Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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zog er von der Kriegs­schu­le weg ins Feld, denn der Krieg be­deu­te­te ihm Frei­heit und Le­ben. Er fand bei der schwe­ren Ver­wun­dung sei­nes un­mit­tel­ba­ren Vor­ge­setz­ten die Ge­le­gen­heit, sich aus­zu­zeich­nen und kehr­te mit den Ach­sel­stücken und der Aus­sicht auf eine ra­sche Lauf­bahn im Ge­ne­ral­stab nach Hau­se. Jetzt war das Ent­zücken der Fa­mi­lie groß, aber nach zwei Jah­ren voll Zwie­spalt und Pein mach­te er al­lem Wün­schen und Hof­fen ein jä­hes Ende, in­dem er den bun­ten Rock aus­zog, um zu stu­die­ren. Je­ner Mut­ter­bru­der, dem er die schö­nen Jah­re sei­ner Kind­heit ver­dank­te, hat­te bei dem Ent­schluss mit­ge­wirkt. Da­mit wur­de die Kluft zwi­schen ihm und sei­nem El­tern­hau­se un­aus­füll­bar; die Mut­ter zog sich schein­bar noch wei­ter von ihm zu­rück als der Va­ter, sie schäm­te sich, dem Mann, den sie lieb­te, kei­nen Sohn nach sei­nem Her­zen ge­bo­ren zu ha­ben. Mit sol­chem Riss im Le­ben lief Gu­stav Borck in den er­sehn­ten Ha­fen der Hoch­schu­le ein. Nach Rat und Bei­spiel des Oheims wähl­te er die Ju­rispru­denz, der er denn auch mit Pf­licht­ge­fühl ob­lag, aber nur um jetzt am Ziel sei­ner Wün­sche zu er­ken­nen, dass ihn das Rechts­we­sen ge­nau so öde an­blick­te wie das Sol­da­ten­spiel im Frie­den. Nur an den brot­lo­sen Ne­ben­fä­chern, die er um so feu­ri­ger trieb, er­lab­te sich sei­ne lech­zen­de See­le. In die klei­ne Uni­ver­si­täts­stadt am Neckar hat­te ihn, wie so man­chen Nord­deut­schen, der Ruf ge­zo­gen, dass dort wohl­feil zu le­ben sei, auch war ei­ner der ju­ris­ti­schen Lehr­stüh­le glän­zend be­setzt; den Aus­schlag moch­te je­doch der Wunsch ge­ge­ben ha­ben, so weit wie mög­lich von sei­ner Fa­mi­lie ent­fernt zu sein.

      So kam es, dass Gu­stav Borcks Le­bens­weg sich auf die­sem Kreu­zungs­punkt mit dem mei­nen tref­fen muss­te, und von all den viel­ge­stal­ten Be­geg­nun­gen mei­nes Le­bens ist kei­ne in­ner­lich be­deu­tungs­vol­ler für mich ge­wor­den als die­se. Auf al­len Ge­bie­ten des Geis­tes, die ich als tas­ten­der Neu­ling be­trat, ge­hab­te er sich wie ein Kö­nig im an­ge­stamm­ten Rei­che. Gin­gen wir nach der Vor­le­sung noch eine Stre­cke zu­sam­men, so ver­nahm ich aus sei­nem Mun­de man­ches Wort über den glei­chen Ge­gen­stand, das mir hun­dert­mal mehr zu den­ken gab, als die Wor­te des Leh­rers, und vie­les hat sich da­mals mei­nem Ge­dächt­nis ein­ge­prägt, was ich erst in rei­fe­ren Ta­gen rich­tig ver­ste­hen konn­te. Es schi­en mir dann im­mer, als hät­te er einen Ge­heim­schlüs­sel zu all den Din­gen, vor de­ren Tür die an­dern im Dun­kel tapp­ten.

      Ei­nes Ta­ges nach ei­nem tro­ckenen Sha­ke­s­pea­re-Kol­leg, das ich je­doch pflicht­schul­dig nach­ge­schrie­ben hat­te, soll­te ich plötz­lich inne wer­den, was für ein Schlüs­sel das war.

      O die Metho­de! die Metho­de! sag­te er. Die Erb­sün­de der Deut­schen! Mit was für He­beln und Schrau­ben ge­hen sie dem ar­men Ge­ni­us zu Lei­be. Der aber macht sich schlank und schlüpft ih­nen aus den Hän­den und lässt die gan­ze stau­nens­wer­te Ge­lehr­sam­keit im Dun­keln su­chen und ra­ten, wie er zu Wer­ke geht.

      Wie geht er nach Ih­rer An­sicht zu Wer­ke? frag­te ich, nach je­dem sei­ner Wor­te be­gie­rig wie nach ei­nem Gold­korn ha­schend.

      Er lach­te lei­se vor sich hin.

      So ist’s recht. Sie fra­gen wie ein Mo­hi­ka­ner, ohne alle Ge­lehr­sam­keit, aber zum Zweck. Wie geht er zu Wer­ke? Gar nicht geht er zu Wer­ke. Er sucht nicht die Poe­sie, sie kommt zu ihm, er at­met sie ein und aus, er fin­det nur sie im Le­ben, weil er al­les an­de­re als lee­re Scha­le lie­gen lässt.

      Aber auf wel­chem Wege kommt sie zu ihm?

      Durchs Ohr.

      Durchs Ohr?

      Ja­wohl, durch das of­fe­ne Ohr, in das al­les Le­ben­de sei­ne Beich­te flüs­tert. Wa­rum sind Goe­the, Sha­ke­s­pea­re, Dan­te so groß, als weil sie die größ­ten Beicht­vä­ter des Men­schen­ge­schlech­tes wa­ren? Und kei­ner ist be­rech­tigt, sich einen Dich­ter zu nen­nen, dem es nichts von sei­nen ge­heims­ten Heim­lich­kei­ten an­ver­trau­en mag. Es sind aus­ge­plau­der­te Beicht­ge­heim­nis­se, wo­mit uns Sha­ke­s­pea­re oft so jäh­lings bis ins Mark er­schüt­tert.

      Mein­te nicht der tro­ckene Herr auf dem Ka­the­der et­was ähn­li­ches, als er von des Dich­ters Le­bens­kennt­nis und Beo­b­ach­tung sprach?

      Le­bens­kennt­nis! Beo­b­ach­tung! rief er em­pört, als wäre er per­sön­lich be­lei­digt. Ist denn der Dich­ter ein De­tek­tiv? Was soll­te er mit der Beo­b­ach­tung? Nichts, was das Le­ben lie­fert, kann die Dich­tung, so wie es ist, ge­brau­chen, und doch sind alle ihre Ge­bil­de schon ir­gend­wo auf Men­schen­bei­nen ge­gan­gen. Ver­ste­hen Sie, lie­ber Un­kas, wie ich es mei­ne?

      »Un­kas« nann­te er mich nach dem »Letz­ten Mo­hi­ka­ner« aus dem »Le­der­strumpf«, wenn er mir be­son­ders wohl­woll­te.

      Ich muss­te be­ken­nen, dass ich ihn ganz und gar nicht ver­stand, es schi­en mir viel­mehr, als ob er sich ge­ra­de­zu wi­der­spre­che.

      Der Stoff, den der Dich­ter zu kne­ten be­kom­men hat, sag­te er mit Nach­druck, mehr und mehr in Feu­er ge­ra­tend, ist im­mer nur er selbst. Wohl fin­det er auch in sei­ner Um­welt die le­ben­di­gen An­sät­ze zu sei­nen Cha­rak­ter­ge­bil­den, und wo ihm ein sol­cher be­geg­net, da schie­ßen ihm gleich die ver­wand­ten Züge von al­len Sei­ten zu. Aber den zeu­gen­den Ur­stoff, in dem sie sich zur un­lös­li­chen, na­tur­ge­woll­ten Ein­heit zu­sam­men­fin­den, den Le­bens­fun­ken, der sie erst ste­hen und ge­hen macht, holt er aus dem ei­ge­nen In­nern. Denn in sich hat er das Zeug zu al­len Cha­rak­teren und Lei­den­schaf­ten, er um­spannt mit sei­ner Na­tur die gan­ze Stu­fen­lei­ter der Mensch­heit und reicht von der einen Sei­te bis an den Hei­li­gen, mit der an­dern an den Ver­bre­cher. Die­se Fä­hig­kei­ten aber, die ihm nicht des Han­delns we­gen ge­ge­ben sind, ru­hen zu­nächst un­be­wusst und un­tä­tig in ihm; sie wol­len erst auf­ge­regt und be­fruch­tet sein. Da­für ist nun das Le­ben da. Es be­rührt ihn mit ir­gend­ei­ner Er­fah­rung, ei­nem in­ne­ren Er­leb­nis, das viel­leicht für einen an­de­ren gar kei­nes wäre, denn was ein rech­ter Poet ist, der er­leb­t fort und fort, von au­ßen und von in­nen. Solch ein Er­leb­nis, sei es ein Vor­gang oder viel­leicht nur ein Wort, eine er­hasch­te Ge­bär­de, ir­gend­ein Laut aus den Tie­fen der Men­schen­brust, ein Blick, der stär­ker ge­trof­fen hat, springt wie ein Keim in sei­ne See­le. Da bleibt er un­be­wusst lie­gen, aber er ruht nicht, er ver­wan­delt sich ganz lei­se und un­be­merkt, er ist in Bäl­de nicht mehr, was er ur­sprüng­lich ge­we­sen. Er wächst im­mer wei­ter, in­dem er ver­wand­te Stof­fe des In­nern an sich zieht. Von die­sen form­lo­sen, aber in­ner­lich be­fruch­te­ten Zel­len­ge­bil­den ist des Dich­ters See­le ganz voll, sie tau­chen be­stän­dig in ihm auf und nie­der, er greift hin­ein, wenn er ih­rer be­darf. Sie sind gleich­sam der Ur­ne­bel, aus dem er sei­ne Ge­stal­ten formt. So mein­te ich das. Habe ich mich jetzt ver­ständ­lich ge­macht?

      Ich nick­te, um ihm nur nicht ganz als Bö­otier zu er­schei­nen. Aber tat­säch­lich schwank­te mir das Hirn. Ich raff­te alle mei­ne Geis­tes­kräf­te zu­sam­men, um zu der na­he­lie­gen­den Fra­ge zu kom­men: Wo­her wis­sen Sie denn, wie dem Dich­ter zu­mu­te ist?

      Weil

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