Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Zu seinem achtzigsten Geburtstag sandte ich aus Florenz einen Lorbeerkranz und eine eben aufgegangene Magnolienblüte aus dem eigenen Garten, diese nach italienischer Sitte zusammengeschnürt, damit der Duft nicht vor der Zeit entweiche. In einigen begleitenden Strophen wurde der Kranz als Sinnbild der langen Ruhmesbahn, die Blume mit den stark strömenden und verströmenden Düften als Ausdruck des höchsten ausgeschöpften Augenblicks gedeutet. Er antwortete noch mit einem Gedicht, das kurz vor seinem Tode geschrieben wurde und jedenfalls zu seinen letzten gehört, wenn es nicht das allerletzte ist. Ich weiß nicht, was ich mehr darin bewundern soll, die edle, in unserer Zeit sagenhaft anmutende Bescheidenheit oder das Selbstgefühl des seltenen Mannes, der sich bewusst ist, noch am äußersten Lebensziel alle Möglichkeiten der Weiterentwicklung in sich zu tragen:
Zur Blume, die des Duftes feinste Geister
Im Kelche sammelt, spendend sie entlässt,
Zum Kranze, der, ein Schmuck für größre Meister,
Den Strebenden begrüßt am Greisesfest,
Lässt du aus Dichterworten mich ersehen,
In welche Tiefen deine Blicke gehen.1 Die dumpfen Seelen, die gedankenschiefen, Was wissen die von Ewigkeit und Zeit? Den Zeitmoment zur Ewigkeit vertiefen, Das ist es, ja, das gibt Unsterblichkeit. Dazu ward Leben, das bringt Rat und Licht, Bringt Reim ins ungereimte Weltgedicht.
Die letzte Zeile ist eine Anspielung auf den Schluss meines Gedichtes »Weltgericht«:
Das ungereimte Weltgedicht,
Nehmt’s, wie es ist, und krittelt nicht.
Er hatte für dieses Gedicht eine besondere Vorliebe und pflegte es gleich nach seinem Erscheinen mit sich in der Tasche zu tragen und in Gesellschaften vorzulesen, wovon auch Ilse Frapan in ihren warmherzigen Vischererinnerungen spricht. Er nahm es in Schutz gegen die heftigen Angriffe der Scheinfrommen, die nicht imstande waren, durch den Scherz hindurch die innere Pietät zu erkennen, und er schrieb mir damals nach Italien lange, launige Episteln im gleichen Versstil und mit spaßhaften Erfindungen im Geiste des »Auch Einer«, die er mir als Zusätze vorschlug. Er sprach auch noch von einer italienischen Reise und dachte an ein Wiedersehen in Venedig, wo mir jetzt ein Bruder, der uns nachgezogene Alfred, lebte. Statt dessen kam so rasch nach dem Altersfeste die erschütternde Todesbotschaft. – Nach seinem Hingang schien die Welt um vieles kälter und leerer geworden, und ich musste lange dem Rätsel nachstaunen, wohin diese gesammelte, sich immer ergießende und sich immer erneuernde Fülle und Wärme nun mit einem Male gekommen war.
Jetzt noch einmal ins alte Tübingen zurück, wo ich Mama und Josephine beim Packen und Ausräumen half. Alle leichtbewegliche Habe wie Bücher, Bilder, Wäsche usw. sollte uns nach Italien begleiten, die schweren Gegenstände blieben stehen, voran die wertvolle Biedermeiereinrichtung aus dem Brunnowschen Hause, um von den zurückbleibenden Brüdern Alfred und Erwin nach unserer Abreise versteigert zu werden. Meine Mutter trennte sich ohne Schmerz von den alten Erbstücken, weil kein äußerer Besitz ihr das geringste galt, mir aber war es ein Abschied von lieben, unvergesslichen Freunden meiner Jugend. Die auch in ihren Beschädigungen noch köstliche Empirestanduhr mit dem schwarzen Adler, der einen mit Goldbienen besäten blauen Mantel über dem goldenen Zifferblatt mit dem Schnabel zusammenhielt, konnte ich nie ganz verschmerzen. Wer kann wissen, wohin sie geraten ist? Alles ging zu Schleuderpreisen weg, weil damals der Wert solcher Altertümer noch gar nicht verstanden wurde. Dagegen erzielte ein weggeworfener Hut meiner Mutter (wenn sie einen wegwarf, war wirklich nichts daran zu halten) einen Liebhaberpreis: er wurde von einem »Parteigenossen« erworben und als Andenken im Triumph davongetragen, wie die Brüder später launig nach Florenz berichteten.
Edgar war unterdessen erschienen, uns zu holen und von der Heimat Abschied zu nehmen. In diese letzten Wochen fällt, wenn ich mich recht erinnere, unser tolles Haschischabenteuer, an dem auch Berta Wilhelmi teilnahm. Sie war noch einmal zu Besuch nach Tübingen gekommen, jetzt ganz erwachsen und so bildschön, wie ihre Kindheit versprochen hatte. Sämtliche Brüder verliebten sich bis auf den kranken Jüngsten herunter, der sie in naivem Versgestammel feierte. Aber sie hielten durch Eifersucht einer den andern in Schach, so blieb es bei allseitiger guter Kameradschaft. Edgar war seit lange neugierig, die oft geschilderten Wirkungen des indischen Hanfs kennen zu lernen, und konnte sich als Arzt leicht eine Gabe Canabis indica verschreiben. Aber es war ein Missstand dabei: man wusste nicht, wie gut oder schlecht das Präparat sich auf der langen Reise gehalten hatte, und davon hing doch die Wirksamkeit ab. Nach ein paar Fehlversuchen bezog er nun eine gewaltige Dosis frisch angekommenes Haschisch aus der Apotheke, und wir bestimmten die folgende Nacht zu unsrem Unternehmen. Edgar hatte ein Zimmer in dem gerade leerstehenden unteren Stockwerk inne. Berta und ich legten uns nur zum Schein schlafen; sobald alles stille war, schlichen wir zu Edgar hinunter. Ich bekam zwei Pillen, Berta eine, Alfred sollte nüchtern bleiben und die andern ärztlich überwachen; da er aber nicht ganz leer ausgehen wollte, schluckte er, was nur einem so jungen Menschen einfallen konnte, dafür eine Opiumpille, die zum Glück gar nicht wirkte. Edgar aber nahm, überkühn, wie er in allem war, die doppelte Höchstgabe Haschisch, um diesmal sicher zu gehen. Ich erwartete, auf dem Teppich hockend, in die Wunder von Tausendundeiner Nacht zu versinken, merkte aber nur, dass mein Denken sich sehr verlangsamte, und dann stiegen mir ganz abstrakte jenseitige Vorstellungen auf, wofür die Sprache keinen Ausdruck hat. Plötzlich rüttelte mich Berta und flüsterte mir zu, dass sich Edgar in einem unheimlichen Zustand befinde. Ich erhob mich völlig gelassen, als ginge mich die Sache gar nichts an, und wunderte mich doch selber über diesen Gleichmut. Edgar blickte seltsam verändert, und auf meine Frage, wie er sich fühle, antwortete er: Ich bin transferiert. Dann ging er an den Tisch und machte auf dem großen Papierbogen, auf dem er seine Symptome verzeichnete, die Eintragung: Transferiert.
Jetzt kommt das Tragische, sagte er nach einer Weile mit hohler Stimme und ganz entgeisterter Miene. Keine persönliche Tragik, erklärte er, es ist das Tragische an sich, das