Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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von sel­ber auf­ge­gan­gen, und die Hand­schrift wäre ver­mut­lich ins Feu­er ge­wan­dert. Al­lein er griff mich von der mo­ra­li­schen Sei­te statt von der künst­le­ri­schen an, in­dem er sich über die sitt­li­che An­brü­chig­keit mei­nes Hel­den wie über eine wirk­li­che Per­son ent­rüs­te­te und die Be­haup­tung ver­trat, ein so ge­wis­sen­lo­ser Mann kön­ne ei­ner rei­nen Frau­en­see­le kei­ne Lei­den­schaft ein­flö­ßen, wo­von sich leicht aus Ge­schich­te und Le­ben das Ge­gen­teil er­här­ten ließ. Hier war ge­wiss der Brenn­punkt all un­se­rer Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten: er sah das Le­ben ver­nunft­ge­mäß an und ver­lang­te auch von der Dich­tung wi­der­spruchs­lo­se, ge­setz­mä­ßig auf­zu­lö­sen­de Cha­rak­tere, wäh­rend für mich zur in­ne­ren Wahr­heit die Wi­der­sprü­che mit ge­hör­ten. Nie­mand ver­stand es, wär­mer und herz­li­cher zu lo­ben als Hey­se, wo er in­ner­lich ein­stimm­te; um­ge­kehr­ten­falls konn­te er aber un­ver­hält­nis­mä­ßig schroff wer­den, wie ich ihn dies­mal sah. Wir strit­ten hef­ti­ger als je, und das kal­te Sturz­bad mit­ten in die ers­ten Schöp­fer­freu­den hin­ein griff mich mehr an, als ich zei­gen moch­te. Aber heim­lich dach­te ich doch, er­fun­de­ne Ge­stal­ten, die sol­chen Sturm ent­fes­sel­ten, könn­ten nicht ganz ta­lent­los ge­macht sein. Und nun ge­sch­ah es in der Fol­ge, dass die No­vel­le ge­druckt wur­de zu ei­ner Zeit, wo ich schon dar­über hin­aus­ge­wach­sen war und ihre Schwä­chen ein­sah, dass sie bei den Le­sern mehr An­klang fand, als mir lieb war, und zu mei­nem größ­ten Ver­druss wäh­rend ei­ni­ger Jah­re bald da, bald dort nach­ge­druckt wur­de, ohne dass ich es zu hin­dern ver­moch­te. Da ich vor lau­ter Er­nüch­te­rung nicht ein­mal mehr die Kor­rek­tur­bo­gen ge­le­sen, son­dern sie schleu­nigst ver­krü­melt hat­te, ging das Ding nun auch noch mit den irr­sin­nigs­ten Feh­lern be­haf­tet durch den Blät­ter­wald. Nur der Um­stand, dass ich da­mals schon in Ita­li­en leb­te und dass von all den Men­schen, die mir in den Stra­ßen von Flo­renz be­geg­ne­ten, wohl nie­mand die Miss­ge­burt ge­le­sen hat­te, trös­te­te mich über den un­er­wünsch­ten Er­folg.

      So­bald die Münch­ner Son­ne wär­mer schi­en, war es mein ers­tes, mir zur Lust und den Tü­bin­ger Moral­be­grif­fen zum Trotz Schwim­mun­ter­richt zu neh­men in der Würm. Mün­chen be­saß na­tür­lich in dem durch einen Stell­wa­gen mit der Stadt ver­bun­de­nen Un­ge­rer­bad schon sei­ne Da­menschwimm­schu­le. Nach drei­en Ma­len war es ge­sche­hen: ich konn­te mei­ne Schwimm­bla­sen weg­wer­fen und mich vom Was­ser tra­gen las­sen; welch ein Hoch­ge­fühl! Aber noch ahn­te ich nicht, wozu das bin­nen kur­z­em gut sein soll­te.

      Ei­nes Ta­ges stand Ed­gar wie aus der Pis­to­le ge­schos­sen vor mir: er kam, von mei­nen Brie­fen an­ge­zo­gen, sich nach ei­nem Wir­kungs­kreis in Mün­chen um­zu­se­hen. Die lei­di­gen Ver­hält­nis­se wie­sen ihn, der durch­aus für eine glän­zen­de wis­sen­schaft­li­che Lauf­bahn ge­bo­ren war, in die Pra­xis, aber die Hei­mat hat­te kei­ne Ver­wen­dung für ihn. Stutt­gart war über­füllt mit Ärz­ten, zum Land­arzt pass­te er nicht, in eine Klein­stadt noch we­ni­ger; auch leg­te man ihm sei­ner so­zia­lis­ti­schen Ge­sin­nung we­gen über­all Schwie­rig­kei­ten in den Weg. Zwei Tage hielt er sich in Mün­chen auf, be­such­te Kli­ni­ken und Ärz­te, und ich gab mich schon der Hoff­nung hin, ihn gleich­falls fest­wach­sen zu se­hen. Aber der drit­te Tag mach­te die­se Er­war­tung zu­nich­te, er er­klär­te, dass Mün­chen kein Platz für ihn sei. Ob die Um­stän­de wirk­lich so un­güns­tig la­gen oder ob der Drang nach ei­nem fer­ne­ren, lo­cken­de­ren Zie­le ihn wei­ter­trieb, weiß ich nicht. Ed­gar war kein Mann von lang­sa­men Ent­schlüs­sen: ehe ich mich’s ver­sah, hat­te er sich schon ver­ab­schie­det und fuhr Ita­li­en zu.

      Das war im Früh­jahr ge­we­sen. Be­vor der Som­mer ins Land kam, hat­te er sich ohne ir­gend­wel­chen Vor­schub noch Gön­ner­schaft in Flo­renz eine ärzt­li­che Stel­lung ge­grün­det, und es war be­reits be­schlos­se­ne Sa­che, dass ihm Mama mit Bal­de, dem man durch ein süd­li­ches Kli­ma das Le­ben zu fris­ten hoff­te, dort­hin nach­fol­gen soll­te. Die Sor­ge für den Kran­ken hat­te schon be­stim­mend auf die Wahl des Auf­ent­halts ein­ge­wirkt. Jetzt ver­band er sich mit der Mut­ter, um auch mich zum An­schluss zu be­we­gen. Die­ser Vor­schlag war wie ein Blitz, der in eine plötz­lich er­hell­te wun­der­sa­me Ge­gend bli­cken lässt, und nahm mir fast den Atem. Es ging ja ge­gen alle bür­ger­li­che Ver­nunft, das wert­vol­le kaum Er­run­ge­ne schon nach drei Vier­tel­jah­ren um et­was völ­lig Un­be­kann­tes zu ver­tau­schen. Al­lein die großen Ent­schei­dun­gen des Le­bens wer­den nicht durch die Ver­nunft ge­trof­fen, son­dern durch das Dä­mo­ni­sche in uns, das un­se­re Be­dürf­nis­se bes­ser kennt als wir sel­ber. Ich habe sein Wal­ten nie­mals be­reut. Es ent­zog mich der da­ma­li­gen deut­schen Kul­tur­pha­se, die kei­ne schö­ne war, und ließ mich mein Welt­bild un­ge­trübt aus dem ei­ge­nen In­nern ge­stal­ten. Frei­lich for­der­te es einen ho­hen Preis da­für, in­dem es mich all der un­be­re­chen­ba­ren Vor­tei­le be­raub­te, die der Zu­sam­menschluss mit an­de­ren ge­währt. Ich hat­te mei­nen künst­le­ri­schen Weg nun ganz al­lein, ohne Vor­schub noch An­leh­nung ir­gend­wel­cher Art, zu ma­chen. Mei­ne neu­en Freun­de schüt­tel­ten na­tür­lich die Köp­fe und hiel­ten mir alle Be­den­ken vor, die mir schon sel­ber auf­ge­stie­gen wa­ren. Aber Ed­gar schrieb von den al­ten Pa­läs­ten am Arno, von der Etrus­ker­stadt Fie­so­le und von Som­mern an dem na­hen Mee­re. Das war es, was am stärks­ten zog; nicht die Kunst Ita­li­ens, von der ich noch we­nig wuss­te, nicht die herr­li­chen Städ­te­bil­der, die man ja nicht wie heu­te schon aus un­ge­zähl­ten Ab­bil­dun­gen kann­te, auch nicht im dun­keln Laub die Gol­doran­gen be­herrsch­ten so mei­ne Träu­me wie das blaue, un­end­li­che Meer. Ich mein­te, erst am Mee­re kön­ne mein in­ne­rer Mensch sich vollen­den. Der Wunsch, wie­der mit den Mei­ni­gen ver­eint zu sein, und li­te­ra­ri­sche Auf­trä­ge, die mich hof­fen lie­ßen, auch dort mei­ne Selbst­stän­dig­keit be­grün­den zu kön­nen, zo­gen die Wage vollends nach die­ser Sei­te her­un­ter. Als ich der hof­fen­den und war­ten­den Mut­ter mein Ja ge­schrie­ben hat­te und den Brief in einen Brief­kas­ten der Bri­en­ner­stra­ße wer­fen woll­te, zuck­te mei­ne Hand noch ein­mal zu­rück. Ein plötz­li­cher Zwei­fel hat­te mich be­fal­len, und ich be­schloss, die Fra­ge noch ein­mal in die Hand des Schick­sals zu­rück­zu­le­gen. Ich zähl­te die Fens­ter des Hau­ses auf Ja und Nein. Der Spruch hieß Ja, der Brief fiel in den Kas­ten, und ein großer Ju­bel er­füll­te mei­ne gan­ze See­le.

      Be­vor ich schied, er­war­te­ten mich noch vier­zehn köst­li­che Som­mer­ta­ge, die ich bei Horn­steins in Am­bach am Starn­ber­ger See ver­brin­gen durf­te. Des Mor­gens auf Feld und Wie­sen ent­stan­den klei­ne Lie­der, die der Haus­herr als­bald in Mu­sik setz­te und die des Abends schon von der gleich­falls als Gast an­we­sen­den ge­fei­er­ten Sän­ge­rin Agla­ja Or­ge­niy am Kla­vier ge­sun­gen wur­den. Die gan­ze üb­ri­ge Zeit lag ich im See und ge­noss vor­aus die Won­ne, dass ich künf­tig im Mee­re schwim­men wür­de! Ich er­in­ne­re mich, wie ein­mal Lud­wig II. in sei­ner glän­zen­den Ka­ros­se schnell wie ein Traum­ge­dan­ke an un­se­rem Ba­de­strand vor­über­roll­te und wie die jun­gen Mäd­chen gleich Was­ser­vö­gel­chen in die Höhe fuh­ren, um ihm aus den Flu­ten ih­ren Knicks zu ma­chen. Eine se­li­ge Los­ge­bun­den­heit und über­schweng­li­che Er­war­tung ver­zau­ber­te mir die gan­ze Welt, und das neue Glück, dem ich ent­ge­gen­ging, ver­schön­te das ge­gen­wär­ti­ge, das ich ver­las­sen soll­te.

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