Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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der zar­ten, ver­letz­li­chen Men­schen­blu­me eine Art von Ehr­furcht ent­ge­gen­brach­te. Die miss­ver­stan­de­nen Grie­chen, sag­te er ein­mal, wuss­ten wohl, warum sie im Jüng­ling, nicht in der Jung­frau, die auf­ge­bro­che­ne Blü­te der Mensch­heit ver­ehr­ten. Das Mäd­chen ist das un­fer­ti­ge, der Jüng­ling das vollen­de­te Ge­bild. Sei­ne Un­schuld ist nicht Na­tur­zu­stand wie die ihre, dumpf und pflan­zen­haft, sie ist ein Zu­stand der Gna­de, se­hend, all­um­fas­send wie das Son­nen­licht; in ihr spie­geln sich die ewi­gen Din­ge.

      Und spä­ter, setz­te er weg­wer­fend hin­zu, glaubt der Mann fort­zu­schrei­ten, weil er die ver­gäng­li­chen bes­ser sieht.

      Ei­nes Abends ge­sell­te sich ein Durch­rei­sen­der zu uns, der durch einen von der Ge­sell­schaft ein­ge­führt war. Er ge­hör­te nicht zu den aka­de­mi­schen Krei­sen, hat­te aber da­für ein Stück Welt ge­se­hen und be­trug sich vor­laut und takt­los. Als es ge­gen Mit­ter­nacht ging und er schon meh­re­re Glä­ser Li­kör ge­leert hat­te, be­gann er sich in Zwei­deu­tig­kei­ten zu ge­fal­len, die Fräu­lein Ade­le ver­an­lass­ten, sich un­auf­fäl­lig in ih­ren An­richt­win­kel zu­rück­zu­zie­hen. Trotz der kal­ten Auf­nah­me, die er fand, und trotz der ab­len­ken­den Zwi­schen­re­den des Ver­wand­ten, der ihn mit­ge­bracht hat­te, blieb der Ein­dring­ling in der an­ge­schla­ge­nen Ton­art und be­gann ge­wis­se Hi­stör­chen zu er­zäh­len, die er für wit­zig hielt, die aber nur ge­mein wa­ren.

      Sei’s, dass uns der Kopf schon schwer war vom ge­nos­se­nen Punsch, sei’s, dass die Ödig­keit sei­nes Spre­chens sich läh­mend auf uns leg­te, wir sa­ßen an­ge­wi­dert aber stumm und fan­den nicht den rich­ti­gen Au­gen­blick, ihm das Wort zu ent­zie­hen; er brach­te auch nichts ge­ra­de­zu Gro­bu­n­an­stän­di­ges vor, es war nur wie lei­ses Ein­si­ckern von schmut­zi­gem Was­ser und dazu noch ganz un­säg­lich al­bern. Olaf leg­te den Kopf ge­gen die Stuhl­leh­ne und schloss die Au­gen, als ob ihm kör­per­lich übel wür­de.

      Da er­hob sich Borck, der bis­her mit ver­ächt­lich zu­cken­den Mund­win­keln ge­ses­sen hat­te, und be­weg­te sich nach dem un­te­ren Ti­schen­de. Ich glaub­te, er wol­le sei­nen Hut vom Na­gel neh­men, um fort­zu­ge­hen, aber er pack­te den Ein­dring­ling am Kra­gen, schüt­tel­te ihn mit ei­ner Kraft, die nie­mand hin­ter sei­ner schlan­ken Ge­stalt ge­sucht hät­te, und stieß ihm den Kopf auf die Tisch­plat­te, riss ihn dann wie­der in die Höhe, drück­te ihn aber­mals auf den Tisch, und so sechs- bis sie­ben­mal in re­gel­mä­ßi­gen Ab­sät­zen, dass es dröhn­te und dem Ge­maß­re­gel­ten Hö­ren und Se­hen ver­ging. Dann kehr­te er ge­las­sen an sei­nen Platz zu­rück, als wäre nichts ge­sche­hen. Nie­mand sag­te ein Wort zu dem selt­sa­men Auf­tritt, auch nicht der Ge­züch­tig­te selbst, der eine Zeit lang ganz be­nom­men saß, mit blö­den Au­gen vor sich hin­glotz­te und sich dann tau­melnd ent­fern­te.

      Wir wa­ren noch alle stumm nach die­sem un­er­war­te­ten Straf­ge­richt, als Olaf sein Kelch­glas er­hob und fei­er­lich sag­te:

      Auf Ihr Wohl, Borck!

      Da spran­gen alle auf die Füße und stie­ßen mit an, auch je­ner Mit­gast, der den Un­hold ein­ge­führt hat­te und sich jetzt sei­nes Schütz­lings schäm­te.

      Als wir auf­bra­chen, glitt Ade­le wie eine La­zer­te her­bei und sag­te, in­dem sie dem Hel­den des Abends den Hut reich­te:

      Das ha­ben Sie groß­ar­tig ge­macht, Herr von Borck. Ich wer­de es nie ver­ges­sen, wie Sie den gars­ti­gen Men­schen pack­ten. Und ich muss Ih­nen sehr, sehr dan­ken.

      Zum Dan­ken liegt kein Grund vor, ant­wor­te­te er kühl. Glau­ben Sie denn, ich möch­te sel­ber im Schmutz­was­ser ba­den? Ganz zer­knickt schlich die Ärms­te an ih­ren An­richt­tisch zu­rück und hob die Au­gen nicht mehr auf, aus de­nen lang­sam zwei große Trä­nen her­ab­roll­ten.

      *

      Stu­den­ten­ta­ge! Fül­le des Da­seins, wie ich sie nir­gends wie­der­ge­fun­den habe. Äu­ßer­lich fast un­be­wegt, aber mit ge­heim­nis­vol­len Schät­zen in der Tie­fe, wie ein glat­ter See­spie­gel über kris­tal­le­nen Wun­der­pa­läs­ten. Al­les war un­ser im Dies­seits und Jen­seits, wo­hin wir mit un­se­ren Ge­dan­ken rei­chen konn­ten; Ho­mer und Goe­the, Pla­ton und Scho­pen­hau­er, Kunst, Lie­be, Uns­terb­lich­keit. Durch Gu­stavs Nähe be­sa­ßen wir das al­les. Mit sei­ner über­mäch­ti­gen Fan­ta­sie zog er wie die thes­sa­li­schen Zau­be­rer Mond und Ster­ne zu sich her­un­ter und häng­te sie als Ta­fel­be­leuch­tung auf, dass wir oft nicht mehr wuss­ten, in wel­cher Welt wir wa­ren.

      Vom Ge­ni­us der Völ­ker sprach er gern, und wie das eine sich vom an­de­ren un­ter­schei­de. Wenn ich mich wun­der­te, wo­her er all die­se Kennt­nis ei­nes Weit­ge­reis­ten brach­te, so lach­te er mich aus:

      Im kleins­ten Teil ist das Gan­ze ent­hal­ten. Zeigt ei­nem Künst­ler eine Hand, einen Fuß, er er­kennt dar­aus die gan­ze Ge­stalt. Gebt mir ein ein­zi­ges Dich­ter­werk ei­nes Vol­kes, so weiß ich die­ses Vol­kes We­sen und Wol­len.

      Frank­reich lob­te er, aber er lieb­te es nicht. Es war ihm das Land der großen Schrift­stel­ler und der klei­nen Dich­ter. Sein Schrift­tum ver­glich er ei­nem brei­ten, künst­lich an­ge­leg­ten Be­rie­se­lungs­feld, wo bei äu­ßers­ter Aus­nüt­zung mä­ßi­ger Na­tur­mit­tel eine rei­che Ern­te er­zielt wird. Das war die Ein­lei­tung zu An­kla­gen feu­ri­ger Lie­be ge­gen das ei­ge­ne Volk.

      Deutsch­land, du ewig mor­gi­ges, sag­te er, du Wi­der­spruch der Na­tur, Kind des Über­flus­ses und der Not, das sei­ne Fül­le nicht be­herr­schen kann, die ihm im­mer über­strömt, zer­rinnt, dass es mit lee­ren Hän­den steht, und o Schmach! bei den är­me­ren Nach­barn bor­gen geht.

      Bei sol­chen Wor­ten er­hob sich dann wohl ein Sturm des Wi­der­spruchs, aber er ließ sich nicht ir­re­ma­chen.

      Welch ein Edel­gut liegt ver­schüt­tet in un­se­rem Bo­den: Kleist, Heb­bel, Grab­be, Höl­der­lin! Wer nennt ihre Na­men drau­ßen in der Welt, und wer kennt sie bis heu­te im Va­ter­land! Und noch im­mer wächst die Zahl der Un­ver­stan­de­nen. Was wird das für ein Au­gen­blick sein, wenn sie ein­mal alle auf­ste­hen zur Geis­ter­schlacht, ein Heer von lau­ter Feld­herrn, um zu­sam­men die Welt zu er­obern.

      Mit Kuno Schüt­te und Olaf Han­sen be­geg­ne­te er sich in dem Wunsch­traum von ei­ner kom­men­den Wel­t­herr­schaft des ger­ma­ni­schen Geis­tes, der ohne Un­ter­drückung, ohne welt­li­che Macht alle an­de­ren als ein großes Band der Ein­heit um­schlin­gen soll­te. Kei­ne Erin­ne­rung an die ge­mei­ne Wirk­lich­keit des Völ­ker­le­bens hemm­te den Flug die­ser Geis­ter, von Welt­be­ge­ben­hei­ten war nie die Rede; um die Luft rein zu er­hal­ten, las man nur sel­ten eine Ta­ges­zei­tung, man leb­te, dach­te, sprach, als ob es gar kei­ne Staats­ge­bil­de gäbe, die ei­fer­süch­tig sind und wach­sen wol­len. Kein Schaum­wein konn­te er­re­gen­der sein als Gu­stav Borck, wenn er ein­mal über­floss. Er war im­stan­de, sich Aben­de lang mit Kuno Schüt­te, dem Ed­da­be­flis­se­nen, in Stab­rei­men zu un­ter­hal­ten; es klang schau­rig und ge­heim­nis­voll wie dunkle Weis­sa­gun­gen ei­ner

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