Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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An­blick! lie­ßen mich un­be­frie­digt. Ich war krank nach dem zweck­los Schö­nen, nach Wüs­te und Ur­wald oder nach der stren­gen mo­nu­men­ta­len Land­schaft des Sü­dens mit ar­chi­tek­to­nisch an­ge­leg­ten Gär­ten und Ter­ras­sen aufs Meer. Da­rum be­dräng­te ich mei­nen gu­ten Va­ter, mich in der Va­kanz nur bis Ve­ne­dig zu füh­ren. Ich glaub­te, es müs­se auch ihn glück­lich ma­chen, der doch so ganz an­ders ge­ar­tet war, der in der Ju­gend ein Un­recht an der Hei­mat zu be­ge­hen mein­te, wenn er nur ihre Gren­zen ver­ließ. Aber er konn­te mir kei­nen Wunsch ab­schla­gen. Es wird mir nichts üb­rig­blei­ben, als dem Kin­de den Wil­len zu tun, sag­te er er­ge­ben zu mei­ner Mut­ter. – Doch es soll­te nicht mehr so weit kom­men, und schon die Geld­ver­hält­nis­se hät­ten es ver­wehrt.

      Auch Mama be­griff mei­ne Ab­nei­gung ge­gen die hei­mi­sche Enge nicht, denn da sie die Schran­ken der Erde über­haupt nicht sah, war für sie die Wei­te über­all. Und mein be­stän­di­ges Ver­lan­gen nach ed­ler Form be­griff sie noch we­ni­ger. Sie ge­noss zwar den An­blick schö­ner Men­schen aufs in­nigs­te, wie sie sich auch der ei­ge­nen ad­li­gen Lei­bes­form, die nie­mals we­der mas­sig noch knö­chern wer­den soll­te, mit Be­ha­gen be­wusst war, aber die Form­lo­sig­keit war ihr nicht wie mir ein Au­gen­schmerz. Und alle an­dern ver­stan­den mich noch we­ni­ger; es schi­en nie­mand et­was zu ver­mis­sen.

      Doch einen gab es in Tü­bin­gen, der mich ver­stand und den ich oft in der Stil­le be­such­te, wenn wir auch nicht mit­ein­an­der re­den konn­ten. Sein Denk­mal stand im Bo­ta­ni­schen Gar­ten, es prahl­te laut und stim­mungs­los mit ei­nem Ge­ni­us, der einen ble­cher­nen Stern auf dem Haup­te trug, des­halb ging ich im Bo­gen dar­an vor­über nach dem Fried­hof. Dort, nahe der un­te­ren Mau­er, lag sein Grab. Man muss­te die tief her­ab­hän­gen­den Schlei­er der Trau­er­wei­de auf­he­ben, dann war man in grün­gol­de­ner Däm­me­rung mit dem Schlä­fer al­lein. Ein schma­ler Stein stand schief ein­ge­sun­ken an dem un­ge­pfleg­ten, da­mals halb ver­ges­se­nen Ort. Er trug den Na­men Fried­rich Höl­der­lin und auf der an­dern Sei­te den Vers:

       Im hei­ligs­ten der Stür­me fal­le

       Zu­sam­men mei­ne Ker­ker­wand usw.

      (Ein Vers, der noch aus sei­ner Früh­zeit stammt, da er »worte­rei­cher und lee­rer war«. Man hät­te Tie­fe­res und Ei­ge­ne­res für sei­ne Grab­schrift fin­den kön­nen.)

      Mit ihm re­de­te ich von den Grie­chen. Nur sei­ne im­mer­wäh­ren­de Schwer­mut und Trau­er um jene Le­ben­di­gen teil­te ich nicht. Sie wa­ren ja doch da, wer konn­te sie uns neh­men? Ich ver­gaß nur, dass für ihn die schwä­bi­sche, ja die deut­sche Hei­mat noch viel, viel en­ger ge­we­sen, dass, je wei­ter man zeit­lich zu­rück­ging, de­sto grö­ßer die Form­lo­sig­keit war und all die Din­ge, die sein schön­heit­ver­lan­gen­des Ge­müt so un­säg­lich be­schwer­ten und ver­letz­ten. Hät­te er la­chen kön­nen, ein be­frei­en­des La­chen, er wäre viel­leicht nicht so frü­he un­ter­ge­gan­gen. Aber er wäre auch nicht je­ner Ein­zi­ge ge­wor­den, und sei­ne Stim­me käme nicht wie ein Klang aus an­de­ren Wel­ten zu uns her­über.

      Ich weiß nicht, ob die klei­nen Epi­so­den, die ich hier er­zäh­len will, nicht viel­mehr in die Zeit nach mei­nes Va­ters Tode fal­len. Mein Ge­dächt­nis schiebt sie an die­ser Stel­le ein, weil mir nach­träg­lich al­les Hei­te­re vor je­nem dun­keln Tage zu lie­gen scheint.

      In der Kro­nen­gas­se, schräg­über von un­se­rer Woh­nung, lag eine Stu­den­ten­wirt­schaft, die Flam­me­rei ge­nannt, wo Ed­gar und zu­wei­len auch die jün­ge­ren Brü­der die Aben­de ver­brach­ten. Dass es da­bei mun­ter und wit­zig her­ging, muss­te ich den Be­tei­lig­ten glau­ben, als Un­be­tei­lig­te sah ich aber im­mer nur den un­fro­hen Aus­klang der fröh­li­chen Stun­den. Zwar trie­ben sie es ge­wiss nicht schlim­mer als die an­dern Mu­sensöh­ne auch, nur dass jene der Mehr­zahl nach nicht un­ter den Au­gen ih­rer Müt­ter leb­ten. Die mei­ni­ge konn­te sich an das Nacht­schwär­men ih­rer Söh­ne nicht ge­wöh­nen und woll­te nie­mals schla­fen ge­hen, be­vor sie alle da­heim in ih­ren Bet­ten wuss­te, wenn es auch noch so spät wur­de. Hat­te ich sie end­lich doch da­hin ge­bracht, dass sie sich nie­der­leg­te, so horch­te sie schlaf­los, bis sie Ed­gars Tritt auf der Trep­pe ver­nahm, denn ihm, für den sie von klein auf am meis­ten ge­zit­tert hat­te, gal­ten vor al­lem ihre Ängs­te. Im Nu war sie aus dem Bet­te und auf dem of­fe­nen Gang, ich eben­so schnell, in einen Über­wurf gehüllt, an ih­rer Sei­te, um den auf­grol­len­den Sturm zu be­schwö­ren. Da­bei ver­dien­te ich mir, wie es den Frie­dens­stif­tern zu ge­hen pflegt, bei kei­nem der bei­den Tei­le Dank, da der eine nur den ge­stör­ten schö­nen Abend, der an­de­re nur die in Sor­ge durch­wach­ten Stun­den se­hen woll­te. Ma­mas Rasch­heit en­de­te ge­wöhn­lich da­mit, dass der eben­so ra­sche Sohn als­bald wie­der in die Nacht hin­aus­stürm­te und erst zum Mor­gen­kaf­fee nach Hau­se kam. Mir lag es dann ob, das auf­ge­reg­te Mut­ter­herz zu be­schwich­ti­gen, sie ins Bett zu­rück­zu­füh­ren und bei ihr zu sit­zen, bis sie sich in Schlaf ge­grämt hat­te. Die wun­der­ba­re Frau, die bei der Ge­dan­ken­tie­fe ei­nes Phi­lo­so­phen nicht mehr welt­li­che Klug­heit als ein Kind be­saß, woll­te sich nie­mals über­zeu­gen las­sen, dass die Stun­de, wo ein Stu­dent in er­höh­ter Stim­mung aus dem Wirts­haus kommt, nicht die ge­eig­ne­te ist, ihn vom Wirts­h­aus­ge­hen zu be­keh­ren. Leich­ter hat­ten es die jün­ge­ren Brü­der, be­son­ders Er­win, der die Kunst­schu­le von Rot­ten­burg be­such­te und in den stu­den­ti­schen Krei­sen sei­ner Zei­chen­küns­te und sei­nes hei­te­ren mi­mi­schen Ta­len­tes we­gen ein gern ge­se­he­ner Gast war. Wenn sich ein­mal die müt­ter­li­chen Vor­wür­fe über ihn er­gos­sen, so nahm er die klei­ne leich­te Frau sin­gend in den Arm und tanz­te mit ihr, bis ihr Wort und Atem aus­gin­gen und ihr Un­mut sich in La­chen lös­te.

      Ei­nes Ta­ges bat er mich für einen Streich, den er vor­hat­te, um mein hüb­sches hell­grau­es Stra­ßen­kleid. Ich half ihm sel­ber in den An­zug, be­müh­te mich, sei­ne schlan­ke Län­ge mit­tels ein­ge­stopf­ter Ta­schen­tü­cher et­was ins Weib­li­che zu run­den, gab ihm noch An­lei­tung, ge­sit­tet in den Rö­cken zu ge­hen und entließ ihn mit mei­nem Se­gen. Der Ben­gel sah bild­hübsch aus, be­gann aber auch gleich, sei­ne Au­gen auf eine Wei­se im Kopf zu dre­hen, dass mir Ar­ges schwan­te. Ed­gar stell­te ihn in der Flam­me­rei als eine von aus­wärts ge­kom­me­ne Base vor, nie­mand er­kann­te ihn, und die schö­ne, ge­schmei­di­ge Er­schei­nung er­reg­te na­tür­lich das stärks­te Auf­se­hen, denn es war un­er­hört, dass ein jun­ges Mäd­chen aus gu­ter Fa­mi­lie des Abends un­ter den Stu­den­ten saß. Das Däm­chen ko­ket­tier­te ge­wal­tig, zech­te, rauch­te, ließ sich mit je­dem ein­zel­nen heim­lich ein und gab Be­tu­lich­kei­ten be­tu­lich zu­rück. Ein hüb­scher, et­was leicht­sin­ni­ger Phi­lo­lo­ge je­doch sah sich für den Meist­be­güns­tig­ten an und fing ernst­lich Feu­er. Sei­ne Hul­di­gun­gen wur­den so stür­misch, dass Ed­gar es ge­ra­ten fand, die ge­fähr­li­che Ver­wand­te, durch de­ren Be­tra­gen er sich nach­ge­ra­de et­was bloß­ge­stellt fühl­te, ge­räusch­los ver­schwin­den zu las­sen. Der er­reg­te An­be­ter stürz­te ihr auf die Stra­ße nach und rann­te die gan­ze Stadt nach dem Ge­gen­stand sei­ner Flam­me ab, wäh­rend

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