Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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ab­hol­te, vor die Tür zu stel­len, ein Cha­rak­ter­zug, der mich mit ih­rem Leicht­sinn ver­söhn­te.

      In Er­war­tung mei­ner ers­ten Un­ter­richts­stun­den brauch­te ich nicht mü­ßig zu ge­hen, son­dern über­setz­te in buch­händ­le­ri­schem Auf­trag die Ge­schich­te der Kom­mu­ne von Mar­x’ Schwie­ger­sohn Lis­sa­ga­ray, wozu mir mei­ne in Frank­reich ge­sam­mel­ten Kennt­nis­se des Ge­gen­stan­des nütz­lich wa­ren; für mi­li­tä­ri­sche Fach­aus­drücke be­riet mich Oberst Re­der. All­mäh­lich fan­den sich auch ei­ni­ge Schü­le­rin­nen ein. Die ers­te war eine bal­ti­sche Baro­nin, die ich im Ita­lie­ni­schen zu un­ter­rich­ten hat­te, eine Dame von sehr großem Stil, die des­halb zu mei­nem Er­stau­nen von der Ge­sell­schaft für eine be­deu­ten­de Per­sön­lich­keit an­ge­se­hen wur­de, nach de­ren häu­fi­gen Mi­grä­nen man mich stets mit eif­ri­gem An­teil be­frag­te. Da sie mich oft weit über die Stun­de hin­aus fest­hielt, um sich über al­les Er­denk­li­che aus­zu­spre­chen, sah ich un­ter den schö­nen Ver­kehrs­for­men in eine geis­tig ganz un­frucht­ba­re und scha­blo­nen­haf­te Na­tur hin­ein. Es war das ers­te­mal, dass mir die­ses Miss­ver­ständ­nis der Ge­sell­schaft be­geg­ne­te, da­her es mei­ner In­dia­ner­see­le als merk­wür­dig auf­fiel.

      Bei wei­tem an­zie­hen­der war eine geis­tig reg­sa­me und selbst­stän­di­ge Schwe­din, die sich bei mir im Deut­schen üben woll­te und die mir den Un­ter­richt leicht mach­te, da ich mir nur von ihr den Faust und die Iphi­ge­nie vor­le­sen zu las­sen und mit ihr über das Ge­le­se­ne zu spre­chen brauch­te, wo­bei ich die Freu­de hat­te, ihre Au­gen im­mer hö­her auf­glän­zen zu se­hen. Sie bat sich von vorn­her­ein aus, dass ich sie im falschen Ge­brauch der Ar­ti­kel nicht stö­ren dür­fe, weil sie aus ei­ner Fa­mi­lie stam­me, in der bei ho­hem Bil­dungs­stand nie­mand je mit dem Der, Die, Das zu­recht­ge­kom­men sei. Ich war es zu­frie­den; die deut­schen Sprach­schnit­zer mei­ner Schü­le­rin­nen klan­gen mir im­mer so drol­lig, dass es mir leid tat, sie schul­meis­ter­lich be­rich­ti­gen zu sol­len. Noch bes­ser ver­stand ich mich mit ei­ner gleich­alt­ri­gen Ame­ri­ka­ne­rin, die sich ganz al­lein in Eu­ro­pa auf­hielt, ei­nem Ge­schöpf von ke­cker, kna­ben­haf­ter An­mut, jung­frisch und so vor­aus­set­zungs­los, als wäre sie eben aus dem Ozean ge­stie­gen. Auch die­se Lie­bens­wür­di­ge woll­te, wie sie mir an­ver­trau­te, nichts als »ein Ge­spräch hö­he­ren Stils in deut­scher Spra­che füh­ren ler­nen«, und der Un­ter­richt be­stand bei ihr wie bei der Schwe­din dar­in, dass sie auf mei­nem Kana­pee saß, um über Li­te­ra­tur und Ver­wand­tes zu plau­dern. Als sie ent­deck­te, dass auch ich ihre Lieb­lin­ge Burns und By­ron lieb­te, war ihre Freu­de groß. Ich lern­te eben­so von ihr wie sie von mir, denn ich horch­te auf die Äu­ße­run­gen ame­ri­ka­ni­schen See­len­le­bens; das mir noch nie zu­vor so nahe ge­tre­ten war. Ich hat­te da­bei zum ers­ten Mal den Ein­druck, der sich mir bei spä­te­ren Be­zie­hun­gen zu Ame­ri­ka­nern stets wie­der­hol­te und ver­tief­te, dass der ame­ri­ka­ni­sche Den­k­ap­pa­rat viel ein­fa­cher ein­ge­rich­tet sei als der uns­ri­ge und un­se­re ver­wi­ckel­te­ren Ge­dan­ken­gän­ge gar nicht mit uns ge­hen kön­ne, da­her un­se­re halb scherz­haf­ten Pa­ra­do­xen und un­se­re über­tra­ge­nen Wen­dun­gen oft ganz naiv tat­säch­lich und buch­stäb­lich ge­nom­men wer­den. Solch ein ame­ri­ka­ni­sches Ge­hirn er­schi­en mir als ein jung­fräu­li­cher Grund, noch nicht durch die Denk­ar­beit frü­he­rer Ge­schlech­ter durch­wühlt und vor­be­rei­tet und des­halb im geis­ti­gen Ver­kehr mit der kul­turäl­te­ren deut­schen Welt Miss­ver­ständ­nis­sen aus­ge­setzt.

      Er­win, der die Mal­klas­se be­such­te, war mir ein gu­ter Ka­me­rad. Zwar kam er gern des Abends et­was spät nach Hau­se, wo­bei ich ihn zu er­war­ten pfleg­te, aber ich gönn­te ihm die Frei­heit und wuss­te ja auch hin­läng­lich, dass Er­mah­nun­gen in sol­chen Fäl­len nichts fruch­te­ten. Da­für kam er auch ein­mal in die Lage, mich er­war­ten zu müs­sen, als ich ohne Haus­schlüs­sel aus­blieb, was ihm ein großer Tri­umph war. Ich hat­te mich von Horn­steins über­re­den las­sen, den Abend mit ih­nen auf ei­nem wei­tent­le­ge­nen Kel­ler zu ver­brin­gen, weil ich das Münch­ner Kel­ler­le­ben noch nicht kann­te. Es wur­de spät und spä­ter, ich konn­te nicht mehr al­lein nach Hau­se und muss­te aus­har­ren bis zum Schluss. Zwei Her­ren, dar­un­ter Wil­helm Hertz, hat­ten den­sel­ben Heim­weg, sie brach­ten mich vor mei­ne Tür, aber jetzt war gu­ter Rat teu­er; wie hin­ein­ge­lan­gen? Hertz schlug mir einen Ein­bruch durch mein ei­ge­nes Fens­ter vor, wo­für er sei­nen Rücken als Auf­steig­sche­mel an­bot; er mein­te, ei­ner ge­üb­ten Rei­te­rin müs­se das Aus­kunfts­mit­tel pas­sen. Aber mei­ne schö­nen Milchtöp­fe, die auf dem in­ne­ren Fens­ter­brett stan­den, schon halb ge­stockt, die Hoff­nung des mor­gi­gen Abends? Wäh­rend ich noch zau­der­te, wur­den sie plötz­lich von in­nen lei­se weg­ge­stellt, und Er­wins Kopf er­schi­en, von al­len mit Zu­ruf be­grüßt. Es war der ganz un­ver­hoff­te Fall ein­ge­tre­ten, dass der Bru­der frü­her als die Schwes­ter aus dem Wirts­hau­se ge­kom­men war und ein­mal sei­ner­seits auf die Heim­kehr der Nacht­schwär­me­rin war­ten muss­te.

      Aber schö­ner als die schöns­te Ge­sel­lig­keit war es doch, des Abends ganz al­lein im stil­len Zim­mer zu sit­zen. Da kam ein Be­such, der von al­len der will­kom­mens­te war, der un­sicht­ba­re »An­de­re«. Seit mei­nem Mär­chen für den kran­ken Bru­der trau­te ich mir nun wirk­lich et­was zu, ich nahm also einen stär­ke­ren An­lauf und ver­such­te es mit ei­ner No­vel­le. Eine ro­man­ti­sche Lie­bes­ge­schich­te mit Treue in der Un­treue nebst ei­ner An­zahl nach der le­ben­di­gen Mus­ter­samm­lung ge­mal­ter Ne­ben­fi­gu­ren war leicht er­fun­den, Zeit und Ge­gend, in die ich sie ver­leg­te, ga­ben Ge­le­gen­heit zu aben­teu­er­li­chen Be­geb­nis­sen und zu wei­ten Land­schafts­bil­dern nach mei­nem Her­zen. Im Feu­er des Ge­stal­tens gönn­te ich mir nicht ein­mal mehr die nö­ti­ge Zeit zum Es­sen und Schla­fen, aus Furcht, ich könn­te etwa über Nacht wegster­ben und mein Werk un­voll­en­det hin­ter­las­sen. Je­den Mor­gen fühl­te ich eine ganz be­son­de­re Ge­nug­tu­ung, noch am Le­ben zu sein und mich so­gleich wie­der an den Schreib­tisch set­zen zu kön­nen, um zu er­fah­ren, wie die Ge­schich­te wei­ter­ging. Denn dies wuss­te ich sel­ber nicht, ließ es mir viel­mehr von je­nem Un­sicht­ba­ren ge­wis­ser­ma­ßen in die Fe­der dik­tie­ren. Es ging mit Win­desei­le, gan­ze Stö­ße be­schrie­be­nes Pa­pier türm­ten sich auf, und wenn auf dem klei­nen Tisch der Raum zu eng wur­de, so schob ich, ohne auf­zu­se­hen, die Blät­ter über den Rand hin­un­ter auf den Bo­den, um ja kei­ne der kost­ba­ren Mi­nu­ten, wo die Esse glüh­te, zu ver­lie­ren. Im Schrei­ben ver­lieb­te ich mich sel­ber in mei­nen Hel­den, in dem ich ein Stück dä­mo­ni­sches Über­menschen­tum hat­te schil­dern wol­len, und als er tot und die Ge­schich­te zu Ende war, leg­te ich den Kopf auf den Tisch und wein­te se­li­ge, be­frei­te Trä­nen. Es war drei Uhr nachts am drit­ten Tag, nach­dem ich zu schrei­ben be­gon­nen hat­te. Nun konn­te ich end­lich be­ru­higt zu Bet­te ge­hen.

      Es ist schön, ein Geis­tes­kind in die Welt zu set­zen, aber wenn es her­nach da ist und sei­ne Ge­schi­cke auf die un­sern ein­zu­wir­ken be­gin­nen, be­kommt die Sa­che ein an­de­res Ge­sicht. Durch ge­wo­ge­ne Freun­des­her­zen, de­nen ich mich an­ver­traut hat­te und die an der her­vor­ge­spru­del­ten Er­zäh­lung ein Wohl­ge­fal­len fan­den, er­fuhr Paul Hey­se da­von. Zu mei­nem größ­ten Schre­cken er­schi­en er gleich in mei­ner Woh­nung und

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