Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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gleich­falls in Stutt­gart be­find­li­chen Bru­der Al­fred auf­ge­trie­ben und in den Wa­gen ge­setzt, da­mit mir gar kein Vor­wand blei­be, mich der Ge­sell­schaft zu ent­zie­hen. – Was be­gin­nen? Schlank­weg her­austre­ten, ihm vor die­ser Zeu­gin er­klä­ren, dass ich nicht den Schein ei­ner Fes­sel tra­gen woll­te, die ich in Wirk­lich­keit mir nicht an­zu­le­gen ge­son­nen war, dazu fehl­te mir die nö­ti­ge Schroff­heit. Ich stand hin­ter der halb­of­fe­nen Tür, von dem Be­su­cher un­ge­se­hen, und hat­te die er­schro­cke­ne Anna im Ge­sicht, so­dass ich sie durch Zei­chen be­deu­ten konn­te, den An­kömm­ling so lan­ge wie mög­lich hier fest­zu­hal­ten. Dann schlüpf­te ich hin­aus und im Flug die Trep­pe hin­un­ter, an dem vor­ge­fah­re­nen Wa­gen vor­bei, aus dem Al­fred mich laut be­grü­ßen woll­te. Ich leg­te den Fin­ger auf den Mund und glitt wie ein Schat­ten die Stra­ße hin­ab. Mich zu ver­ste­cken, wag­te ich nicht, denn ich kann­te Hart­muts Be­harr­lich­keit, der im­stan­de war, sich vor der Haus­tür mei­ner Ver­wand­ten auf­zu­pflan­zen und mei­ne Rück­kehr ab­zu­war­ten, soll­te es auch Stun­den dau­ern. Ich fand also kei­nen bes­se­ren Rat als heim­zu­stür­zen – den wei­ten Weg nach der Sil­ber­burg­stra­ße zu Fuß, denn Fahr­ge­le­gen­hei­ten gab es da­mals kei­ne – und schleu­nigst zu er­kran­ken. An­nas Ein­ver­ständ­nis ließ mich den nö­ti­gen Vor­sprung er­hof­fen. Ich kam auch rich­tig frü­her als der Zwei­spän­ner an, stürm­te atem­los durch das Fa­mi­li­en­zim­mer nach dem Schlaf­ge­mach, warf die Klei­der ab und ver­kroch mich ins Bett. Be­stürzt folg­te mir die gute Tan­te, um zu hö­ren, was vor­ge­he, aber sie er­fuhr nichts, als dass ich von ei­nem plötz­li­chen Un­wohl­sein mit Schlaf­sucht be­fal­len sei und bäte, mich ein paar Stun­den un­ge­stört schlum­mern zu las­sen und un­ter kei­nen Um­stän­den zu we­cken. Ich ent­sch­lief auch schon im Spre­chen, und es war höchs­te Zeit, denn eben klin­gel­te es, und Anna er­schi­en, um mich zu der Spa­zier­fahrt ab­zu­ho­len. Mit dem Be­scheid von mei­ner rät­sel­haf­ten Er­kran­kung zog sie ab, kehr­te aber gleich dar­auf mit den bei­den an­de­ren In­sas­sen des Wa­gens zu­rück. Dass Al­fred mir brü­der­lich Treue hielt und schwieg, wur­de ihm von mir hoch an­ge­rech­net. Der an­de­re aber ver­lang­te in sei­ner dop­pel­ten Ei­gen­schaft als Be­güns­tig­ter der Mut­ter und als an­ge­hen­der Arzt die Pa­ti­en­tin zu se­hen. Un­ter dem Druck der Tan­te er­schi­en die­se im Fa­mi­li­en­zim­mer, blass und lei­dend und be­reit, gleich wie­der ein­zu­schla­fen. Es war an mei­ner Un­päss­lich­keit nicht zu zwei­feln, denn von dem an­hal­ten­den Ra­sen ging der Puls in Sprün­gen. Wäre aber Hart­mut ein bes­se­rer See­len­ken­ner ge­we­sen, so hät­te er aus An­nas ver­wirr­ter Mie­ne die Wahr­heit ab­le­sen müs­sen. Nach al­ler­lei Ver­mu­tun­gen zo­gen die drei sich end­lich zu­rück und setz­ten ihre Lust­fahrt ohne mich fort. So­bald das Rol­len des Wa­gens ver­hallt war, sprang ich ge­ne­sen auf und ge­stand den gan­zen Her­gang. Der gute On­kel, der eine hei­te­re poe­ti­sche Ader hat­te, ver­fass­te ein lau­ni­ges Ge­dicht über die miss­glück­te Ent­füh­rung und sand­te es Mama als Pflas­ter auf die Wun­de.

      Das schlimms­te war, dass ich über­haupt nicht wuss­te, was ich mit mir sel­ber woll­te. Un­ter­krie­chen wie die an­dern, ge­bor­gen sein um je­den Preis oder als ver­mö­gens­lo­ses Mäd­chen al­len Stür­men preis­ge­ge­ben, mit lau­ter brot­lo­sen Küns­ten aus­ge­stat­tet und gar nicht für den Le­bens­kampf er­zo­gen? – Kein Wun­der, dass es äl­te­ren Freun­den um mich ban­ge wur­de. Es gab da­mals für ein Mäd­chen kei­nen Weg ins Le­ben als durch die Ehe und – in wun­der­sel­te­nen Fäl­len – durch die Kunst. Aber die Gabe, an de­ren ver­früh­te Äu­ße­run­gen die Mei­ni­gen so feu­rig ge­glaubt hat­ten, schi­en mir wie­der ent­zo­gen zu sein. Wenn ich in das Meer ne­bel­haf­ter Bil­der, das im­mer um mich wog­te, hin­ein­grei­fen woll­te, um sie zu for­men, so fass­te ich in Luft. Mein Müt­ter­lein mein­te, ich hät­te nur da wei­ter­ma­chen dür­fen, wo ich nach Li­lis Er­schei­nen ste­hen­ge­blie­ben war. Aber da­mals hat­te ich in kind­li­chem Trieb Vor­han­de­nes nach­ge­macht und mit frem­den Mit­teln ge­wirt­schaf­tet. Jetzt, wo ich aus Ei­ge­nem ge­stal­ten woll­te, stand ich mit lee­ren Hän­den da. Und der un­still­ba­re Drang nach star­kem Er­le­ben war zu­gleich auch der un­be­wuss­te Trieb, den Schat­ten Le­bens­blut ge­ben zu kön­nen. Im­mer deut­li­cher fühl­te ich, dass der Bo­den Tü­bin­gens mir über­haupt für mei­ne Ent­wick­lung nichts mehr zu bie­ten hat­te. Das weib­li­che Ge­schlecht war ja da­mals so ge­stellt, dass es nur vom Le­ben sel­ber ler­nen konn­te. Mei­ne Stu­di­en, ganz mir sel­ber über­las­sen, gin­gen die Zick­zack­we­ge des Zu­falls. Ge­sel­li­ge Freu­den be­gan­nen schal zu schme­cken, und ich war meist nur mit dem Kör­per an­we­send. Mei­ne gan­ze An­la­ge zog eine Schei­de­wand zwi­schen mir und der Au­ßen­welt. Men­schen und Din­ge des All­tags hat­ten gar kei­ne We­sen­haf­tig­keit für mich, wenn ich mich nicht ge­ra­de an ih­ren Ecken und Kan­ten stieß. Es quäl­te mich, wenn in mei­ner Ge­gen­wart die bür­ger­li­chen Um­stän­de an­de­rer, ihre Ver­wandt­schaf­ten und der­glei­chen er­ör­tert wur­den. Dau­er­te es lan­ge, so mein­te ich mich in­ner­lich da­bei auf­zu­lö­sen. Ich wuss­te am liebs­ten nicht ein­mal ge­nau, wo un­se­re Freun­de wohn­ten, dass ihr Kom­men und Ge­hen wie aus un­be­kann­ten Rei­chen war. Die­sen Zug hat­te selt­sa­mer­wei­se auch mein Va­ter in sei­ner Ju­gend ge­habt, wie ich aus ei­ner Nie­der­schrift von ihm er­sah. Aber es war frei­lich schwer, ihn dem jun­gen Mäd­chen nicht für Lieb­lo­sig­keit aus­zu­le­gen, wäh­rend er nur dem Trie­be ent­sprang, die stil­lo­se Enge der Um­welt durch die Vor­stel­lung auf­zu­he­ben.

      Ich weiß kein Volk, das ein Wort für Sehn­sucht hät­te, au­ßer den Deut­schen. Das dé­sir und de­si­de­rio der Ro­ma­nen ist wohl stär­ker an Lei­den­schaft, aber es hat nicht das Auf­lö­sen­de, Halb­ver­schmach­te­te un­se­res Seh­nens. Sie alle ken­nen das Heim­weh, aber von dem Weh nach ei­ner un­ge­kann­ten schö­ne­ren Hei­mat wis­sen sie nichts. Wo­her soll­te den Süd­län­dern, die an Na­tur und Kunst be­sit­zen, was je­den Wunsch zum vor­aus er­füllt, die Sehn­sucht nach ei­nem schö­ne­ren Land, nach ei­nem Wun­sch­land kom­men? Des Deut­schen ewi­ge Sehn­sucht ist nichts an­de­res als sei­ne un­glück­li­che, nie ge­still­te Lie­be zur Form. »Du bist Or­p­lid, mein Land, das fer­ne leuch­tet.« Die­ses Un­ge­nü­gen an der Wirk­lich­keit ist der Ur­sprung al­ler Ro­man­tik. Wo das Le­ben wie ein brei­ter Strom zwi­schen schö­nen Ufern da­her­braust, gibt es kei­ne. Dann ist die Wirk­lich­keit mäch­ti­ger als je­der Traum.

      Mein lie­bes Schwa­ben­land, von sei­nen Kin­dern nur das »Länd­le« ge­nannt (die Nei­gung des Schwa­ben zum Ver­klei­ne­rungs­wort hat in der Ge­stalt eben die­ses Länd­les ihre tie­fe Be­grün­dung), ist ein Ge­bil­de ei­ge­ner Art, gleich­sam eine Mus­ter­kar­te al­ler Län­der. Es sieht aus, als hät­te der Schöp­fer, be­vor er die Erde ent­warf, ein Mo­dell da­von im klei­nen her­ge­stellt, wor­auf er jede Form an­deu­te­te, die er her­nach im großen aus­füh­ren woll­te: Ber­ge, Fluss­läu­fe, Ebe­nen, Was­ser­flä­chen, al­les ist vor­han­den, aber in klei­ne­rem Maß­stab und in ste­tem Wech­sel. Im­mer steht man wie­der vor ei­nem an­de­ren Bild. Die­se Viel­ar­tig­keit hat nichts Zwin­gen­des, Stil­ge­ben­des wie ein­fa­che Grö­ße von aus­ge­spro­che­ner Art, die al­lein da ist und al­les an­de­re aus­schließt. Vor­stel­lun­gen wer­den an­ge­regt, aber nicht er­füllt. Da­her lag und liegt vie­len Schwa­ben die Un­ru­he von Hau­se aus im Blut. Wer vom Gip­fel des Ho­hen­stau­fen blickt, der meint mit ei­nem Male ein Stück mit­tel­al­ter­li­cher

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