Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Wie weise der Dichter ihn vom Kampfe aufspart bis zuletzt; der Held wäre gemein, wenn er jetzt nicht, um den Freund zu rächen, über alle Schranken ginge, dass seine Taten mit denen der anderen in gar keinen Vergleich mehr gebracht werden können. Sein Kampf mit dem Stromgott ist ein Stück antiker Romantik inmitten der Sachlichkeit Homers. Der tobende Ausbruch des Helden muss seine nachfolgende schöne Menschlichkeit dem Gemüte desto lebendiger machen, während er doch auch in seinen weichsten Augenblicken noch der Gefährliche bleibt und selber vor dem Dämon, der ihn fortreißen könnte, warnt. Wie er mit dem alten Priamos im Zelte sitzt und die zwei Todfeinde über den Jammer des Kriegs, dessen Opfer sie beide sind und dem sie bei aller Macht keinen Einhalt zu tun vermögen, zusammen weinen, das ist vielleicht das Größte, was der Dichtung jemals gelang.
Auch die homerische Landschaft, die so wunderbar an das Raumgefühl spricht, wirkte mächtig auf die Einbildung. Die Skamanderebene mit den gemauerten Gruben für die troischen Wäscherinnen, wie ich deren später in südlichen Landen viele sehen sollte, und dem ehrwürdigen Male des Ilos, das in eine graue Zeitenferne zurückweisend dadurch die dargestellte Gegenwart so jung und so lebendig macht, das nahe Rauschen der Meerflut, aus der die Thetis steigt, die geheimnisvolle südliche Nacht, die bei dem Schleichgang des Dolon um die Griechenzelte webt: dies alles wurde zur persönlichen Nähe und weckte ein unauslöschliches Verlangen nach dem Boden, aus dem jene ewigen Gesänge gestiegen sind. Damals gaben Lehrer und Schülerin sich das Wort, wenn einmal beide es im Leben zu etwas gebracht hätten, zusammen Griechenland und die Inseln zu bereisen. Ein Menschenleben musste vergehen, bevor das Gelübde erfüllt werden konnte. Als es endlich dahin kam, hielt der griechische Boden noch mehr, als er versprochen hatte, und war zugleich so vertraut, als ob man eine lange vermisste Heimat wiederfände: aus Landschaft und Kunst blickte mich wie durch einen verschönernden Spiegel die deutsche Seele mit an. Vor den noch erhaltenen Werken der großen Zeit ging mir ganz plötzlich das Geheimnis der Griechenkunst auf: dass sie nicht um der Kunst willen da war, sondern um der Religion und dem Vaterlande zu dienen und das Band der Einheit fester zu schlingen. Der griechische Boden predigt mit tausend Zungen, dass kein Mensch sich geistig außerhalb des eigenen Volkstums stellen kann. Und die Hellenen, die mir so oft Lehrmeister gewesen waren, lehrten mich auch, nach einem im Ausland verbrachten Leben wieder Deutsche zu werden.
Wir erleben zur Zeit in der erhöhten völkischen Stimmung wieder einmal einen Ansturm auf die Pflege der Alten. Denen, die da meinen, dass die Beschäftigung mit den Griechen das Gefühl des Deutschtums gefährde, möchte ich einmal sagen dürfen, dass gerade das Gegenteil der Fall ist. Wo der Geschmack nicht von Jugend an auf den großen Stil eingestellt und durch die ewigen Vorbilder des Schönen gefestigt ist, da dringen die ausländischen Modeströmungen am leichtesten ein. Die Französelei unserer Damenwelt hängt eng damit zusammen. Man geht dann ebenso wie an den Griechen an Goethe und Kleist vorüber und nährt sich vom billigen Tageserzeugnis, das allerdings vom Ausland geschickter und besser geliefert wird als von der einheimischen Mache. Dadurch geht viel jugendliches Streben einer echten deutschen Bildung verloren.
Wenn die deutsche Jugend die Urverwandtschaft zwischen Griechen- und Germanentum nicht mehr versteht, so liegt es freilich an der Art, wie sie zumeist mit Homer und den Tragikern bekanntgemacht wird. Seit den Tagen des heiligen Augustin war die Schule aller Länder bestrebt, aus den Griechenwerken die Seele herauszublasen und die Schüler mit der leeren Schale zu peinigen. Die großen Alten selber haben am wenigsten dabei zu verlieren, wenn man sie aus dem staatlichen Unterricht verdrängt. Sie können es abwarten, dass wieder einmal junge Seelen mit neuen Entdeckerwonnen in ihr Heiligtum der ewigen Jugend eindringen. –
Nach Beendigung der Ilias lasen wir noch in ähnlichem Zeitmaß die Antigone und Bruchstücke aus den Lyrikern. Aber der Agamemnon des Äschylos, nach dem mich gleichfalls verlangte, entmutigte mich bald durch seine Schwierigkeiten, und auch den begonnenen Aristophanischen Wolken zeigte sich meine Sprachkenntnis nicht gewachsen.
Um die Weihnachtszeit verließ uns Ernst, um nach Russland zu gehen. Sein Abschied war ein kleines Fest. Mama, die ihre Rührung nicht zeigen wollte, zerdrückte ab und zu im Nebenzimmer eine Träne. Der Scheidende wollte beim Aufbruch ein paar bewegte Worte sagen, aber seine Schülerin schob ihm, als er den Mund öffnete, schnell ein Stück Kuchen hinein und stopfte, während er damit rang, ein zweites nach, dass er zwischen Lachen, Weinen und Kauen nicht mehr zum Sprechen kam. So schied dieser treueste meiner Jugendfreunde auf Jahrzehnte aus meinem Leben.
Das Griechische wurde danach noch eine Zeit lang unter anderer Leitung, aber mehr im philologischen Sinne fortgesetzt, wobei die Poesie hinter der Grammatik zurücktrat. Dagegen gaben Edgar und ich uns das Wort, inskünftige, solange wir noch beisammen wären, jedes Jahr die Antigone gemeinsam in der Ursprache zu lesen, wozu es jedoch nur einmal und bruchstückweise kommen sollte. Mir aber waren und blieben die Griechen mehr als bloße Wegweiser des Schönen; diese herrlich strengen, jeder Willkür abholden Lehrmeister wurden mir auch Erzieher fürs Leben. Sie bildeten mein seelisches Rückgrat, denn in der unbegrenzten Freiheit, in der ich mir selber Maß und Gesetz suchen musste, wäre ich vielleicht ohne sie zerflattert. Sie warnten mich auch, den Fuß nicht allzu fest auf die Erde zu setzen und das Auge nie vor den schaurigen Abgründen zu verschließen, an denen die Blumen des Lebens blühen.
Unzeitgemäßes und was es für Folgen hatte
Noch einmal ging mir in der Heimat ein neues Leben auf, als ich meiner guten Mutter die Erlaubnis abgedrungen hatte, die Reitschule der Universität besuchen zu dürfen. Schon als Kind war ich auf jeden mir erreichbaren Pferderücken gestiegen, und da sich der Hausarzt meinem Wunsche anschloss, um mir bei dem seßhaft gewordenen Leben mehr Bewegung zu verschaffen, wagte sie nicht nein zu sagen. Die Reitschule war als akademische Anstalt nach damaligen Begriffen dem weiblichen Geschlechte verschlossen, daher nie ein Frauenfuß die Reitbahn betrat. Auch wurde mir eingewendet,