Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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ge­gen mei­ne Stel­lung be­fahl. Als Roß und Rei­te­rin ru­hig blie­ben, war er mit mei­nen Ner­ven zu­frie­den. Da sah man denn des öf­te­ren einen lan­gen Rei­ter­zug durch die Stra­ßen stamp­fen mit ei­nem blon­den Mägd­lein an der Spit­ze ne­ben dem Stall­meis­ter, ein in Tü­bin­gen nie da­ge­we­se­ner An­blick. Es tat mir leid, mei­nen Mit­bür­gern, die oh­ne­hin an dem Tone un­se­res Hau­ses so viel aus­zu­set­zen fan­den, ein er­neu­tes Är­ger­nis ge­ben zu müs­sen, al­lein ich konn­te doch un­mög­lich war­ten, bis ihre An­schau­un­gen sich so weit ge­wan­delt hat­ten, dass sie an ei­ner Dame zu Pferd kei­nen An­stoß mehr nah­men, was noch Jahr­zehn­te dau­ern soll­te. Es wäre auch zu scha­de ge­we­sen. Jene Mor­gen­frü­hen, wo es durch die schla­fen­de Stadt hin­aus­ging in Fel­der und Wäl­der, die noch im Tau fun­kel­ten, und wo die Pfer­de mit Freu­den­ge­wie­her den weit auf­ge­hen­den Raum be­grüß­ten, möch­te ich nicht um vie­les in mei­ner Erin­ne­rung miss­en; es war ein Ge­fühl wie von Herr­schaft über die Erde.

      Im Stall be­fand sich ein statt­li­cher Rapp­hengst, auf den ich we­gen sei­nes schö­nen, rund­ge­bo­ge­nen Hal­ses mit der wal­len­den Mäh­ne gleich ein Auge ge­wor­fen hat­te. Er hieß Sha­les, war eng­li­sches Halb­blut mit sehr gu­tem Stamm­baum, aber per­sön­lich ein lau­nen­haf­ter, tücki­scher Ge­sell, des­sen un­gu­te Cha­rak­terei­gen­schaf­ten sich auch auf alle sei­ne Nach­kom­men ver­erb­ten, dass im Lan­des­ge­stüt noch lan­ge da­nach die Bos­hei­ten des Sha­less­chen Ge­schlechts wohl­be­kannt blie­ben. Ein­mal sperr­te er mich, als ich ihm freund­lich in sei­nen Stand ein Stück Zu­cker brach­te, ein, in­dem er mir mit den Hin­ter­bei­nen den Aus­gang ver­schloss. Kein Zu­re­den half, auch die Reit­knech­te wa­ren macht­los, erst die Kom­man­do­stim­me sei­nes Ge­bie­ters be­wog ihn, mich wie­der frei­zu­ge­ben. Ich war je­doch ver­liebt in den Sha­les und nahm ihm sei­ne Un­ar­ten nicht übel. Und ich lag im­mer aufs neue dem Stall­meis­ter in den Ohren, ein­mal den Sha­les für mich sat­teln zu las­sen, was er als zu ge­fähr­lich ab­lehn­te.

      Ei­nes Mor­gens kam mei­ne Mut­ter noch im Dun­keln an mein Bett und bat mich drin­gend, nur heu­te nicht aus­zu­rei­ten: sie habe mich so­eben im Traum auf ei­nem durch­ge­gan­ge­nen schwar­zen Pfer­de ge­se­hen, in wil­dem Ga­lopp auf der Land­stra­ße hin­ra­send. Ich be­teu­er­te ihr, dass sie völ­lig ru­hig sein dür­fe, weil der ein­zi­ge Rap­pe, der in Be­tracht käme, mir noch ganz kürz­lich rund­weg ver­wei­gert wor­den sei. Das ängst­li­che Mut­ter­herz woll­te sich schwer zu­frie­den­ge­ben und blick­te mir vom Fens­ter nach, so­lan­ge ich mit der Ger­te in der Hand, das lan­ge Reit­kleid über den Arm ge­schla­gen – man trug da­mals noch die tief her­ab­wal­len­den Reit­klei­der, die zwar sehr schön, aber auch sehr ge­fähr­lich wa­ren –, die Kro­nen­gas­se hin­un­ter­schritt. Im Reit­stall fand ich einen der ro­trö­cki­gen Knech­te, der noch halb­ver­schla­fen zu mei­ner höchs­ten Über­ra­schung so­eben dem Sha­les den Da­men­sat­tel auf­leg­te. Er er­zähl­te, in al­ler Frü­he, noch beim La­ter­nen­schein, sei der Herr Baron her­über­ge­kom­men und habe ihm so be­foh­len. – Heut kön­nen wir was er­le­ben, brumm­te der Mann, der mit sicht­li­chem Wi­der­stre­ben ge­horch­te, das Vieh ist hart­mäu­lig und kommt ja fast im­mer ohne sei­nen Rei­ter heim. Blitz­schnell schoss mir Ma­mas Traum durch den Kopf, doch das Wohl­ge­fal­len an dem stol­zen An­blick des Tie­res dräng­te das Be­den­ken zu­rück. Beim Aus­ritt hieß der Stall­meis­ter mich in der Nach­hut blei­ben, al­lein der Sha­les setz­te sich ge­walt­sam an die Spit­ze, und ich spür­te gleich, dass ich ihn nicht im Zü­gel hat­te. Auf der Stra­ße hielt er sich noch ge­sit­tet, aber kaum wa­ren wir in der Nähe des Wald­hörn­le auf Wie­sen­grund ge­kom­men, der auch die an­de­ren Pfer­de auf­reg­te, so war es mit der Mä­ßi­gung des Sha­les vor­bei, er brach quer über die Wie­se los, er­flog die Bö­schung und rann­te mit mir auf der Land­stra­ße un­auf­halt­sam ge­gen die Stadt zu­rück. Ich hör­te noch den Be­fehl des Stall­meis­ters: Alle zu­rück­blei­ben! dann war ich schon weit hin­weg. Kein Zü­gel wirk­te das ge­rings­te, doch ich saß zum Glück fest und ließ den Sha­les in Got­tes Na­men ren­nen. Es war jetzt ge­nau das Bild, das mei­ne Mut­ter zwei Stun­den zu­vor im Traum ge­se­hen hat­te. Wir wa­ren schon nahe an den Bahn­schran­ken, wo die Sa­che kri­tisch wer­den konn­te, da hör­te ich end­lich die Hufe des Othel­lo hin­ter mir don­nern, was den Sha­les na­tür­lich zu ver­mehr­tem Lau­fe an­trieb. Aber jetzt wur­de er von ei­ner Män­ner­faust ge­packt und in den Zü­geln ge­rüt­telt und be­kam von dem Ger­ten­knauf des Barons einen Hieb um den an­dern auf sei­ne arme Nase, bis ihm das Blut her­un­ter­lief und er end­lich Ver­nunft an­nahm. Zu Hau­se schwieg ich von dem Vor­fall, je­doch der Zü­gel hat­te mir den di­cken Le­der­hand­schuh buch­stäb­lich durch­ge­sägt und in die Hand ein­ge­schnit­ten, auch war mein lin­ker Arm von der An­span­nung so ver­schwol­len, dass er vier­zehn Tage lang un­brauch­bar blieb; so kam Mama all­mäh­lich doch hin­ter die Sa­che. Es war nicht das ein­zi­ge Mal, dass sie Din­ge träum­te, die un­mit­tel­bar da­nach ge­sch­a­hen. Die­se An­la­ge zu Wahr­träu­men hat­te sie auch auf mich ver­erbt, nur dass ihr der Traum den kom­men­den Vor­gang klar er­zähl­te, wäh­rend er ihn mir in ein mehr oder min­der durch­sich­ti­ges Sym­bol zu ver­schlei­ern lieb­te, das sich erst beim Er­wa­chen ent­hüll­te.

      Bald nach dem Aben­teu­er mit dem Sha­les wur­de zu mei­nem Leid Baron Ster­nen­fels von ei­nem Herz­schlag jäh­lings hin­weg­ge­nom­men. Sein Nach­fol­ger, Ritt­meis­ter Haff­ner, war ein ge­müt­lich der­ber al­ter Schnauz­bart, des­sen Ton von dem rit­ter­lich vor­neh­men sei­nes Vor­gän­gers we­sent­lich ab­stach, der aber einen präch­ti­gen ei­ge­nen Stall mit­brach­te. Er war au­ßer sich über die un­lenk­sa­men Zucht­hengs­te, die je­des Mal in den Früh­jahrs­mo­na­ten bei ih­rem ei­gent­li­chen Be­ruf auf den »Plat­ten« wie­der ganz ver­wil­der­ten, auf de­nen er da­her den Stu­den­ten kei­ne fei­ne­re Reit­kunst bei­brin­gen konn­te. Sei­ne Verzweif­lung dar­über pfleg­te sich in dras­ti­scher Wei­se zu äu­ßern. Die­se Hun­de von Hengs­ten, schrie er ein­mal, blau vor Wut, als wie­der al­les durch­ein­an­der ging – und die Esel, die auf den Hun­den sit­zen, es ist eine Schwei­ne­wirt­schaft!

      Zoo­lo­gie schwach, be­merk­te ein ne­ben mir rei­ten­der Me­di­zi­ner.

      Ich ritt nun die fein­ge­schul­ten Tie­re sei­nes ei­ge­nen Stal­les, was frei­lich eine ganz an­de­re Sa­che war. Er be­saß zwei edle ara­bi­sche Hengs­te, den Schim­mel So­li­man, der für mich be­stimmt wur­de, und Ab­del Ke­rim, den Gold­fuch­sen, den er zu­erst ganz al­lein ritt, weil das Tier für schwie­rig galt und in der Tat un­ter sei­nem Herrn, den es nicht zu lie­ben schi­en, im­mer un­ru­hig ging. Es hat­te eben­sol­chen »Schwa­nen­hals« wie der Sha­les und dazu die feu­ri­ge An­mut sei­ner ed­len Ras­se. Mein Wunsch, auch ein­mal den Fuch­sen be­stei­gen zu dür­fen, wur­de an­fäng­lich als un­er­füll­bar ab­ge­lehnt. Aber schließ­lich ge­sch­ah doch, was ich woll­te, und dies­mal wur­de mein Ver­trau­en nicht ge­täuscht. Der Ara­ber war ein rit­ter­li­cher Cha­rak­ter und völ­lig ver­schie­den von dem un­dank­ba­ren Sha­les. Er ging so gern un­ter der leich­teren Last und der wei­che­ren Hand, dass er fort­an mein Lei­broß wur­de und sich wil­lig auch von mir das Ge­biss an­le­gen ließ. Das klu­ge Tier zeig­te ein sicht­li­ches Verant­wort­lich­keits­ge­fühl, so­bald der lan­ge Rei­t­rock an ihm nie­der­wall­te, und mach­te nie­mals mit mir die ge­rings­ten Mätz­chen. Es horch­te so­gar auf un­ser Ge­spräch, denn wenn ich halb­laut den Stall­meis­ter um die Er­laub­nis

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