Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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durch sei­ne Wun­der­lich­kei­ten ge­pei­nigt hat­te, weil er je­nem auch äu­ßer­lich noch so ähn­lich sah. Dass nach sei­nem Über­gang von der Phi­lo­lo­gie zur Me­di­zin der schwär­me­ri­sche Blick sei­ner Au­gen nach und nach ei­nem Aus­druck durch­drin­gen­der Be­stimmt­heit wich, das voll­zog sich zu lang­sam, um in die Wahr­neh­mung zu fal­len. Ich wuss­te auch vor al­lem nichts von den Her­zens­stür­men, die schon über ihn her­ein­ge­braust wa­ren, und wie Frau­en­lie­be an ihm ge­mo­delt hat­te. Und die dä­mo­ni­schen Plötz­lich­kei­ten, de­nen man aus­wei­chen muss­te, lie­ßen den dar­un­ter ver­bor­ge­nen, straff ge­spann­ten und ste­ti­gen Wil­len nicht in sei­ner wah­ren Be­deu­tung er­schei­nen. An die Schnel­lig­keit sei­ner wis­sen­schaft­li­chen Ent­wick­lung aber war man schon so ge­wöhnt, dass sich nie­mand groß ver­wun­der­te, ihn mit 21 Jah­ren als As­sis­tenz­arzt an der ge­burts­hilf­li­chen Kli­nik zu se­hen, wo er sei­ne Al­ters­ge­nos­sen und zum Teil noch äl­te­re Stu­die­ren­de zu Schü­lern hat­te.

      Im Jahr, das auf mei­nes Va­ters Tod folg­te, kam Ernst Mohl von ei­ner Hof­meis­ter­stel­le in der Pfalz noch ein­mal zur Vollen­dung sei­ner Stu­di­en auf kür­ze­re Zeit nach Tü­bin­gen zu­rück. Und jetzt mach­te die­ser Freund mei­ner Tu­gend, der stets für die Be­dürf­nis­se mei­ner Na­tur das meis­te Ver­ständ­nis ge­zeigt und mich durch sei­nen Glau­ben ge­stützt hat­te, mir ein Ge­schenk, das mich auf alle Jah­re mei­nes Le­bens be­rei­chern und er­he­ben soll­te: er un­ter­rich­te­te mich im Grie­chi­schen.

      Den Ho­mer in der Ur­spra­che zu le­sen, war mein al­ter Wunsch, al­lein die Zeit, die vor uns lag, war knapp, und ich zwei­fel­te, ob es mög­lich sein wür­de, in der Schnel­lig­keit so weit zu kom­men. Der un­ter­neh­men­de Leh­rer aber war sei­ner Sa­che si­cher. Wir be­gan­nen nach kur­z­er Vor­be­rei­tung mit dem Xe­no­phon, der mir durch sei­ne im­mer wie­der­keh­ren­den Wen­dun­gen schnell einen ge­wis­sen Wort- und For­men­schatz über­mit­tel­te. Wäh­rend des Som­mers wur­den vier Bü­cher der Ana­ba­sis ge­le­sen. Dann un­ter­brach eine Rei­se nach Wien die Stu­di­en, die noch kaum zwei Mo­na­te ge­dau­ert hat­ten. Als ich, er­füllt von den Ein­drücken der Kai­ser­stadt, vom Burg­thea­ter mit der Wol­ter und Le­wins­ky und nicht am we­nigs­ten vom Wurstl­pra­ter, zu­rück­kehr­te, wur­de das Grie­chi­sche frisch auf­ge­nom­men. Und zwar ging es jetzt ohne wei­te­res ans Ziel mei­ner Wün­sche, die Ili­as, die mir von den bei­den wun­der­ba­ren Ge­dich­ten im­mer das un­ver­gleich­lich hö­he­re war. Die Be­geis­te­rung für den In­halt trieb uns mit Sturm­schrit­ten vor­wärts. Am ers­ten Tag wur­den fünf­und­zwan­zig Zei­len ge­le­sen, am nächs­ten fünf­zig, am drit­ten hun­dert, und je­den Tag wur­de nun die Zahl ver­dop­pelt, bis wir da­hin ka­men, in ei­ner je­wei­li­gen Sit­zung einen gan­zen Ge­sang auf­zu­ar­bei­ten, wenn es auch bis zum Abend dau­er­te. Da der Um­trieb im ge­mein­sa­men Wohn­zim­mer da­bei zu stö­rend war und die spar­sa­me Jo­se­phi­ne in dem kal­ten Früh­win­ter kein zwei­tes Zim­mer hei­zen woll­te, brach­te der eif­ri­ge Leh­rer zu­wei­len ein paar Schei­ter aus sei­nem ei­ge­nen Vor­rat un­ter dem Man­tel mit, was dann doch die Stren­ge der sor­gen­den Schaff­ne­rin zum Schmel­zen brach­te, dass sie uns ein ru­hi­ges Lern­stüb­chen wärm­te. Un­be­schreib­lich war mein Ent­zücken am Ur­text mei­ner Lieb­lings­dich­tung. Der treff­li­che alte Voß hat­te mir ja mit dem In­halt wohl auch die Ehr­wür­dig­keit der ho­me­ri­schen Spra­che über­mit­telt, aber er konn­te nur ihr Al­ter wie­der­ge­ben, nicht ihre Ju­gend, weil ihm kei­ne jun­ge Spra­che zur Ver­fü­gung stand. Wie an­ders klang das al­les nun im Grie­chi­schen! Aus je­dem Wort und je­dem Par­ti­kel­chen ström­te Ju­gend her­ein, eine Ju­gend, wie es seit­dem kei­ne mehr auf der Welt ge­ge­ben hat. Oft war es, wie wenn ein Kind in sei­ner bil­der­haf­ten Un­schuld­spra­che Din­ge re­det, in de­nen sich ein hö­he­rer Sinn spie­gelt. Da, wo Hek­tor die War­nung des un­güns­ti­gen Vo­gel­flugs zu­rück­weist, lässt Voß den Hel­den ant­wor­ten:

      Ein Wahr­zei­chen nur gilt: fürs Va­ter­land tap­fer zu kämp­fen.

      Wa­cker und gut. Aber wie lau­te­te nun die Stel­le bei Ho­mer?

       Ein Vo­gel ist der bes­te: die Hei­mat be­schir­men.

      Es war, als ob mit­ten in dem har­ten deut­schen Frost­wet­ter der schö­ne grie­chi­sche Vo­gel leib­haft zum Fens­ter her­ein­ge­flat­tert käme, dass ich vor Über­ra­schung einen Schrei aus­stieß. In nicht mehr als drei­ßig Ta­gen wur­de die gan­ze Ili­as mein, eine Meis­ter­leis­tung des Leh­rers, die ihm spä­ter nie­mand glau­ben woll­te. Die Brü­der, die min­des­tens ihre vier Jah­re im Gym­na­si­um hat­ten schan­zen müs­sen, be­vor sie über­haupt an den Ho­mer ka­men, schüt­tel­ten un­gläu­big die Köp­fe und är­ger­ten sich doch zu­gleich ein we­nig über die von ih­nen ver­brauch­te Zeit; be­son­ders Al­fred räch­te sich am Leh­rer und an der Schü­le­rin durch spöt­ti­sche Be­mer­kun­gen. Al­lein wir lie­ßen uns nicht stö­ren. Wenn es auch et­was holt­er­pol­ter durch die Gram­ma­tik ging, so war doch der Leh­rer zu ge­wis­sen­haft, um mei­ne Fin­dig­keit im Er­ra­ten des Sin­nes durch­ge­hen zu las­sen; es muss­te jede schwie­ri­ge Form vor­ge­nom­men und ge­nau­er un­ter­sucht wer­den, be­vor er mei­ne Un­ge­duld wei­te­rei­len ließ. Da­her mir trotz dem von den Brü­dern be­män­gel­ten Lauf­schritt der Geist der Spra­che recht wohl auf­ging, wenn ich auch na­tür­lich in der Gram­ma­tik nicht sat­tel­fest wer­den konn­te wie sie. Aber ein wie viel grö­ße­rer Le­bens­ge­winn floss mir aus den karg be­mes­se­nen Stu­di­en zu, als ih­nen die dau­er­haf­te­re Kennt­nis der un­re­gel­mä­ßi­gen Ver­ba und der si­che­re Ge­brauch des Ao­rists ge­wäh­ren konn­te. Mei­ne glück­se­li­gen Kin­der­ta­ge ka­men mir noch ein­mal in ver­stärk­tem Glan­ze zu­rück. Da stand wie­der das un­s­terb­li­che Roß des Achil­leus, wie es die wal­len­de Mäh­ne trau­ernd durch das Joch senkt, wäh­rend es dem Halb­gott sein na­hes Ende ver­kün­digt. Und ich ver­stand jetzt kla­rer, was mich am Bil­de die­ses Hel­den von je­her so ein­zig ge­fes­selt hat­te: dass es kei­ne hö­he­re Ver­kör­pe­rung des Idea­lis­mus durch die Poe­sie gibt als ihn. Sämt­li­che Ge­stal­ten der Ili­as sind nach dem Le­ben ge­bil­det von dem viel­re­den­den Ne­stor bis zu dem ro­hen Drauf­gän­ger Dio­me­des, von Odys­seus ganz zu schwei­gen, aus dem der grie­chi­sche Mensch mit sei­nem ge­schicht­li­chen Cha­rak­ter blickt. Achill al­lein ist nicht aus der Er­fah­rung, son­dern aus der See­le ge­holt. In ihm se­hen wir, wie das ad­ligs­te al­ler Völ­ker sich den ad­ligs­ten al­ler Men­schen dach­te. (Die grie­chi­sche Ge­schich­te hat nur ei­nen her­vor­ge­bracht, der an ihn er­in­nert: Alex­an­der, in dem man mit­un­ter die be­wuss­te An­glei­chung zu spü­ren glaubt.) Als Sohn der zar­tes­ten Göt­tin ver­bin­det der He­ros das Fein­ge­fühl mit dem Dä­mo­ni­schen und er­scheint durch­weg auf das Ge­müts­le­ben ge­rich­tet. Nicht die Ta­ten des Achil­leus will Ho­mer sin­gen, son­dern sei­nen Zorn. Da­rum wird er nur ge­gen das Ende kämp­fend ein­ge­führt, wäh­rend man die an­dern im­mer beim Tot­schla­gen sieht. In­des jene wür­gen, sitzt er am Meer und spielt die Lei­er, aber es ist da­für ge­sorgt, dass wir nicht ver­ges­sen, wie ohne ihn nichts Rech­tes ge­sche­hen kann. Je­des Lob der an­dern wird ein­ge­schränkt durch den Zu­satz »nach dem ta­del­lo­sen Achil­leus«, wie der Kö­nig von je­dem Zins den Lö­wen­an­teil emp­fängt; nur die Schlau­heit wird ihm ab­ge­spro­chen: sie ge­hört

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