Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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zu ha­ben. Aber nach dem ers­ten Glas wur­den mir zu mei­ner Ver­wun­de­rung die Au­gen­de­ckel schwer, und als Lili mir zur Auf­fri­schung das zwei­te ein­goss, be­gan­nen die Ge­gen­stän­de zu ver­schwim­men. Die klei­ne Ber­ta war im glei­chen Fall, da­her Lili, die zu­gab, et­was Ähn­li­ches zu emp­fin­den, uns nun­mehr eine Geh­pro­be an­riet. Wir zwei Jün­ge­ren stan­den auf, die schö­ne Braut, die sich den gan­zen Tag nicht von uns tren­nen woll­te, schloss sich an und wir ver­lie­ßen un­ter dem Wi­der­spruch der Her­ren das Fest, um vor­sich­tig und wür­de­voll, nur auf un­ser Gleich­ge­wicht be­dacht, einen ein­sa­men Kies­weg ab­zu­schrei­ten. Aber zur Fort­set­zung des Ban­ketts hat­te kei­ne von den drei­en Lust, wir ent­flat­ter­ten also dem Gar­ten und such­ten Hed­wigs nahe Woh­nung auf, um die un­er­war­te­te Wir­kung des Cham­pa­gners zu ver­schla­fen. Die Müt­ter sand­ten uns Ed­gar zur Beglei­tung nach, der sich die­bisch freu­te, die drei Jung­fräu­lein in die­sem las­ter­haf­ten Zu­stand zu se­hen. Als er aber auch die Trep­pe mit er­stei­gen woll­te, wur­de er von drei plötz­lich ver­wan­del­ten Mä­na­den mit Pols­tern, Kis­sen und was uns in die Hän­de fiel, be­wor­fen, dass er sich schleu­nigst zu­rück­zog. Wir lach­ten und toll­ten hin­ter ihm her, und der Ernst der Ver­lo­bungs­fei­er däm­mer­te uns nur noch im fer­nen Hin­ter­grund. Lili be­wahr­te auch in die­ser et­was frag­wür­di­gen Ver­fas­sung ihre An­mut. Sie setz­te sich ans Kla­vier und hieß uns bei­de tan­zen, als uns ein jäh­lings auf­ge­stie­ge­nes Som­mer­ge­wit­ter, das wir nicht be­ach­tet hat­ten, durchs of­fe­ne Fens­ter mit wal­nuß­großen Eis­stücken über­fiel. Ich warf noch zur Ant­wort und Op­fer­spen­de ein Trink­glas hin­aus; da­nach aber fan­den wir es rät­lich, eine jede einen stil­len Schlum­mer­win­kel auf­zu­su­chen.

      Der Abend sank be­reits, als Lili frisch aus­ge­schla­fen mich aus den Kis­sen zog. Die Schö­ne war schon wie­der schön ge­kämmt und zu­recht­ge­macht und hat­te sich jetzt au­gen­schein­lich mit der Be­deu­tung des Ta­ges ab­ge­fun­den. Sie ord­ne­te auch mir noch ein­mal die Haa­re mit all der Lie­be und Sorg­falt, die sie sonst dar­auf zu ver­wen­den pfleg­te. Dann kehr­ten wir, von den Müt­tern ab­ge­holt, zu dem Braut­fest zu­rück, das un­ter­des­sen im ge­deck­ten Rau­me ohne Braut wei­ter­ge­gan­gen war. Der Bräu­ti­gam nahm end­lich sein schö­nes Ei­gen­tum in Empfang und ent­führ­te sie in die däm­mern­den Gar­ten­we­ge am Neckar, die schon wie­der auf­ge­trock­net wa­ren. Das Fest lös­te sich auf, neue Gäs­te ka­men in die Neckar­mül­le­rei, die nicht zu den Ge­la­de­nen ge­hör­ten. Wenn ich nicht irre, war auch der erns­te Vail­lant dar­un­ter. An ei­nem Ne­ben­tisch wur­de wie­der po­li­ti­siert. Ei­ner er­hob sich und sag­te mit Em­pha­se: Mei­ne Her­ren, das Jahr Achtund­vier­zig pocht mit eher­nem Fin­ger an die Türe – da­bei klopf­te er mit dem Fin­ger­knö­chel auf die Tisch­plat­te – ich sage: das Jahr Acht­zehn­hun­dert­un­dachtund­vier­zig – aber an die Tür poch­te et­was völ­lig andres, denn gleich dar­auf ver­brei­te­te sich die Nach­richt von der Em­ser De­pe­sche.

      Li­lis Braut­tag be­schloss auch für mich den Rei­gen der Ju­gend­fes­te, in die wie ein Blitz­strahl die Kriegs­er­klä­rung Frank­reichs schlug. Die männ­li­che Ju­gend eil­te zu den Fah­nen. Un­ser fran­zö­si­scher Haus­freund war ge­nö­tigt, Deutsch­land zu ver­las­sen. Frau Wil­hel­mi mit ih­rem Töch­ter­chen be­glei­te­te ihn nach Genf, wo er zu­nächst noch wei­ter­stu­die­ren woll­te. Auch die An­ders­den­ken­den ver­folg­ten sei­ne Wege mit Span­nung. Vail­lant zwei­fel­te kei­nen Au­gen­blick, dass nun­mehr die Stun­den des Em­pi­re ge­zählt sei­en, denn er rech­ne­te be­stimmt auf eine fran­zö­si­sche Nie­der­la­ge. Aber er lieb­te die­ses Frank­reich eben­so glü­hend, wie er sei­ne Las­ter hass­te, und es war Pa­trio­tis­mus, dass er den deut­schen Waf­fen den Sieg wünsch­te, weil sein Va­ter­land nur durch schwe­re Schlä­ge, durch eine har­te Er­zie­hung ge­sun­den kön­ne. Na­po­le­ons Ab­dan­kung rief ihn auf fran­zö­si­schen Bo­den. Al­lein die Re­pu­blik Gam­bet­tas war nicht die sei­ni­ge. Wäh­rend der Be­la­ge­rung von Pa­ris half er mit Feuerei­fer die Er­he­bung vom 18. März vor­be­rei­ten und wur­de vom Zen­tralaus­schuss in die Kom­mu­ne ge­wählt, die an ge­bil­de­ten Mit­glie­dern kei­nen Über­fluss hat­te. Von nun an war Vail­lants Name in al­len eu­ro­päi­schen Zei­tun­gen zu fin­den. Er wur­de zu­erst an die Spit­ze der in­ne­ren An­ge­le­gen­hei­ten, dann an die des Un­ter­richts­we­sens be­ru­fen. Wel­che Rol­le er in der Kom­mu­ne ge­spielt hat, ist aus den wi­der­spre­chen­den Zeug­nis­sen schwer zu er­ken­nen. Dass er die Er­schie­ßung der Gei­seln und an­de­re Ge­walt­ta­ten gut­hieß, kann ich bei sei­nem Fa­na­tis­mus kaum be­zwei­feln. Er ließ die Kru­zi­fi­xe aus den Schu­len ent­fer­nen und setz­te mit ei­nem Fe­der­strich drei­und­zwan­zig Be­am­te der Na­tio­nal­bi­blio­thek ab, mit de­ren gänz­li­cher Neu­bil­dung er den ehr­wür­di­gen Ge­lehr­ten Elie Re­clus be­trau­te; das ist so ziem­lich das ein­zi­ge, was von sei­ner Ver­wal­tungs­tä­tig­keit be­rich­tet wird. Sei­ne Par­t­ei­ge­nos­sen war­fen ihm vor, dass ihm die deut­sche Phi­lo­so­phie den Tat­sa­chen­sinn be­ne­belt habe, und ich will gern glau­ben, dass der Mann der Theo­rie sich als Or­ga­ni­sa­tor we­nig be­währ­te, aber He­gel war ge­wiss un­schul­dig dar­an. Üb­ri­gens wa­ren die Vor­wür­fe ge­gen­sei­tig, denn er sei­ner­seits nann­te bei ei­ner Ab­stim­mung die Kom­mu­ne ein Par­la­ment von Schwät­zern, das heu­te zu­nich­te ma­che, was es ges­tern ge­schaf­fen. Gleich­wohl hielt er es für sei­ne Pf­licht, als ei­ner ih­rer Füh­rer bis zum Ende aus­zu­har­ren, und beim Ein­zug der Ver­sail­ler kämpf­te er auf den Bar­ri­ka­den mit. Als sei­ne Sa­che ver­lo­ren war, ge­lang es ihm, durch die Ein­schlie­ßungs­li­nie zu ent­kom­men und sich als Esel­trei­ber ver­klei­det über die Py­re­nä­en auf spa­ni­schen Bo­den zu ret­ten, von wo er nach Eng­land ging. In den Zei­tun­gen hieß es mehr­mals, dass ein falscher Vail­lant er­schos­sen wor­den sei. Es wur­de auch wirk­lich ei­ner, der ihm ähn­lich sah, er­grif­fen und nach Ver­sail­les ge­schleppt, aber durch die Da­zwi­schen­kunft A. Du­mas’, der ihn kann­te, ge­ret­tet. In Frank­reich war das Mär­chen ver­brei­tet, die preu­ßi­schen Trup­pen hät­ten Vail­lant freund­wil­lig durch­ge­las­sen we­gen sei­ner gu­ten Be­zie­hun­gen zu Deutsch­land.

      Die Wel­ter­eig­nis­se trie­ben auch in un­ser ab­seits ge­le­ge­nes Haus ihre Wel­len. Mein Va­ter war feu­rig deutsch ge­sinnt und hat­te den An­schluss an Preu­ßen trotz 66 mit Be­geis­te­rung be­grüßt; in der Grün­dung des Rei­ches sah er eine le­bens­lan­ge Sehn­sucht er­füllt. Mei­ne Mut­ter aber konn­te ihre Emp­fin­dungs­wei­se nicht um­schal­ten, sie be­harr­te mit ein­sei­ti­ger Treue in der re­vo­lu­tio­nären Dog­ma­tik ih­rer Ju­gend. Mit dem fran­zö­si­schen Geist war sie ja eben­so durch ihre ad­li­ge Er­zie­hung wie durch ihre 48er Ver­gan­gen­heit ver­wach­sen. Ein Krieg ge­gen Frank­reich, das sie lieb­te und von dem sie als ers­tem die Ver­wirk­li­chung ih­rer Frei­heits­idea­le er­hoff­te, schi­en ihr eine Un­ge­heu­er­lich­keit. Nie­mand hat gläu­bi­ger an dem Lehr­satz fest­ge­hal­ten, dass Frank­reich der be­ru­fe­ne Sol­dat der Frei­heit sei. Ge­gen Preu­ßen be­wahr­te sie ih­ren al­ten Groll und für Bis­marcks Grö­ße war sie ein für al­le­mal un­emp­find­lich. Die­se Din­ge mit ihr zu er­ör­tern wäre zweck­los ge­we­sen, mein Va­ter wuss­te, dass sie un­be­kehr­bar war. Ihre tie­fe Lie­be und sei­ne wei­se Mä­ßi­gung lie­ßen es zu kei­nem Zwie­spalt kom­men, doch über das, was die All­ge­mein­heit am stärks­ten be­weg­te, konn­te zwi­schen ih­nen nicht ge­spro­chen wer­den.

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