Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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klei­ne­re Jun­gen un­ter­rich­tet, war drei­zehn­jäh­rig in den Se­zes­si­ons­krieg ent­lau­fen, hat­te mit den In­dia­nern ge­lebt, war Zei­tungs­be­richt­er­stat­ter ge­wor­den, al­les ohne noch je­mals einen re­gel­rech­ten Un­ter­richt ge­nos­sen zu ha­ben. Da war dann plötz­lich in­mit­ten des tä­ti­gen Le­bens mein deut­sches Blut in mir er­wacht, das nach gründ­li­che­ren Kennt­nis­sen und ei­ner wis­sen­schaft­li­chen Aus­bil­dung dürs­te­te, und ich fuhr nach Eu­ro­pa, um mit ei­ner klei­nen Erb­schaft, die mir zu­ge­fal­len war, auf ei­ner deut­schen Hoch­schu­le durch Ge­schich­te, Li­te­ra­tur und ver­wand­te Fä­cher die Lücken mei­ner Weis­heit zu stop­fen.

      In Tü­bin­gen fehl­te es mir aber zu­nächst an ei­nem pas­sen­den Um­gang. Zwi­schen ei­nem Men­schen von mei­ner bunt­sche­cki­gen Ver­gan­gen­heit und den Fa­mi­li­ensöh­nen, die ganz warm aus dem en­gen häus­li­chen Nest auf die Hoch­schu­le ka­men, war die Kluft zu groß. Ich ließ mir zu­wei­len einen der hart­tra­ben­den »Phi­lis­ters­gäu­le« sat­teln und ritt in den son­ni­gen Spät­herbst­ta­gen al­lein in die reiz­vol­le Ge­gend hin­aus. Im üb­ri­gen leb­te ich still über mei­nen Bü­chern und fand mich in­mit­ten des lau­ten Stu­den­ten­trei­bens ein­sam wie im Ur­wald.

      Man spricht so­viel vom Blitz­strahl der Lie­be. Dass es auch einen Blitz­strahl der Freund­schaft gibt, wer­den we­ni­ge ver­ste­hen, ich aber soll­te es in je­ner Zeit er­fah­ren.

      Ei­nes Mor­gens, als ich in ei­ner der lan­gen Al­leen spa­zie­ren­ging, die in drei­fa­cher Rei­he dem Städt­chen vor­ge­la­gert sind, be­geg­ne­te ich ei­nem jun­gen Mann von un­ge­wöhn­lich an­zie­hen­der Er­schei­nung, der in Gang und Hal­tung et­was Sol­da­ti­sches an sich hat­te, wo­mit ein selt­sam ab­we­sen­des, ver­träum­tes Auge im Wi­der­spruch stand. Er war mir durch sein ed­les Äu­ße­re schon frü­her in den Stra­ßen auf­ge­fal­len; auch zu Pfer­de hat­te ich ihn mehr­mals ge­se­hen und be­merkt, dass er kein Sonn­tags­rei­ter war, son­dern mit be­que­mer Selbst­ver­ständ­lich­keit im Sat­tel saß. Aber als er jetzt in dem ra­scheln­den Kas­ta­ni­en­laub nahe an mir vor­über­ging und mich mit ei­nem schnel­len Blick streif­te, da durch­fuhr mich’s: die­sen oder kei­nen suchst du dir zum Freund. Ich nahm es für eine gute Vor­be­deu­tung, dass ich ihn noch am sel­ben Vor­mit­tag in ei­nem Kol­leg über äl­te­re deut­sche Li­te­ra­tur wie­der­fand. Er saß nur we­nig von mir ent­fernt, und ich war die gan­ze Zeit über mehr mit ihm als mit dem Vor­trag be­schäf­tigt. Ich hät­te es kaum in Wor­te fas­sen kön­nen, was mich so ganz ei­gen zu ihm hin­zog. Aber al­les an ihm fes­sel­te mich: die Stirn, die un­ter dem dich­ten Haar mit ed­ler Wöl­bung in den Schä­del über­ging, die dunklen, über der Nase lei­se zu­sam­men­tref­fen­den Au­gen­brau­en, die Art, wie er den Kopf trug, lau­ter Äu­ßer­lich­kei­ten, die mir der Aus­druck für et­was wa­ren, wo­für ich noch kei­nen Na­men hat­te. Wäh­rend die an­de­ren mit vor­ge­neig­ten Köp­fen em­sig krit­zel­ten, hielt er die Au­gen ru­hig auf den Vor­tra­gen­den ge­hef­tet und mach­te nur dann und wann eine ra­sche Auf­zeich­nung. Von da ab sa­ßen wir fast einen Win­ter lang zwei­mal wö­chent­lich im glei­chen Hör­saal bei­sam­men, ohne je ein Wort zu tau­schen. Mein Herz brann­te da­nach, ihn an­zu­re­den, aber sein ab­ge­schlos­se­nes We­sen be­nahm mir den Mut. Und doch war ich si­cher, dass auch er mich be­merkt hat­te, denn bei je­dem be­son­de­ren An­lass be­geg­ne­ten sich un­se­re Au­gen. Ich will ihn Gu­stav Borck nen­nen, es ist der Name, den er sich spä­ter ge­wählt hat; warum ich sei­nen wirk­li­chen Na­men, dem ein »von« vor­ge­setzt war, nicht nen­ne, wird sich aus sei­ner Ge­schich­te von selbst er­klä­ren. Au­ßer dem Na­men konn­te ich nichts von ihm er­kun­den, als dass er Nord­deut­scher war, als Ju­rist im­ma­tri­ku­liert, und dass er ein Türm­chen hart am Neckar be­wohn­te, worin ein Uns­terb­li­cher in vier­zig­jäh­ri­ger geis­ti­ger Um­nach­tung ge­lebt hat­te. Dort konn­te man vom jen­sei­ti­gen Flus­sufer aus zu­wei­len sei­nen dunklen Kopf am Fens­ter er­ken­nen.

      Was sich an­zieht, muss sich end­lich fin­den. Bei ei­nem Fest­kom­mers zu Ehren ei­nes schei­den­den Leh­rers er­gab es sich, dass wir bei­de ne­ben­ein­an­der zu sit­zen ka­men. Ich stell­te mich vor, wie ich’s die an­dern tun sah:

      Ge­stat­ten Sie – – mein Name ist Ewers.

      Er er­hob sich: Mein Name ist Borck.

      Eine Ver­beu­gung, dann setz­ten wir uns, aber durch die dür­re For­mel hin­durch grüß­ten sich un­se­re See­len.

      Sie sind Ame­ri­ka­ner, ich weiß von Ih­nen, sag­te er ver­bind­lich. Sie sind so glück­lich, ei­nem großen Ge­mein­we­sen an­zu­ge­hö­ren und schon viel ge­se­hen zu ha­ben. Ich be­nei­de Sie.

      Die lei­se Bit­ter­keit die­ser Wor­te war die Fol­ge der un­säg­lich be­en­gen­den Ver­hält­nis­se des da­mals noch un­ge­ein­ten Deutsch­land. Ich aber fühl­te mich da­durch ge­ho­ben, als ob man mir ein Adels­di­plom auf den Tisch ge­legt hät­te.

      Jene Nacht wur­de die Ge­burts­nacht ei­ner Freund­schaft, die durch eine Rei­he von Jah­ren den stärks­ten In­halt mei­nes Le­bens ge­bil­det hat. Wir schlos­sen uns zu­sam­men, wie wenn je­der dem an­dern bis­her zu sei­nem Da­sein ge­fehlt hät­te. Ich be­wun­der­te ihn als Vor­bild alt­ver­erb­ter, ver­edel­ter Kul­tur, er sah in mir, wo­nach sein hef­ti­ges Ver­lan­gen stand: Frei­heit und Welt­wei­te.

      Sie ha­ben noch gar nichts ge­dacht, aber Sie ha­ben ge­lebt, pfleg­te er mir un­ter den ver­schie­dens­ten For­men im­mer wie­der zu sa­gen. Ich, der nicht le­ben darf, wan­de­re mit dem Geist durch Raum und Zeit; so ge­ben wir zwei zur Not einen gan­zen Men­schen.

      Gu­stav Borck stamm­te aus alt­preu­ßi­schem Mi­li­tära­del, für den es sich von selbst ver­stand, dass der ein­zi­ge Sohn ei­ner töch­ter­rei­chen Of­fi­ziers­fa­mi­lie, de­ren Vor­fah­ren die Schlach­ten Fried­richs mit­ge­schla­gen hat­ten, in der Kriegs­schu­le er­zo­gen wur­de. Al­lein die­ser feu­ri­ge und selbst­herr­li­che Mensch war wie durch ein Ver­se­hen der Na­tur in sei­ne steif­lei­ne­ne Um­welt hin­ein­ge­bo­ren; statt wie die Ka­me­ra­den mit vol­len Lun­gen den Kas­ten­geist ein­zuat­men, be­hielt er auch in der An­stalt sei­nen ei­ge­nen Geist, mit dem er bei Vor­ge­setz­ten und Mit­schü­lern an­s­tieß. Zu Hau­se in den Fe­ri­en war es fast noch schlim­mer, denn da herrsch­te die­sel­be strengs­ol­da­ti­sche Le­bens­auf­fas­sung, und er konn­te sich we­der mit den El­tern noch mit den Schwes­tern ver­ste­hen, die die Dienst­ord­nung aus­wen­dig wuss­ten und von nichts re­de­ten als von Übungs­platz und Trup­pen­schau. Sein Va­ter, ein Ve­teran aus den Schles­wig-Hol­stein­schen Kämp­fen, der mit ei­ner Ku­gel im Bein, die er sich vor den Düpp­ler Schan­zen ge­holt hat­te, und dem Obers­ten­rang ver­ab­schie­det war, er­war­te­te im stil­len Gro­ßes von die­sem Soh­ne, be­han­del­te ihn aber mit Stren­ge, um sein Frei­heits­ge­fühl und die Nei­gung zu au­ßer­mi­li­tä­ri­schen Din­gen in ihm nie­der­zu­hal­ten. Es half nichts, dass die­ser in der An­stalt nicht bloß als be­gab­tes­ter Kopf, son­dern auch als bes­ter Rei­ter und Fech­ter galt; was sein Va­ter an ihm ver­miss­te, konn­te und woll­te er sich nicht ge­ben. Nur an sei­ne frü­he­s­ten Ju­gend­jah­re, die er bei ei­nem müt­ter­li­chen Oheim in Pa­der­born zu­brach­te, dach­te er mit Freu­de als an die ein­zig glück­li­che Zeit sei­nes Le­bens

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