Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Auch Mama begriff meine Abneigung gegen die heimische Enge nicht, denn da sie die Schranken der Erde überhaupt nicht sah, war für sie die Weite überall. Und mein beständiges Verlangen nach edler Form begriff sie noch weniger. Sie genoss zwar den Anblick schöner Menschen aufs innigste, wie sie sich auch der eigenen adligen Leibesform, die niemals weder massig noch knöchern werden sollte, mit Behagen bewusst war, aber die Formlosigkeit war ihr nicht wie mir ein Augenschmerz. Und alle andern verstanden mich noch weniger; es schien niemand etwas zu vermissen.
Doch einen gab es in Tübingen, der mich verstand und den ich oft in der Stille besuchte, wenn wir auch nicht miteinander reden konnten. Sein Denkmal stand im Botanischen Garten, es prahlte laut und stimmungslos mit einem Genius, der einen blechernen Stern auf dem Haupte trug, deshalb ging ich im Bogen daran vorüber nach dem Friedhof. Dort, nahe der unteren Mauer, lag sein Grab. Man musste die tief herabhängenden Schleier der Trauerweide aufheben, dann war man in grüngoldener Dämmerung mit dem Schläfer allein. Ein schmaler Stein stand schief eingesunken an dem ungepflegten, damals halb vergessenen Ort. Er trug den Namen Friedrich Hölderlin und auf der andern Seite den Vers:
Im heiligsten der Stürme falle
Zusammen meine Kerkerwand usw.
(Ein Vers, der noch aus seiner Frühzeit stammt, da er »wortereicher und leerer war«. Man hätte Tieferes und Eigeneres für seine Grabschrift finden können.)
Mit ihm redete ich von den Griechen. Nur seine immerwährende Schwermut und Trauer um jene Lebendigen teilte ich nicht. Sie waren ja doch da, wer konnte sie uns nehmen? Ich vergaß nur, dass für ihn die schwäbische, ja die deutsche Heimat noch viel, viel enger gewesen, dass, je weiter man zeitlich zurückging, desto größer die Formlosigkeit war und all die Dinge, die sein schönheitverlangendes Gemüt so unsäglich beschwerten und verletzten. Hätte er lachen können, ein befreiendes Lachen, er wäre vielleicht nicht so frühe untergegangen. Aber er wäre auch nicht jener Einzige geworden, und seine Stimme käme nicht wie ein Klang aus anderen Welten zu uns herüber.
Der Brand und die Flamme. Hat der Mann ein Seelenleben?
Ich weiß nicht, ob die kleinen Episoden, die ich hier erzählen will, nicht vielmehr in die Zeit nach meines Vaters Tode fallen. Mein Gedächtnis schiebt sie an dieser Stelle ein, weil mir nachträglich alles Heitere vor jenem dunkeln Tage zu liegen scheint.
In der Kronengasse, schrägüber von unserer Wohnung, lag eine Studentenwirtschaft, die Flammerei genannt, wo Edgar und zuweilen auch die jüngeren Brüder die Abende verbrachten. Dass es dabei munter und witzig herging, musste ich den Beteiligten glauben, als Unbeteiligte sah ich aber immer nur den unfrohen Ausklang der fröhlichen Stunden. Zwar trieben sie es gewiss nicht schlimmer als die andern Musensöhne auch, nur dass jene der Mehrzahl nach nicht unter den Augen ihrer Mütter lebten. Die meinige konnte sich an das Nachtschwärmen ihrer Söhne nicht gewöhnen und wollte niemals schlafen gehen, bevor sie alle daheim in ihren Betten wusste, wenn es auch noch so spät wurde. Hatte ich sie endlich doch dahin gebracht, dass sie sich niederlegte, so horchte sie schlaflos, bis sie Edgars Tritt auf der Treppe vernahm, denn ihm, für den sie von klein auf am meisten gezittert hatte, galten vor allem ihre Ängste. Im Nu war sie aus dem Bette und auf dem offenen Gang, ich ebenso schnell, in einen Überwurf gehüllt, an ihrer Seite, um den aufgrollenden Sturm zu beschwören. Dabei verdiente ich mir, wie es den Friedensstiftern zu gehen pflegt, bei keinem der beiden Teile Dank, da der eine nur den gestörten schönen Abend, der andere nur die in Sorge durchwachten Stunden sehen wollte. Mamas Raschheit endete gewöhnlich damit, dass der ebenso rasche Sohn alsbald wieder in die Nacht hinausstürmte und erst zum Morgenkaffee nach Hause kam. Mir lag es dann ob, das aufgeregte Mutterherz zu beschwichtigen, sie ins Bett zurückzuführen und bei ihr zu sitzen, bis sie sich in Schlaf gegrämt hatte. Die wunderbare Frau, die bei der Gedankentiefe eines Philosophen nicht mehr weltliche Klugheit als ein Kind besaß, wollte sich niemals überzeugen lassen, dass die Stunde, wo ein Student in erhöhter Stimmung aus dem Wirtshaus kommt, nicht die geeignete ist, ihn vom Wirtshausgehen zu bekehren. Leichter hatten es die jüngeren Brüder, besonders Erwin, der die Kunstschule von Rottenburg besuchte und in den studentischen Kreisen seiner Zeichenkünste und seines heiteren mimischen Talentes wegen ein gern gesehener Gast war. Wenn sich einmal die mütterlichen Vorwürfe über ihn ergossen, so nahm er die kleine leichte Frau singend in den Arm und tanzte mit ihr, bis ihr Wort und Atem ausgingen und ihr Unmut sich in Lachen löste.
Eines Tages bat er mich für einen Streich, den er vorhatte, um mein hübsches hellgraues Straßenkleid. Ich half ihm selber in den Anzug, bemühte mich, seine schlanke Länge mittels eingestopfter Taschentücher etwas ins Weibliche zu runden, gab ihm noch Anleitung, gesittet in den Röcken zu gehen und entließ ihn mit meinem Segen. Der Bengel sah bildhübsch aus, begann aber auch gleich, seine Augen auf eine Weise im Kopf zu drehen, dass mir Arges schwante. Edgar stellte ihn in der Flammerei als eine von auswärts gekommene Base vor, niemand erkannte ihn, und die schöne, geschmeidige Erscheinung erregte natürlich das stärkste Aufsehen, denn es war unerhört, dass ein junges Mädchen aus guter Familie des Abends unter den Studenten saß. Das Dämchen kokettierte gewaltig, zechte, rauchte, ließ sich mit jedem einzelnen heimlich ein und gab Betulichkeiten betulich zurück. Ein hübscher, etwas leichtsinniger Philologe jedoch sah sich für den Meistbegünstigten an und fing ernstlich Feuer. Seine Huldigungen wurden so stürmisch, dass Edgar es geraten fand, die gefährliche Verwandte, durch deren Betragen er sich nachgerade etwas bloßgestellt fühlte, geräuschlos verschwinden zu lassen. Der erregte Anbeter stürzte ihr auf die Straße nach und rannte die ganze Stadt nach dem Gegenstand seiner Flamme ab, während