr Be­dürf­nis war, zu üben. Es ging nach da­ma­li­gem Brauch bei sol­chen Aus­flü­gen sehr ge­nüg­sam zu: eine Sau­er­milch oder ein Glas Bier, bei Tanz­ver­gnü­gun­gen ein Stück Ku­chen war al­les, was man sich leis­te­te; die Wirts­häu­ser wa­ren auf mehr kaum ein­ge­rich­tet. Dann setz­te man sich auf dem Heim­weg Glüh­würm­chen ins Haar, und mit die­ser fan­tas­tisch leuch­ten­den Kro­ne wan­der­te man sin­gend durch den Wald nach Hau­se. Die wil­den jün­ge­ren Brü­der be­tru­gen sich, wenn sie da­bei sein durf­ten, ta­del­los. Nur dass Er­win ge­le­gent­lich ge­gen eine ver­bo­te­ne Zi­gar­re ir­gend­ei­nem an­schluss­be­dürf­ti­gen Stu­den­ten un­ser ge­heim­ge­hal­te­nes Aus­flugs­ziel ver­riet, da­her wir nie be­grif­fen, wes­halb ge­wis­se Ge­sich­ter so häu­fig da auf­tauch­ten, wo man sich ih­rer nicht ver­se­hen konn­te. Al­fred, noch im­mer un­ver­söhnt mit dem weib­li­chen Ge­schlecht, moch­te sich’s doch nicht ganz ver­sa­gen, da­bei zu sein. Er folg­te meist auf zwan­zig Schritt Ent­fer­nung durch die Stra­ßen, und war so ge­zwun­gen al­les ein­zu­sam­meln, was Phi­li­stäa ge­gen die bei­den Tar­la­tan­hü­te, ge­gen Hed­wigs Zi­gar­re oder Ma­mas nach­läs­si­gen An­zug ein­zu­wen­den hat­te. Das warf er uns dann al­les beim Nach­hau­se­kom­men mit tri­um­phie­ren­dem In­grimm an den Kopf.

      Spä­ter­hin brach­te Hed­wig ihre Ber­ta mit, die eine rich­ti­ge süd­li­che Schön­heit zu wer­den ver­sprach. Die Klei­ne, die seit den Win­deln an ge­sell­schaft­li­ches Le­ben ge­wöhnt und an Welt­kennt­nis uns al­len über­le­gen war, bil­de­te mit Lili und mir ein un­zer­trenn­li­ches Klee­blatt. Sie weih­te uns in die Re­geln des Stier­ge­fechts ein, und mir brach­te sie ein­mal nebst an­de­ren Er­zeug­nis­sen Spa­ni­ens einen wun­der­ba­ren grün­sei­de­nen Fä­cher mit, auf des­sen El­fen­bein­stäb­chen die Bild­nis­se der be­rühm­tes­ten Stier­kämp­fer ge­malt wa­ren. Sie nann­te alle mit Na­men und er­zähl­te von ih­ren ga­lan­ten Be­zie­hun­gen zu der vor­neh­men Da­men­welt von Ma­drid und Gra­na­da. Wir drei Mäd­chen schlos­sen uns im Zim­mer ein um mit Kas­ta­gnet­ten Fan­dan­go zu tan­zen, und die Brü­der hat­ten das Zu­se­hen – aber nur durchs Schlüs­sel­loch!

      *

      Wäh­rend die Aus­bil­dung der Brü­der völ­lig plan­mä­ßig vor sich ging, wur­de die mei­ni­ge durch je­den Luft­zug da­hin oder dort­hin ge­weht. Im Gast­hof zur Trau­be wohn­te da­mals eine rus­si­sche Dame, Frau Dan­jew­sky aus Kiew, die sich ih­rer bei­den Söh­ne we­gen in der Uni­ver­si­täts­stadt auf­hielt. Sie sah mich ei­nes Ta­ges über die Stra­ße ge­hen, fand, dass ich auf­fal­lend ih­rem im glei­chen Al­ter ver­stor­be­nen Töch­ter­chen gli­che, und ließ mir sa­gen, dass sie mich gern ken­nen möch­te. Und wenn sie mich ein we­nig im Rus­si­schen un­ter­rich­ten dürf­te, so wäre ihr das eine be­son­de­re Freu­de, weil sie sich vor­stel­len könn­te, ihre Toch­ter sei wie­der da. Ich muss­te jede Ge­le­gen­heit, et­was ler­nen zu kön­nen, als einen Glücks­fall wahr­neh­men, weil ja doch alle hö­he­ren Bil­dungs­stät­ten der Frau mit ei­ser­nen Rie­geln ver­sperrt wa­ren; so stell­te ich mich er­war­tungs­voll und et­was be­klom­men von die­ser Neu­heit im Gast­hof ein. Ich fand eine erns­te Frau in mitt­le­ren Jah­ren, die mich sehr herz­lich mit ei­nem Veil­chen­strauß be­grüß­te und die nun für die nächs­te Zeit mein haupt­säch­lichs­ter Um­gang wur­de. Sie brach­te mir zu­erst die Buch­sta­ben bei, die sich um vie­les leich­ter er­wie­sen als sie aus­sa­hen, und gleich­zei­tig ließ sie mich schon einen Kin­der­vers von Misch­ka, dem Bä­ren, auf­sa­gen, um mei­ne Zun­ge an die Auss­pra­che zu ge­wöh­nen. Dann tauch­ten wir, um­qualmt vom Rauch ih­rer Zi­ga­ret­ten, in die un­er­gründ­li­chen Tie­fen der rus­si­schen Gram­ma­tik, und als hier nur die ers­ten Schwie­rig­kei­ten über­wun­den wa­ren, ging sie schon dazu über, mit mir ih­ren viel­ge­lieb­ten Pusch­kin zu le­sen, den sie für einen der ganz großen Uns­terb­li­chen hielt. Ich hü­te­te mich ihr zu sa­gen, dass mir die breit hin­rol­len­den Ver­se et­was leer er­schie­nen, und tat ihr den Ge­fal­len, die gan­zen be­rühm­ten Ein­gangs­stro­phen zum »Kup­fer­nen Rei­ter«, bei de­nen das Rus­sen­herz hö­her schlägt, aus­wen­dig zu ler­nen. Be­son­de­res Ver­gnü­gen aber mach­te es ihr, dass ich mich gleich mit mei­nem win­zi­gen Wort­schatz in die Un­ter­hal­tung wag­te, wenn um mich her rus­sisch ge­spro­chen wur­de. Die arme Frau hat­te viel häus­li­chen Kum­mer: ihr äl­te­rer Sohn Ws­je­wo­lod, Wo­lo­d­ja ge­nannt, be­fand sich zur­zeit in der Ir­ren­an­stalt von Ken­nen­burg; der jün­ge­re, Ser­gi­us oder Ser­jo­scha, der das Ober­gym­na­si­um be­such­te, ein früh­rei­fes Groß­stadt­kind, schi­en ihr auch kei­ne große Freu­de ma­chen zu wol­len. Der Un­ter­richt, den sie mir gab, ge­währ­te ihr sel­ber eine wohl­tä­ti­ge Ablen­kung. Sie be­freun­de­te sich warm mit mei­ner Mut­ter und zog auch meh­re­re ih­rer stu­die­ren­den Lands­leu­te in un­ser Haus. Als sie Tü­bin­gen ver­ließ, leg­te sie mei­nen Un­ter­richt in die Hän­de ei­nes äl­te­ren bal­ti­schen Stu­den­ten, der mit mir den rus­si­schen Ge­schicht­schrei­ber Ka­ram­sin vor­nahm und mich da­mit in die Ur­ge­schich­te Russ­lands, be­gin­nend bei den Warä­gern, ein­führ­te. Schei­dend trat er sein Amt ei­nem des Sans­krit be­flis­se­nen Ge­or­gier aus Tif­lis ab, der un­ter der aka­de­mi­schen Ju­gend ein be­son­de­res An­se­hen als Wa­gen­len­ker und Ros­se­bän­di­ger ge­noss, weil er als klei­ner Jun­ge nach dem Brauch sei­nes Lan­des hal­be Näch­te auf dem Rücken der Pfer­de ge­schla­fen hat­te. Die­ser Sohn der Wild­nis mit dem blauschwar­zen Haar und dem asia­ti­schen Lä­cheln wur­de nun mein drit­ter Leh­rer im Rus­si­schen. Als auch er ab­reis­te, trat er sei­ne Stel­le ei­nem an­de­ren Ge­or­gier ab, der nur kurz ge­blie­ben sein muss, da mir sein Bild nicht in der Erin­ne­rung haf­tet. Nach dem Ab­gang die­ses letz­ten war ich glück­lich so weit, mir selbst fort­hel­fen zu kön­nen. Ich führ­te mit den ge­schie­de­nen Freun­den noch län­ge­re Zeit einen rus­si­schen Brief­wech­sel, wo­bei ich eben­so un­be­denk­lich wie im Spre­chen und zu­nächst noch ohne Hil­fe ei­nes Wör­ter­buchs (ein sol­ches ge­stat­te­ten mir mei­ne Mit­tel erst spä­ter) mei­ne Sät­ze bau­te – häu­fig zur großen Hei­ter­keit der Emp­fän­ger. So hat­te eine gan­ze Rei­he von Men­schen, um die ich nicht das ge­rings­te

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