Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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zu las­sen, dass sein So­li­man da­ne­ben Schritt ge­hen konn­te. Die Mäh­ne mei­nes pracht­vol­len Tie­res weh­te da­bei hoch­auf und flog wie Gold­staub durch die Luft, die Hufe dröhn­ten und blitz­ten. Die­ses Kunst­stück er­schi­en den wa­cke­ren Bür­gers­leu­ten als eine ge­woll­te Her­aus­for­de­rung und trug mir das grim­me Miss­fal­len des da­ma­li­gen Stad­t­ober­haup­tes ein. Un­ser Haus­wirt, der wa­cke­re Pole Gen­schow­sky, der mein be­son­de­rer Freund war, hat­te alle Not, im Ge­mein­de­rat un­se­re Fa­mi­lie ge­gen die Maß­re­ge­lun­gen in Schutz zu neh­men, mit de­nen der Hoch­mö­gen­de mir von Amts we­gen das Rei­ten zu ver­lei­den such­te. Die Gas­sen­ju­gend war mir gleich­falls feind­lich; die­se klei­nen Un­hol­de ge­hö­ren ja im­mer zu den stärks­ten Ver­fech­tern des Vor­ur­teils. Als ich spä­ter nach viel­jäh­ri­ger Ab­we­sen­heit wie­der ein­mal aus der Frem­de kam, be­trach­te­te ich mit ei­ner Art von Rüh­rung die neu­en, in der Stra­ße spie­len­den Blond­köp­fe, weil von die­sen we­nigs­tens kei­ner je mit Stei­nen nach mir ge­wor­fen hat­te. Ei­nen See­len­trost aber trug ich da­von, als ei­nes Ta­ges im Mühl­gäss­chen ein ein­fa­cher Mann mich an­sprach, um mir zu sa­gen, er sei ein al­ter Un­ter­of­fi­zier der Ka­val­le­rie und er füh­le sich ge­drun­gen, mir we­gen mei­ner Zü­gel­füh­rung sei­ne Hochach­tung aus­zu­spre­chen. Das fach­män­ni­sche Lob trös­te­te mich über vie­le Krän­kun­gen.

      Mein Grie­chisch­ler­nen hat­te die Ge­mü­ter auch nicht mil­der ge­gen mich ge­stimmt. Ich hät­te die­sen Schatz ja ger­ne als tiefs­tes Ge­heim­nis ge­hü­tet, wäre das bei dem Tem­pe­ra­ment mei­ner Mut­ter mög­lich ge­we­sen. Un­wis­sen­heit galt da­mals noch als be­son­de­re Zier­de der deut­schen Jung­frau, die noch ganz un­ter dem Ban­ne des Gret­che­n­ideals stand; an kei­ner­lei geis­ti­gen Din­gen durf­te sie ir­gend­wel­chen An­teil äu­ßern, und große Na­men muss­ten ihr so un­ge­läu­fig sein, dass sie mit der Zun­ge dar­über stol­per­te. Schon Ham­let kann­te den Pfiff. »Ihr stellt euch aus Ei­tel­keit un­wis­send, gebt Got­tes Eben­bil­dern ver­hunz­te Na­men.« Wenn Frau­en­ly­rik an die Öf­fent­lich­keit trat, so muss­te sie ganz zahm und haus­ba­cken sein oder in form­lo­se Emp­fin­de­lei zer­flie­ßen. Hey­se und Bo­dens­tedt be­müh­ten sich da­mals ver­geb­lich, ein paar Ge­dich­te von mir in ich weiß nicht mehr wel­chen Al­ma­nach zu brin­gen. Der Ver­le­ger ver­wei­ger­te die Auf­nah­me, er fand die Spra­che für ein jun­ges Mäd­chen zu kraft­voll. Da war es denn schließ­lich auch kein Wun­der, wenn die gute Stadt Tü­bin­gen sich da­ge­gen auf­lehn­te, dass es in ih­ren Mau­ern eine Fa­mi­lie gab, die ihre ein­zi­ge Toch­ter un­ter geis­ti­gen und kör­per­li­chen Übun­gen auf­wach­sen ließ wie ein Fürs­ten­kind der ita­lie­ni­schen Re­naissance oder sa­gen wir schlecht­weg: wie ein jun­ges Mäd­chen des da­mals noch un­ge­bo­re­nen 20. Jahr­hun­derts.

      Ein Trop­fen brach­te end­lich die Scha­le zum Über­flie­ßen. Wenn ich in den hei­ßen Som­mern so Tag für Tag die Brü­der zu dem großen Schwimm­be­cken, ge­nannt die Bad­schüs­sel, ei­len sah, wäh­rend die Da­men sich mit den en­gen Ba­de­hütt­chen am Neckar be­gnü­gen muss­ten, ohne Ge­le­gen­heit, das Schwim­men zu er­ler­nen, stieg in mir nach und nach der um­stürz­le­ri­sche Ge­dan­ke auf, den Se­nat zu bit­ten, dass we­nigs­tens an ei­nem Tag der Wo­che, und wäre es auch nur für ei­ne Stun­de, das Schwimm­bad den Män­nern ver­schlos­sen und dem weib­li­chen Ge­schlecht zur Ver­fü­gung ge­stellt wer­de. Der städ­ti­sche Schwimm- und Turn­leh­rer und eine lie­bens­wür­di­ge jun­ge Pro­fes­sors­gat­tin von aus­wärts wa­ren mei­ne Mit­schul­di­gen. Den bei­den scha­de­te es in der öf­fent­li­chen Mei­nung wei­ter nichts, die gan­ze Ent­rüs­tung wand­te sich ge­gen mich als die An­stif­te­rin des un­sitt­li­chen Vor­schlags. Wie, man woll­te die Fan­ta­sie der männ­li­chen Ju­gend beim Ba­den durch die Vor­stel­lung ver­gif­ten, dass in die­sem sel­ben Was­ser­be­cken sich kurz zu­vor jun­ge Mäd­chen­lei­ber ge­tum­melt hat­ten? Und wenn gar ei­ner oder der an­de­re sich im Ge­büsch ver­ste­cken wür­de, um heim­lich dem Schwim­mun­ter­richt der Da­men zu­zu­se­hen? Der Un­ter­gang al­ler gu­ten Sit­ten stand vor der Tür, wenn mir ge­stat­tet wur­de, dem Un­we­sen des Rei­tens, dem man nicht hat­te steu­ern kön­nen, das noch är­ge­re des Schwim­mens hin­zu­zu­fü­gen. Eine wür­di­ge Ma­tro­ne über­nahm es, mir im Na­men sämt­li­cher Müt­ter und sämt­li­cher Töch­ter ihr Quous­que tan­dem, Ca­ti­li­na! – zu deutsch: Wo hin­aus mit dir, du Schäd­ling am Ge­mein­we­sen? – zu­zu­ru­fen. Es war ei­ner der schick­sals­vol­len Au­gen­bli­cke, wo ein klei­ner An­stoß eine lan­ge ver­zö­ger­te Ab­sicht zum Durch­bruch bringt. Sie hat­te noch nicht aus­ge­spro­chen, so stand in mir der Ent­schluss fest, nun­mehr Tü­bin­gen auf ganz zu ver­las­sen.

      Es war hohe und höchs­te Zeit, dass ein­mal ein ent­schei­den­der Le­bens­schritt ge­sch­ah, von dem bis­her nur die Wär­me des müt­ter­li­chen Nes­tes den flüg­ge ge­wor­de­nen Vo­gel zu­rück­ge­hal­ten hat­te. Ein Puff war dazu nö­tig, und ich dan­ke es der wa­cke­ren Klein­städ­te­rin von Her­zen, dass sie ihn mir gab. Ich hat­te ja doch al­ler­lei ge­lernt, Spra­chen und an­de­res, wo­mit ich aus­wärts eben­so gut und bes­ser vor­wärts kom­men konn­te als da­heim. Wo­hin ich woll­te, wuss­te ich gleich­falls, denn ich hat­te schon bei wie­der­hol­ten Be­su­chen in Mün­chen den Bo­den ab­ge­tas­tet und die Hoff­nung ge­schöpft, dort Fuß fas­sen zu kön­nen. Dass Er­win mir dort­hin vor­an­ge­gan­gen war als Zög­ling der Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te, er­leich­ter­te mei­ner Mut­ter die Tren­nung, denn sie konn­te die Ge­schwis­ter eins in des an­de­ren Ob­hut emp­feh­len. Auch ich riss mich ge­tros­ten Mu­tes los, weil sie mich als Stüt­ze in häus­li­chen Stür­men nicht mehr brauch­te. Es gab de­ren kei­ne mehr. Ed­gar und Al­fred, die ehe­mals feind­li­chen Brü­der, be­gan­nen jetzt in ihre le­bens­lan­ge Freund­schaft hin­ein­zu­wach­sen. Und an un­se­res Bal­de Kran­ken­bett wa­ren die bei­den Me­di­zi­ner nütz­li­cher als ich.

      Der arme, so lie­bens­wür­dig an­ge­leg­te Jun­ge, der in der Pau­se zwi­schen den Krank­heits­stür­men ängst­lich ge­schont und ge­hü­tet wer­den muss­te, hat­te rein gar nichts von sei­nem jun­gen Le­ben als die auf­op­fern­de Lie­be sei­ner Mut­ter. Die­se nahm er mit der Nai­vi­tät des Kran­ken ganz für sich in Be­schlag. Wenn er nicht sel­ber le­sen konn­te, worin er un­er­müd­lich war, so muss­te sie ihm Tage und hal­be Näch­te lang vor­le­sen oder Ge­schich­ten er­zäh­len. Zu­wei­len durf­te ich sie ab­lö­sen. Ich ver­ein­fach­te dann das Ver­fah­ren, in­dem ich das Buch, das er zu ken­nen ver­lang­te, rasch durch­flog und ihm den In­halt er­zähl­te. Ei­nes Ta­ges wünsch­te er, dass ich ihm Bret Har­tes Gol­de­ne Träu­me, eine im »No­vel­len­schatz des Aus­lands« er­schie­ne­ne Gold­grä­ber­ge­schich­te, vor­le­se. Da mir die Zeit dazu ge­brach, gab ich vor, das Buch schon zu ken­nen, und er­zähl­te ihm schlank­weg ein Mär­chen von gol­de­nen Träu­men, das ich aus dem Steg­reif er­fand. Die­ses Mär­chen mach­te ihm so viel Ver­gnü­gen, dass ich es im­mer aufs neue er­zäh­len und schließ­lich mit den­sel­ben Wor­ten für ihn nie­der­schrei­ben muss­te. Es war das ers­te­mal, dass ich in Pro­sa schrieb; ich hat­te bis­her ge­glaubt, mich nur me­trisch aus­drücken zu kön­nen. Ohne des kran­ken Bru­ders in­ni­ge Freu­de an den Gol­de­nen Träu­men, die den An­fang mei­nes spä­te­ren Mär­chen­buchs bil­de­ten, wäre ich viel­leicht nie auf die­sen Weg ge­kom­men.

      Auf

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