Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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zu ver­die­nen. Als dort die Fahr­kar­ten ge­löst wa­ren, konn­te Ed­gar mir noch ein gan­zes Häuf­lein Mün­zen für mei­ne Ein­käu­fe in die Hand schüt­ten, denn es ge­hör­te auch zu sei­nen Ei­gen­hei­ten, dass er sel­ber nie­mals einen Kauf­la­den be­trat. Ich trug zwei duf­ten­de Laib­chen Weiß­brot und eine statt­li­che Schnit­te Em­men­ta­ler da­von. Mit Stolz brach­te ich sie dem Bru­der, der sich ab­seits der Land­stra­ße un­ter ei­nem Birn­baum nie­der­ge­las­sen und einen Hau­fen herr­li­cher Bir­nen vor sich auf­ge­sta­pelt hat­te. Ich frag­te nicht, mit wel­chem Rech­te. Wir setz­ten uns in tiefer, freu­di­ger Ein­tracht ne­ben­ein­an­der und ge­nos­sen die köst­lichs­te Mahl­zeit und das reins­te Glück, das uns auf der gan­zen Rei­se be­schert war.

      O, und der Kalbs­bra­ten, mit dem die gute Jo­se­phi­ne uns abends in Tü­bin­gen emp­fing. Es war, als ob sie alle un­se­re Lei­den ge­ahnt hät­te, die treue See­le. Der Va­ter sag­te nur, als er uns so ver­hun­gert sah, mit ge­rühr­tem Lä­cheln: Ihr dum­men Kin­der! Der blei­bends­te Wert die­ser Rei­se war viel­leicht der, dass mein Ka­me­rad in den drei Ta­gen so viel von sei­nen kna­ben­haf­ten Wun­der­lich­kei­ten aus­ge­schüt­tet hat­te, dass er nun all­mäh­lich zu wer­den be­gann, wo­für er sich bis­her mit Un­recht ge­hal­ten hat­te – ein Mann.

      An­dert­halb Jah­re nach dem Sturz der Kom­mu­ne mahn­te Mut­ter Vail­lant mei­ne El­tern an ihr al­tes Ver­spre­chen. Sie leb­te jetzt ganz al­lein in Vier­zon. Ihr fils ad­oré, wie sie ihn nann­te, war ver­bannt und zum Tode ver­ur­teilt, mit ih­rer Toch­ter war sie zer­fal­len, weil die­se sich von dem Bru­der sei­ner po­li­ti­schen Hal­tung we­gen los­ge­sagt hat­te. Un­ter sol­chen Um­stän­den moch­te mein Va­ter der ein­sa­men Frau ih­ren al­ten Wunsch nicht ab­schla­gen. Ich sel­ber war be­gie­rig, eine neue Welt ken­nen zu ler­nen, das Land der schö­nen Form und der ver­fei­ner­ten Sit­te. So über­wand er sei­ne Be­den­ken und gab mir Ur­laub. Un­ter­wegs brach­te ich einen Tag in Straß­burg bei der jung ver­hei­ra­te­ten Lili zu, mit der ich das Müns­ter be­stieg und den Rhein be­grüß­te. Dass man zu ei­ner Zeit, wo noch ein deut­sches Heer auf fran­zö­si­schem Bo­den stand, ein blut­jun­ges deut­sches Mäd­chen ohne Sor­ge al­lein in die Mit­te Frank­reichs rei­sen las­sen konn­te, ist, in heu­ti­ge fran­zö­si­sche Emp­fin­dung über­setzt, nicht mehr vor­stell­bar. Da­mals ging al­les glatt. War es Zu­fall oder gab es zu je­ner Zeit wirk­lich eine fran­zö­si­sche Rit­ter­lich­keit – ich be­kam we­der in Pa­ris noch in der Pro­vinz, noch auf der Rei­se selbst je ein un­freund­li­ches Ge­sicht zu se­hen noch ein ver­let­zen­des Wort zu hö­ren. Die furcht­ba­re Er­bit­te­rung des Bür­ger­kriegs schi­en den Groll ge­gen den frem­den Sie­ger ver­löscht zu ha­ben. Aber so vie­le Fran­zo­sen mit mir über den Krieg spra­chen, alle schlos­sen mit dem un­aus­weich­li­chen Kehr­reim: Nous ne som­mes pax vain­cus, nous som­mes ven­dus. Dass vor al­lem Ba­zai­ne sie für ein Blut­geld ver­kauft habe, lag als tröst­li­cher Bal­sam auf der Wun­de des Selbst­ge­fühls, de­ren Schmerz dem Durch­schnitts­fran­zo­sen noch gar nicht so tief ins Be­wusst­sein ge­drun­gen war.

      In Pa­ris wur­de ich im Hau­se ei­nes fran­zö­si­schen Of­fi­ziers a. D., der mit ei­ner Stutt­gar­te­rin, ei­ner Ju­gend­freun­din mei­ner Mut­ter, ver­hei­ra­tet war, mit of­fe­nen Ar­men auf­ge­nom­men. Die schon äl­te­re Frau flog mir auf der Trep­pe mit ei­nem Freu­den­ruf um den Hals, so sehr über­wäl­tig­te sie mei­ne Ähn­lich­keit mit der von ihr ver­ehr­ten Groß­mut­ter Brun­now. Die Fa­mi­lie leb­te be­schei­den in ei­ner Art von Pup­pen­stu­ben mit Ta­pe­ten­tü­ren un­ter Mö­beln, die der Haus­herr selbst ge­schrei­nert hat­te, al­les von der put­zigs­ten Net­tig­keit; das Oran­ge­blü­ten­was­ser, das mir je­den Abend ans Bett ge­stellt wur­de, ist mir in duf­ten­der Erin­ne­rung. Der Herr des Hau­ses mit sei­nem Bänd­chen im Knopf­loch führ­te mich nach der Sit­te des fran­zö­si­schen Mi­li­tärs rit­ter­lich am lin­ken Arm spa­zie­ren. Er glich nach Aus­se­hen und Den­kart ganz dem Bil­de, das man sich von dem al­ten na­po­leo­ni­schen Sol­da­ten macht, und da ich mich im In­va­li­den­dom für Na­po­le­on be­geis­ter­te, war er sehr zu­frie­den mit mir. Ich be­sah mir die »Rui­nen von Pa­ris«, zu­sam­men­ge­kehr­te Trüm­mer­hau­fen des Stadt­hau­ses, der Tui­le­ri­en, der Finanz usw., die den letz­ten Verzweif­lungs­kämp­fen der Kom­mu­ne zum Op­fer ge­fal­len wa­ren. Man er­zähl­te mir von den Pe­tro­le­u­sen, die wahr­schein­lich als his­to­ri­sches Sei­ten­stück zu den Tri­ko­teu­sen he­xen­ar­tig im Hirn der Pa­ri­ser spuk­ten. Die­se Fu­ri­en soll­ten die Häu­ser ent­lang ge­huscht sein und blitz­schnell in jede Kel­ler­lu­ke ihr Pe­tro­le­um ge­gos­sen und Zünd­höl­zer nach­ge­wor­fen ha­ben, wo­durch gan­ze Stra­ßen ein Raub der Flam­men ge­wor­den sei­en. Wie vie­le un­glück­li­che Frau­en, die kein an­de­res Ver­bre­chen be­gan­gen hat­ten, als ihre Pe­tro­le­um­kan­ne heim­zu­tra­gen, mö­gen bei den Treib­jag­den der blin­den Ra­che­wut zum Op­fer ge­fal­len sein! Greu­el wa­ren von der einen und von der an­de­ren Sei­te ge­sche­hen, vor de­nen die Bar­tho­lo­mäus­nacht ver­bleicht, aber die Stadt strahl­te von Le­bens­lust, und auf den Bou­le­vards flu­te­te eine hei­te­re Men­ge in dem ei­ge­nen leich­ten Schritt, der dort al­les be­flü­gelt; nur wenn bei nich­ti­gem An­lass ein Zu­sam­men­ren­nen ent­stand, so war’s wie Nach­zit­tern vul­ka­ni­schen Bo­dens. Als ich ein­mal frag­te, wo­hin ein Trupp Sol­da­ten mit Trom­mel­schlag so ei­lig mar­schie­re, wur­de mir geant­wor­tet: Nach der Ebe­ne von Sa­to­ry, es ist das Exe­ku­ti­onspe­lo­ton. Die Hin­rich­tun­gen wa­ren längst vor­über, aber in der Fan­ta­sie der Be­völ­ke­rung dau­er­ten sie noch fort. Von Deut­schen­hass er­leb­te ich in Pa­ris nur ein ein­zi­ges Bei­spiel an ei­nem Halb­deut­schen, dem vier­zehn­jäh­ri­gen Ka­det­ten, Sohn mei­ner Gast­freun­de, der mir mit fun­keln­den Au­gen an­kün­dig­te, er wer­de bald in Ber­lin ein­zie­hen, um Ra­che für Se­dan zu neh­men. Als er den üb­len Ein­druck sei­ner Rede sah, ver­sprach er groß­mü­tig, die Frau­en und Kin­der zu scho­nen. Man zeig­te mir einen Laib Be­la­ge­rungs­brot, der zu drei Vier­teln aus ge­mah­le­nem Stroh und Sand be­ste­hen soll­te und der sich an­fühl­te wie eine Ver­stei­ne­rung. Auch wur­de da­von ge­spro­chen, wie fein man in ge­wis­sen Gar­kü­chen ver­stan­den habe die Rat­ten zu­zu­be­rei­ten. Das al­les war nun längst Ge­schich­te ge­wor­den bei dem schnell le­ben­den Vol­ke. Über die deut­schen Sol­da­ten hör­te ich kaum eine Kla­ge; nur auf Mr. de Bis­marck war man schlecht zu spre­chen. Liest man die fran­zö­si­schen Schrift­stel­ler der spä­te­ren Jahr­zehn­te, etwa die fein­ge­mei­ßel­ten Ge­schich­ten Guy de Mau­passants, so sieht man, mit welch ho­her Kunst dem fran­zö­si­schen Vol­ke das Gift des Has­ses nach­träg­lich ein­ge­impft wor­den ist.

      Mein ers­ter Tag in Vier­zon bleibt mir un­ver­ge­ss­lich. Ein Die­ner des Hau­ses Vail­lant, der alte Père Ré­guil­lard, hol­te mich mit mei­nem Ge­päck am Bahn­hof ab. Ich war zwi­schen Pa­ris und Vier­zon, wo kein Schnell­zug ging, zwei­ter Klas­se ge­fah­ren, und freu­te mich, mir für das er­spar­te Rei­se­geld ein an­de­res Ver­gnü­gen zu gön­nen. Nun er­fuhr ich durch Frau Vail­lant, die der Die­ner gleich da­von in Kennt­nis setz­te, dass dies ein Miss­griff ge­we­sen, der in Vier­zon kei­nen­falls be­kannt wer­den durf­te, und sie bat mich, über den dunklen Punkt Schwei­gen zu be­wah­ren. Ich ver­sprach’s, denn ich nahm an, dass nie­mand so tö­richt sein wer­de, mich zu fra­gen. Die dem Hau­se Vail­lant be­freun­de­ten

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