Gesammelte Werke. Isolde Kurz
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Isolde Kurz страница 53
Die Zusammenkünfte in der Flammerei gingen immer weiter und die Ängste meiner guten Mutter ebenfalls. Sie sah es deshalb gern, wenn auch unsere jungen Hausfreunde die Flammerei besuchten, denn von jedem hoffte sie, er würde einen günstigen Einfluss üben und die Sitzung abkürzen. Aber jene verfielen alsobald dem Genius loci und blieben ebenfalls sitzen. Darum entzog sie ihnen ihre Gunst und sah immer in dem zuletztgekommenen Verführten den Verführer. Nicht anders erging es unserem Freunde Ernst Mohl. Eines Abends, da die Wirkungen der Flammerei an den jungen Herren gar zu deutlich hervortraten, schloss der ältere Freund sich ihnen als getreuer Eckard auf dem Heimweg an, um den häuslichen Zusammenstoß abzuschwächen. Als sie miteinander nicht eben geräuschlos zur Tür hereinkamen, wollte Mama gleich mit Vorwürfen gegen den vermeintlichen Anstifter losbrechen, aber ich kam zuvor, indem ich selber das Strafgericht übernahm und schließlich den Reuigen verurteilte, des anderen Morgens um neun Uhr mit einem Bußgedicht über das Thema: Der Brand und die Flamme anzutreten.
Dadurch bekam der Auftritt unerwartet eine heitere Wendung. Während jener bußfertig die Strafe auf sich nahm und das Gedicht im Katzenjammer zu schmieden versprach, gewannen die Hauptschuldigen Muße, sich friedlich in ihre Betten zu verziehen.
Richtig stellte sich der Gemaßregelte des anderen Tages zur bestimmten Stunde ein und brachte sein Gedicht, das als lautete:
Der Brand und die Flamme Dass ich, dieweil ich in der Flamme Mir antrank einen kleinen Brand, Obgleich ich sehr noch auf dem Damme, Dir meine Schwäche eingestand, Das hat in dir des Zornes Flamme Zu solchem Übermaß entfacht, Dass du, Herzlose und Grausame, Mir eine Strafe zugedacht: Ich solle gleich nach Hause gehen, Ausschlafen von der Kneiperei, Und dann in Versen dir gestehen, Wie sehr ich zu verdammen sei. Ich werde – ehrlich es zu sagen, Ist Rache ebenso wie Pflicht – Noch manchen aus der Flamme tragen: Die Ente lässt das Schwimmen nicht.
Freilich, die Ente am Schwimmen zu hindern, hätte es ein Wunder gebraucht. Der Trunk galt damals noch beim deutschen Mann in viel höherem Maß als heute für einen Ausweis von Männlichkeit und war zugleich von einer Art Weihe umgeben, denn man glaubte noch das Weben altgermanischen Heldengeistes beim Humpen zu verspüren. Dieses deutsche Erbübel drückte dem ganzen Leben seinen Stempel auf und trug viel zu der gesellschaftlichen Formlosigkeit bei, weil es die Geschlechter trennte. Ältere Herren hielten es meist in Damengesellschaft nicht aus; kam solch ein männlicher Gast in die Familie, so erging in kurzem an den Hausherrn die Frage: Wollen wir streben? Darauf erhoben sie sich und strebten – natürlich nach dem Wirtshaus. Dort wurden erst die tieferen Gespräche entbunden, die kein weibliches Ohr vernahm als das der Kellnerin. Wie durfte man nun erwarten, brausende Jünglinge von einer Sitte fernzuhalten, die von ihren Lehrern und Vorbildern mit Inbrunst geübt und von den Dichtern als einer der höchsten Lebenswerte besungen wurde? Auf diesem Punkte konnte man sich nie verstehen. Ich war natürlich den Wirtshäusern, die mich so viele schlaflose Nächte kosteten, spinnefeind, und wenn man auf gemeinsamen Spaziergängen in eine Wirtschaft geriet, wo die männliche Jugend sich alsbald festhakte, so saß ich nach kurzem wie auf Kohlen. Edgar klagte, dass ich den Komment nicht erfasst hätte, und suchte mich aus dem Hafis und Anakreon von der Poesie der Schenke zu überzeugen. Aber vergeblich: auf einer Holzbank vor dem Bierglas zu sitzen, gehörte für mich zu den schwersten Geduldsproben, und selbst dem grünen Blätterdach der Roßkastanie wurde ich gram, so schön seine lenzlichen Blütenkerzen waren, weil dieser Baum sich in meiner Vorstellung mit dem Sonntagspublikum der Wirtsgärten und dem Gegröl der Kegelbahn unzertrennlich verband. Da gegen den germanischen Durst in keiner Weise aufzukommen war und ich die Erfahrung machte, dass auch diejenigen unserer jungen Freunde, die mir die ritterlichste Ergebenheit bezeigten, sobald sie zwischen meiner Seelenruhe und dem Wirtshaus zu wählen hatten, dem Wirtshaus den Vorzug gaben, und kein Vorsatz, kein Versprechen stark genug war, sie zu binden, wurde ich allmählich am männlichen Geschlecht völlig irre. Und in meiner Verzweiflung setzte ich mich eines Tages nieder, um eine Untersuchung zu schreiben über die Frage: Hat der Mann ein Seelenleben? Oder ist er nur ein Gefäß zur Aufnahme von Flüssigkeit? Ich brachte es aber nicht weiter als bis zur Überschrift, denn ich kam über das Für und Wider nicht ins klare.
Als ich einmal nach Jahrzehnten, kurz bevor Edgars arbeitsreiches Leben vorzeitig schloss, mit ihm in Florenz beisammen saß und wir der alten Zeiten gedachten, bekannte ich ihm, mit welchem literarischen Vorsatz ich mich dazumal in Tübingen getragen hatte und wieso ich über die Beweise für das Seelenleben des Mannes nicht schlüssig geworden war. Da strich er sich schmunzelnd über den Bart und sagte: Ich glaube jetzt die Frage dahin entscheiden zu können, dass der Mann unbestreitbar ein Seelenleben hat, dass ihn aber dieses nicht hindert, auch ein Gefäß zur Aufnahme von Flüssigkeit zu sein. – Sprach’s und leerte mit Andacht sein Glas Chianti.
Der 10. Oktober
Während die Geister der Jugend im stärksten Brausen waren und noch kaum irgendwo die Linien einer künftigen Entwicklung hervortraten, neigte sich das Leben des Vaters still und unbemerkt zum plötzlichen Ende. Ich sollte ihn verlieren, ohne der Schätze, die er zu geben hatte, anders als durch die Luft, die ihn umwehte, teilhaft geworden zu sein. Einen zärtlicheren Vater hat es nie gegeben. Er liebte alle seine Kinder mit gleicher Stärke, ich aber war ihm mehr als bloß ein heißgeliebtes Kind, er glänzte auf, wenn ich nur ins Zimmer trat, denn in der einzigen Tochter sah seine abgöttische Zärtlichkeit die Harmonie der Dinge selbst, den Beginn der Ordnung im Chaos. Bei seiner hohen Schätzung des weiblichen Geschlechtes sprach er mit mir gar nicht wie der Vater mit seinem Kinde, sondern wie ein Ritter mit der Dame seines Herzens. Aber gerade das hatte zur Folge, dass ich geistig nicht so viel von ihm empfangen konnte, wie es für beide Teile wohltuend gewesen wäre. Bei ihm gesellte sich zu einer angeborenen Zurückhaltung, die der fast mimosenhaften Zartheit seiner Seele entsprach, die Scheu, der inneren Entwicklung vorzugreifen, daher ich meistens nur ahnte, aber es nicht aus seinem Munde wusste, wie er selber die Dinge ansah. Diese Scheu wirkte nun aber hemmend auf mich zurück, dass ich nicht wagte, ihm von dem zu reden, was eigentlich in mir vorging. So fand ich auch nicht den Mut, mit ihm