Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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brief­lich die Bit­te der Pro­fes­so­ren- und Stu­den­ten­schaft, dass ich zu der Fei­er nach Tü­bin­gen kom­me und die Rol­le der Muse über­neh­me. Ich ver­spür­te zu­erst we­nig Nei­gung dazu, denn ich be­trach­te­te mei­nen Ab­gang aus Tü­bin­gen in­fol­ge der miss­lun­ge­nen Wer­be­ar­beit für das Da­menschwim­men doch als eine Art Scher­ben­ge­richt, und es wur­de mir ei­ni­ger­ma­ßen co­rio­la­nisch zu­mu­te, dass mich nun die Va­ter­stadt in der Not durch mei­ne Vo­lum­nia zu­rück­rief. Der plötz­li­che Ent­schluss, mit nach Ita­li­en zu über­sie­deln, mach­te je­doch mei­ne vor­he­ri­ge Rück­kehr nach Hau­se not­wen­dig. Und kaum war ich in Tü­bin­gen, so er­schi­en im Auf­trag des Aus­schus­ses Pro­fes­sor Leib­niz, der aka­de­mi­sche Zei­chen­leh­rer, der, wie ich glau­be, die künst­le­ri­schen Ent­wür­fe für den Fest­zug ge­macht hat­te, und stell­te mir vor, dass ich doch nicht die Un­schul­di­gen mit den Schul­di­gen be­stra­fen und um we­ni­ger Übel­ge­sinn­ter wil­len den schöns­ten Teil des Fest­zu­ges zu­nich­te ma­chen dür­fe, bis ich mich um­stim­men ließ und Ja sag­te. Die Ge­wan­dung lie­fer­te das Stutt­gar­ter Hof­thea­ter, das auch an dem großen Tage eine Gar­de­ro­bie­re her­über­schick­te, um mich an­zu­klei­den. Ihre Auf­fas­sung von ei­nem grie­chi­schen Ge­wand war al­ler­dings von der mei­ni­gen so ver­schie­den, dass mir die wei­ße Tu­ni­ka noch am Lei­be völ­lig auf­ge­trennt und um­ge­hef­tet wer­den muss­te. Der brei­te Mes­sing­gür­tel mit den künst­li­chen Edel­stei­nen hat­te zu mei­nem blei­chen Schre­cken eine lan­ge Sch­neb­be! Da blieb nichts üb­rig, als ihn um­zu­keh­ren und die Sch­neb­be nach oben zu rich­ten, was, wenn auch nicht ei­ner an­ti­ken, doch al­len­falls ei­ner Re­naissance­mu­se ähn­lich sah. Das ge­sch­ah un­ter dem Wi­der­spruch der Gar­de­ro­bie­re, die ver­si­cher­te, alle Iphi­ge­ni­en trü­gen einen Sch­neb­ben­leib. Ein lan­ger blau­er Pe­p­los, der an den Schul­tern be­fes­tigt wur­de, ver­deck­te, was noch stil­wid­rig war, und die Haa­re schmück­te ein Kranz von Lor­beer. So an­ge­tan, er­stieg die Muse ih­ren Vor­der­platz auf dem hoch­ge­türm­ten Wa­gen und er­griff die Ro­sen­zü­gel. Vier ge­wal­ti­ge Grau­schim­mel, von Pa­gen ge­führt, zo­gen das schwe­re Fuhr­werk. Auf dem Hoch­sitz hin­ter mir thron­te der Fürst mit sei­nem Ge­fol­ge, eine ju­gend­li­che Schüler­grup­pe kau­er­te zu mei­nen Fü­ßen. Die Muse war die ein­zi­ge, die völ­lig frei stand, und es be­durf­te in der Tat al­ler Auf­merk­sam­keit, in der hüg­li­gen Stadt das Gleich­ge­wicht zu be­wah­ren, be­son­ders als es die da­mals noch jäh ab­fal­len­de Neckar­stra­ße hin­un­ter­ging. So kam es, dass ich am Ende von dem be­rühm­ten Fest­zug, an dem mir eine Haup­trol­le zu­ge­fal­len war, nichts ge­se­hen hat­te als die Rücken mei­ner Ap­fel­schim­mel und die her­zog­li­chen He­rol­de und Ban­ner­trä­ger, die vor mei­nem Wa­gen rit­ten. Den Rest des Zu­ges mit der Grup­pe der drei Flüs­se Tü­bin­gens und mit all den ge­schicht­li­chen Per­sön­lich­kei­ten, den Ge­lehr­ten, Schü­lern, Rit­tern, Pa­gen, Mön­chen, Land­leu­ten, Flö­ßern und so wei­ter lern­te ich erst spä­ter aus Be­schrei­bun­gen und ei­ner ro­hen Zeich­nung ken­nen; Mo­ment­auf­nah­men gab es da­mals noch kei­ne. Auch mit­ten im Fest­ju­bel blieb das Phi­lis­te­ri­um sich sel­ber gleich, denn kaum hat­te ich den Fuß auf den Bo­den ge­setzt, so be­eil­ten sich schon ge­schäf­ti­ge Zun­gen, mir neue Bos­hei­ten zu­zu­tra­gen. Aber am Nach­mit­tag er­schi­en die Äs­the­tik selbst in Ge­stalt Fried­rich Vi­schers, um mir ih­ren war­men Glück­wunsch und Bei­fall zu über­brin­gen. Wäh­rend drau­ßen die Fest­freu­de wei­ter­lärm­te, die ge­gen Abend in lau­te Trun­ken­heit aus­ar­te­te, saß er bei Mut­ter und Toch­ter und er­zähl­te als gu­ter Ken­ner Ita­li­ens mit Be­geis­te­rung von den Din­gen, die uns dort er­war­te­ten.

      An die­ser Stel­le sei es mir ge­stat­tet, den Ma­nen die­ses au­ßer­or­dent­li­chen Man­nes für das herz­li­che Wohl­wol­len zu dan­ken, das er mir schon von mei­ner frü­he­s­ten Ju­gend zu­wand­te. Was er sei­nen Deut­schen war, braucht von mir nicht ge­sagt zu wer­den. Was er mir war, kann ich ohne Ruhm­re­dig­keit aus­spre­chen, denn es war sei­ne Güte, nicht mein Ver­dienst, wenn er mich schon als Kind zu sich her­an­zog. Er lud mich als Zwölf­jäh­ri­ge mit der Mut­ter zum Kaf­fee, den er selbst brau­te und ein­schenk­te, ich muss­te dann ne­ben ihm auf dem Kana­pee sit­zen, er ließ sich mei­ne Zöp­fe auf­flech­ten und er­zähl­te mir Ge­schich­ten, un­ter an­dern das gan­ze Mär­chen von den Pfahl­bau­ern, das er spä­ter dem »Auch Ei­ner« ein­ver­leibt hat. Wäre er län­ger in Tü­bin­gen ge­blie­ben, so hät­te ich im Heran­wach­sen ge­gen die An­fein­dun­gen des Phi­lis­ter­tums einen Halt und Trost ge­habt. Aber ihn sel­ber trieb die Klein­städ­te­rei von dan­nen, und er zog den Lehr­stuhl an der Stutt­gar­ter Tech­ni­schen Hoch­schu­le dem der Tü­bin­ger Uni­ver­si­tät vor, weil er dort freie­re Men­schen, die sich in der Welt um­ge­se­hen hat­ten, fand. – Als ich dann in den frü­hen acht­zi­ger Jah­ren zum ers­ten Mal aus Ita­li­en wie­der­kam und ihn in Stutt­gart be­su­chen woll­te, stieß mir das pein­li­che Ver­se­hen zu, dass ich mir die Vor­mit­tags­stun­de des­je­ni­gen Wo­chen­tags, wo er ganz un­ge­stört blei­ben woll­te, um sein Kol­leg vor­zu­be­rei­ten, in der Eile als die für Be­su­che will­kom­mens­te auf­schrieb. Erst als ich die Klin­gel ge­zo­gen hat­te und er selbst im Schlaf­rock mit ei­nem Blatt Pa­pier in der Hand mir öff­ne­te, er­kann­te ich mit jä­hem Schre­cken den Miss­griff. Er ließ mich aber durch­aus nicht mehr ent­wi­schen, ich muss­te so­gar viel län­ger, als ich ur­sprüng­lich be­ab­sich­tigt hat­te, in der bei sol­chem Ruh­me wahr­haft er­grei­fen­den Ein­fach­heit sei­ner Ge­lehr­ten­stu­be ihm ge­gen­über­sit­zen, und es schi­en ihn gar nichts zu stö­ren als sein Schlaf­rock, der ihm nicht schön ge­nug war, denn er klag­te wie­der­holt, dass er einen viel schö­ne­ren be­stellt habe und nun zu sei­nem Är­ger vom Schnei­der im Stich ge­las­sen sei, wo er ihn doch so nö­tig hät­te, um »einen an­stän­di­gen Ein­druck zu ma­chen«. – Und jetzt rei­sen Sie ab, wo der neue Rock fer­tig ist? sag­te er ein paar Tage spä­ter vor­wurfs­voll. So rüh­rend ju­gend­lich im kleins­ten wie im größ­ten war und blieb er bis ans Ende. Ein paar Jah­re spä­ter hielt ich mich aber­mals ei­ni­ge Win­ter­wo­chen in Stutt­gart auf, da ließ er sich in sei­ner rit­ter­li­chen Zu­vor­kom­men­heit nicht ab­hal­ten, mich fast täg­lich, trotz Wind und Wet­ter und trotz der nas­sen Füße, die der fast Acht­zig­jäh­ri­ge zu scheu­en hat­te, in mei­ner Pen­si­on zu be­su­chen. Wenn man die klei­ne, zar­te, ob­schon zähe Ge­stalt sah, das geis­tig ver­fei­ner­te Ge­sicht mit der über­mäch­ti­gen Stirn und dem ab­ge­blass­ten Veil­chen­blau der Au­gen, die noch gar nicht ver­trock­ne­te, fast ro­si­ge Haut, die sich fest um die ab­ge­zehr­ten Wan­gen leg­te, so mahn­te das gan­ze Bild des Man­nes er­grei­fend und be­ängs­ti­gend, dass die­ses aus­dau­ern­de Ge­häu­se all­mäh­lich doch zu dünn­wan­dig wur­de für den Geist, der es be­wohn­te. Ich wur­de schließ­lich so be­sorgt, dass ich ihm einen frü­he­ren Tag der Abrei­se nann­te und mich sel­ber um die mir noch zu­ge­dach­te Zeit brach­te, die nie mehr ver­gü­tet wer­den konn­te, denn es war das letz­te­mal, dass ich ihn mit Au­gen sah.

      Er hat­te den höchs­ten faus­ti­schen Le­bens­gip­fel er­stie­gen, von dem aus sich die Ver­wor­ren­heit der Din­ge zu großen, über­sicht­li­chen Grup­pen glie­der­te. Da­bei weh­te aber kei­ne ei­si­ge Al­ters­luft um ihn her, es gab kein Ver­stei­fen ins Ge­wohn­te, kein Wie­der­ho­len des längst Ge­dach­ten. Sei­ne Ge­dan­ken ent­stan­den im Au­gen­blick, wo er sie aus­sprach, das Neues­te war ihm eben­so lieb wie das Alte, wenn es einen tüch­ti­gen

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