Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Das schlimmste war, dass ich überhaupt nicht wusste, was ich mit mir selber wollte. Unterkriechen wie die andern, geborgen sein um jeden Preis oder als vermögensloses Mädchen allen Stürmen preisgegeben, mit lauter brotlosen Künsten ausgestattet und gar nicht für den Lebenskampf erzogen? – Kein Wunder, dass es älteren Freunden um mich bange wurde. Es gab damals für ein Mädchen keinen Weg ins Leben als durch die Ehe und – in wunderseltenen Fällen – durch die Kunst. Aber die Gabe, an deren verfrühte Äußerungen die Meinigen so feurig geglaubt hatten, schien mir wieder entzogen zu sein. Wenn ich in das Meer nebelhafter Bilder, das immer um mich wogte, hineingreifen wollte, um sie zu formen, so fasste ich in Luft. Mein Mütterlein meinte, ich hätte nur da weitermachen dürfen, wo ich nach Lilis Erscheinen stehengeblieben war. Aber damals hatte ich in kindlichem Trieb Vorhandenes nachgemacht und mit fremden Mitteln gewirtschaftet. Jetzt, wo ich aus Eigenem gestalten wollte, stand ich mit leeren Händen da. Und der unstillbare Drang nach starkem Erleben war zugleich auch der unbewusste Trieb, den Schatten Lebensblut geben zu können. Immer deutlicher fühlte ich, dass der Boden Tübingens mir überhaupt für meine Entwicklung nichts mehr zu bieten hatte. Das weibliche Geschlecht war ja damals so gestellt, dass es nur vom Leben selber lernen konnte. Meine Studien, ganz mir selber überlassen, gingen die Zickzackwege des Zufalls. Gesellige Freuden begannen schal zu schmecken, und ich war meist nur mit dem Körper anwesend. Meine ganze Anlage zog eine Scheidewand zwischen mir und der Außenwelt. Menschen und Dinge des Alltags hatten gar keine Wesenhaftigkeit für mich, wenn ich mich nicht gerade an ihren Ecken und Kanten stieß. Es quälte mich, wenn in meiner Gegenwart die bürgerlichen Umstände anderer, ihre Verwandtschaften und dergleichen erörtert wurden. Dauerte es lange, so meinte ich mich innerlich dabei aufzulösen. Ich wusste am liebsten nicht einmal genau, wo unsere Freunde wohnten, dass ihr Kommen und Gehen wie aus unbekannten Reichen war. Diesen Zug hatte seltsamerweise auch mein Vater in seiner Jugend gehabt, wie ich aus einer Niederschrift von ihm ersah. Aber es war freilich schwer, ihn dem jungen Mädchen nicht für Lieblosigkeit auszulegen, während er nur dem Triebe entsprang, die stillose Enge der Umwelt durch die Vorstellung aufzuheben.
Ich weiß kein Volk, das ein Wort für Sehnsucht hätte, außer den Deutschen. Das désir und desiderio der Romanen ist wohl stärker an Leidenschaft, aber es hat nicht das Auflösende, Halbverschmachtete unseres Sehnens. Sie alle kennen das Heimweh, aber von dem Weh nach einer ungekannten schöneren Heimat wissen sie nichts. Woher sollte den Südländern, die an Natur und Kunst besitzen, was jeden Wunsch zum voraus erfüllt, die Sehnsucht nach einem schöneren Land, nach einem Wunschland kommen? Des Deutschen ewige Sehnsucht ist nichts anderes als seine unglückliche, nie gestillte Liebe zur Form. »Du bist Orplid, mein Land, das ferne leuchtet.« Dieses Ungenügen an der Wirklichkeit ist der Ursprung aller Romantik. Wo das Leben wie ein breiter Strom zwischen schönen Ufern daherbraust, gibt es keine. Dann ist die Wirklichkeit mächtiger als jeder Traum.
Mein liebes Schwabenland, von seinen Kindern nur das »Ländle« genannt (die Neigung des Schwaben zum Verkleinerungswort hat in der Gestalt eben dieses Ländles ihre tiefe Begründung), ist ein Gebilde eigener Art, gleichsam eine Musterkarte aller Länder. Es sieht aus, als hätte der Schöpfer, bevor er die Erde entwarf, ein Modell davon im kleinen hergestellt, worauf er jede Form andeutete, die er hernach im großen ausführen wollte: Berge, Flussläufe, Ebenen, Wasserflächen, alles ist vorhanden, aber in kleinerem Maßstab und in stetem Wechsel. Immer steht man wieder vor einem anderen Bild. Diese Vielartigkeit hat nichts Zwingendes, Stilgebendes wie einfache Größe von ausgesprochener Art, die allein da ist und alles andere ausschließt. Vorstellungen werden angeregt, aber nicht erfüllt. Daher lag und liegt vielen Schwaben die Unruhe von Hause aus im Blut. Wer vom Gipfel des Hohenstaufen blickt, der meint mit einem Male ein Stück mittelalterlicher