Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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zwei Mäd­chen hin­gen uns an sei­nen einen Rock­flü­gel, der kräf­ti­ge Al­fred an den an­dern, und als er Mie­ne mach­te, sich des Rocks samt der Be­las­tung zu ent­le­di­gen, be­mäch­tig­ten wir uns sei­ner Arme. All­mäh­lich be­ru­hig­te er sich und bat, ihn frei­zu­las­sen, da er auf der Stra­ße Er­fri­schung zu fin­den hof­fe. Al­fred wur­de ihm zur Beglei­tung auf­ge­zwun­gen, der ihn nach ei­ner pein­li­chen Stun­de zu­rück­brach­te; sie wa­ren bis nach Lust­nau ge­rannt. Ich mach­te in­zwi­schen im obe­ren Stock­werk Men­gen von Kaf­fee, in­dem ich die Kaf­fee­müh­le un­ter di­cken Bett­de­cken dreh­te, um Mama und Bal­de nicht zu we­cken. Hal­tet mich wach, lasst mich ja nicht ein­schla­fen, war des Pa­ti­en­ten wie­der­hol­te Mah­nung; Schlaf könn­te dem Hirn ge­fähr­lich wer­den. – Der Gang durch die Nacht­luft hat­te jetzt gut ge­tan, ein Kaf­fee war fer­tig, der einen To­ten er­we­cken konn­te, wir hiel­ten uns alle vier voll­stän­dig wach bis zum Mor­gen. Aber sie­he da, nach ei­ner kal­ten Wa­schung nahm Ed­gar sei­nen Hut und be­gab sich ohne wei­te­res ins Kli­ni­kum, wo ein merk­wür­di­ger Fall zu be­ob­ach­ten war, wäh­rend Al­fred sich tod­mü­de zum Schla­fen nie­der­warf und auch wir bei­den Mäd­chen uns zur Ruhe leg­ten.

      Bei die­sem letz­ten Tü­bin­ger Aben­teu­er ging auch Ber­ta zum letz­ten­mal durch un­ser Le­ben. Un­ter den auf­stän­di­schen Zu­ckun­gen, die da­mals durch Spa­ni­en lie­fen, ge­sch­ah es bald da­nach, dass in Gra­na­da an Stel­le des ab­ge­setz­ten Gou­ver­neurs das schöns­te Mäd­chen der Stadt bei ei­nem großen Stier­ge­fech­te den Vor­sitz füh­ren soll­te. Die Wahl fiel auf Ber­ta. An die­sem weit­hin sicht­ba­ren Plat­ze sah sie ein An­ge­hö­ri­ger des äl­tes­ten an­da­lu­si­schen Adels und ver­lieb­te sich so, dass er au­gen­blick­lich um die jun­ge Schön­heit warb, die ihm denn auch die Hand zu ei­nem frei­lich nicht sehr be­glücken­den Ehe­bund reich­te. Ich be­sit­ze noch ihr Bild mit spa­ni­schem Schlei­er und Fä­cher, wie sie je­nes Ta­ges das Los ih­res Le­bens zog, das sie für im­mer an Spa­ni­en fes­sel­te.

      Die letz­ten Tage in Tü­bin­gen ran­nen mir un­auf­halt­sam durch die Fin­ger. Die Stadt mei­ner Ju­gend war doch tiefer mit mir ver­wach­sen, als ich sel­ber wuss­te. Sie hat­te auch für alle Zeit rich­tung­ge­bend auf mein Stil­ge­fühl ein­ge­wirkt. Noch heu­te, wenn ich mir eine idea­le Stadt in Ge­dan­ken baue, mit sol­chen küh­nen Ter­ras­sen, sol­chen über­schnei­den­den Dä­chern, stei­ner­nen Trep­pen, Durch­gän­gen, hän­gen­den Gär­ten, steigt sie nach ei­nem stil­len Fluss hin­un­ter. Ei­nen schwin­gen­de­ren Rhyth­mus als die Stra­ßen­zü­ge Tü­bin­gens habe ich nir­gends ge­fun­den. Die­ses An­schwel­len und Ab­sin­ken der ge­pflas­ter­ten Stra­ßen, für mich sind es die He­bun­gen und Sen­kun­gen und wun­der­bar ge­fühl­te Zä­su­ren ei­nes Ge­dichts. Wie in der Neckar­stra­ße hoch über un­se­ren Häup­tern sich der Um­gang der Stifts­kir­che, wo ihm der Raum zu eng wird, mit plötz­li­chem Ent­schlus­se leicht und frei über die Stra­ße her­aus­schwingt, wie das schma­le Mühl­gäss­chen sich zu je­ner Zeit noch mit stei­lem Ge­fäll zwi­schen die stür­zen­de Am­mer und die hohe, mod­ri­ge Stadt­mau­er zwäng­te, wäh­rend der Ös­ter­berg sei­nem schön be­busch­ten Fuß bis in die Am­mer her­ab­streck­te und ein an­de­rer stil­ler Gar­ten oben von der Mau­er zum Ge­gen­gru­ße her­un­ter­sah, das sind Züge, die nie im Geist ver­lö­schen. Von der Mit­te der un­ver­ge­ss­li­chen al­ten Neckar­brücke führ­te eine stei­le Holz­stie­ge auf den Wöhrd. An ih­rem Fuße stan­den zwei mäch­ti­ge Lin­den wie Schild­wa­chen; sie ge­hör­ten mit zum Letz­ten, was ich an Freund­schaft zu­rück­ließ, und ih­nen galt mein letz­ter Abend­gang. Wir hat­ten al­ler­lei Heim­lich­kei­ten mit­ein­an­der, die sie zu hü­ten ver­spra­chen, bis ich wie­der­käme. Lei­der konn­ten sie ihr Wort nicht hal­ten, weil sie un­ter­des­sen ge­fällt wor­den sind. Un­ter ih­rem Schirm­dach ste­hend, schrieb ich in der zum Schlus­se auf­ge­stie­ge­nen Weh­mut noch ein paar Ver­se in mein Ta­schen­büch­lein:

       O Hei­mat, Hei­mat, viel­ge­schol­ten,

       Doch viel­ge­liebt und viel­be­weint,

       Seit heut die letz­te Son­ne gol­den

       Für mich auf dei­ne Hü­gel scheint.

       Nie woll­t’ ich schei­dend dich be­trau­ern,

       So hat­t’ ich trot­zig oft ge­prahlt,

       Wie nun der Schmerz die düs­tern Mau­ern

       Schon mit der Sehn­sucht Far­ben malt.

       So lass uns denn in Frie­den schei­den,

       Von Groll be­wahr’ ich kei­ne Spur.

       Dein Bild soll ewig mich be­glei­ten

       Und we­cke teu­re Schat­ten nur.

       Und kehr’ ich einst mit mü­dem Flü­gel,

       Wenn mei­ne Bahn ein Ende hat,

       Dann gön­ne bei des Va­ters Hü­gel

       Der Toch­ter eine Ru­he­statt.

      Dann kam der Mor­gen, wo wir zu Fün­fen in der Bahn sa­ßen, Mama, Ed­gar, Bal­de, die treue Jo­se­phi­ne, die uns nie ver­ließ, und ich, um ei­nem neu­en, un­be­kann­ten Le­ben ent­ge­gen­zu­fah­ren. Ich setz­te mich rück­wärts, und mei­ne Au­gen saug­ten sich so lan­ge wie mög­lich an dem wohl­be­kann­ten Stadt­pro­fil fest. Der Kirch­turm schwand als letz­ter um die Ecke. Die Ju­gend­stadt ver­sank, und die Wei­te der Welt, die lan­ger­sehn­te, tat sich auf.

      1 Für den Druck schö­ner ver­än­dert: Wie ganz wir uns aus Le­bens­grund ver­ste­hen. <<<

Der Despot

      Erin­nern Sie sich, lie­be Freun­din, wie Sie vor Zei­ten ein­mal mit dem Schrei­ber die­ser Blät­ter das klei­ne Fried­höf­chen von La Tour de Peilz am Gen­fer See be­such­ten? – Die ers­ten Vo­gel­stim­men wa­ren in der Luft, und die Bäu­me zeich­ne­ten ihr zar­tes Ge­äs­tel noch laub­los, aber schon mit ver­dick­ten, drän­gen­den Knöt­chen wie mit aber­tau­send Per­len in den tief­blau­en Äther. Sie spra­chen nur die zwei Wor­te: Hei­li­ges Le­ben! Dann aber blick­ten Sie mich fra­gend an, weil ich vor ei­nem na­men­lo­sen Grab­stein mit be­frem­den­der In­schrift ste­hen blieb. Und Ihr al­ter Freund ver­sprach, Ih­nen von dem Schlä­fer zu er­zäh­len, des­sen Ruhe die­se Grab­schrift hü­tet. Ein Men­schen­al­ter ver­ging, be­vor er dazu die Muße fand. Jetzt, da er sich sel­ber an­schickt, in den dunklen Na­chen zu stei­gen, sen­det er Ih­nen die­se Blät­ter. Ver­fah­ren Sie da­mit nach Ihrem Er­mes­sen: strei­chen Sie, kür­zen Sie nach Be­darf, las­sen Sie Jah­re, Jahr­zehn­te ver­ge­hen, las­sen Sie die gan­ze Welt sich wan­deln; je­ner Tote hat Zeit zu war­ten. Nur ein­mal noch soll er im Glanz der Ju­gend­ta­ge wie­der auf­ste­hen, ehe die einst so ver­hei­ßungs­vol­len Züge für im­mer ver­lö­schen.

      Kann sein, es lebt noch da und dort ei­ner, der ihn ge­kannt und ge­liebt und dann ver­ur­teilt hat. Kann sein, es sind noch ir­gend­wo Spu­ren sei­nes Wer­kes er­hal­ten. Dann fin­det er viel­leicht spät noch das Ver­ste­hen und die Los­spre­chung, die dem Le­ben­den ver­sagt wa­ren.

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