Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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München
Es waren freundliche Sterne, die das junge Mädchen nach München führten. Ich fand von vornherein herzlichen Anschluss an zwei Familien, die mich zuvor schon als Gast beherbergt hatten, die des berühmten Rechtslehrers v. Brinz, eines köstlich frischen, tatfrohen Österreichers, und seiner seelenvollen Gattin, die uns von Tübingen her nahestanden, sowie an das Ludwig Bareißsche Haus, jenes Urbild altschwäbischer Gastlichkeit, das um jene Zeit unsern alten Freund Ludwig Pfau als Dauergast beherbergte. Dieser erwies mir nun den Liebesdienst, mich in die Münchner Schriftsteller- und Künstlerkreise einzuführen, vor allem in das Haus des Komponisten Robert v. Hornstein, dessen entzückende Frau mich alsbald unter ihre Fittiche nahm. Baronin Hornstein war eine feenhafte Persönlichkeit, in der sich Schönheit, Anmut, Seelengüte, Mutterwitz mit dem leichtbeweglichen rheinischen Naturell zu einer unvergleichlichen Mischung vereinigten. Wer diese Frau gesehen hatte, der konnte desselben Tages nicht mehr traurig sein; sie hielt immerdar ein unsichtbares Füllhorn in der Hand, aus dem der Segen auf alles, was ihr nahetrat, strömte. Sie kam gleich, zu sehen, wie ich untergebracht sei, und da ihr mein Ofen kein Zutrauen einflößte, schickte sie mir einen aus ihrem eigenen Haushalt. Zuneigung ist eine Sache, die sich auf magnetischem Wege mitteilt, sie füllt die Luft und braucht nicht ausgesprochen zu werden. So ging es mir mit Charlotte v. Hornstein. Ich wusste sogleich, dass ich dieser Frau unbedingt vertrauen durfte und dass ich sie nie wieder aus meinem Leben verlieren würde. Sie erwies mir die Auszeichnung, mich gleich als ständigen Gast zu ihrem berühmten Sonntagskaffee einzuladen, wo ich als einziges junges Mädchen unter lauter reiferen Frauen und den Spitzen der Münchner Künstler- und Gelehrtenwelt saß. Der Hausherr war äußerlich das völlige Widerspiel seiner eleganten, glänzenden Gattin. Klein, unansehnlich, von wenig gepflegtem Anzug, schweigend, wenn er nicht etwas Besonderes zu sagen hatte, zog er doch mit seinem köstlichen Humor und seiner geistreichen Urwüchsigkeit stets die Lacher auf seine Seite. Er schwäbelte ein wenig und hatte bei seiner Abstammung von einem alten reichsfreiherrlichen Geschlecht den allerdemokratischsten Hang im Blute, der ihn zwang, von Zeit zu Zeit für ein paar Tage wie ein Handwerksbursch auf die Wanderung zu gehen und sich unter dem Volke umherzutreiben. Solche Nahrhaftigkeit und Freude an allem Ursprünglichen bei altadligem Geblüt und großer seelischer Verfeinerung heimelte mich von meiner Mutter her an, und ich schloss mit ihm noch eine Sonderfreundschaft, wie in der Folge mit allen Gliedern seiner Familie.
Noch eine andere der gefeierten Münchner Frauen nahm sich des jungen, alleinstehenden Mädchens mit Wärme an, die durch selbstständiges Denken und männliche Charaktereigenschaften sowie durch ihre strenge Schönheit ausgezeichnete Rosalie Braun-Artaria, die mir auch einen ernsteren geistigen Austausch bot und deren Freundschaft mich gleichfalls durchs Leben begleiten sollte. Damit war der Eingang in die sonst so abgeschlossene Münchner Gesellschaft gefunden, und manches glänzende Haus öffnete mir seine gastlichen Pforten. Aber auch wenn es anders gewesen wäre, der bloße Umstand, dass ich keinen kleinstädtischen Missverständnissen mehr ausgesetzt und nur noch für mein eigenes Tun und Lassen verantwortlich war, ließ mich aufatmen. Nur was ich mir von Kindheit an so innig ersehnt hatte, das volle »Dazugehören«, fand ich auch in München nicht. War’s die Folge der langen Verkennung und Anfeindung, war’s, dass ich mich jetzt als einzige Werdende unter lauter Gereiften, Fertigen befand, oder war’s mir angeboren? Ich konnte mich nur als liebevoll empfangenen Gast, nicht als Mitglied des erlesenen Kreises empfinden, und das Gefühl des Fremdseins, das immer und überall mit mir ging, verließ mich auch in München nicht. Was der empfindsamen Kindesseele Leides zugefügt worden ist, das hinterlässt eine Narbenschrift, die schwer verlöscht. Und ich brauchte auch noch größeren Raum, um zu wachsen.
Dass Paul Heyses von edelstem künstlerischem Geschmack regiertes Haus, wo die junge, sehr schöne, von ihm angebetete Frau anmutig thronte, mir gleichfalls gastlich offen stand, ergab sich aus seiner engen Freundschaft mit meinem verstorbenen Vater von selbst. Heyse, in seiner lange bewahrten Jugendlichkeit selber noch ein schöner und gewinnend liebenswürdiger Mann, herrschte widerspruchslos in der Gesellschaft wie in der Literatur, wo sich ja sein Einfluss bis in die Schreibart herunter bemerkbar machte. Als ein Meister der Rede hatte er mit seiner hohen Kultur und seinem ganz norddeutsch gerichteten Witz, der in hundert Fassetten funkelte und auch das Wortspiel bis herab zum Kalauer nicht verschmähte, in jedem Gespräch die Oberhand, wobei er doch nie die vornehme Verbindlichkeit außer acht ließ, die ihn zu einer wahrhaft fürstlichen Erscheinung machte. Dieser spielerischen Grazie, die das Wort als Selbstzweck behandelte, waren die süddeutschen Zungen nicht gewachsen. Zwar im schlagenden Einfall war ihm Franz Lenbach, im leichten gesellschaftlichen Geplänkel die Baronin Hornstein ebenbürtig. Aber bei schärferen Redekämpfen fand sich niemand, der ihm die Stange hielt, und es war ein Schauspiel, Heyse in solchen Augenblicken zu sehen. Einer so bestechenden Dichterpersönlichkeit konnte eine begeisterte weibliche Gemeinde nicht fehlen, die ihm stets unbedingt beipflichtete und sich geistig ganz nach ihm gemodelt hatte. An der Tochter seines Freundes, der er bisher aus der Ferne eine Art literarischer Vormund gewesen war. fand er aber im persönlichen Verkehr ein unlenksames Mündel. Zwar seinen Rat, keine Gedichte drucken zu lassen, ehe ein ausgereifter Band beisammen wäre, habe ich weislich befolgt und ihm zeitlebens gedankt. Im übrigen aber wehrte ich mich gewaltig gegen sein Übergewicht. Was er meinem Vater gewesen, in dessen verdüstertes Leben er den letzten tröstlichen Abendschimmer