Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Aber gerade auf dieser Reise war den Freunden doch die große innere Verschiedenheit ihrer Naturen aufgegangen, und Edgar mit seinen oft aus höchstem Seelenschwung entspringenden Eigenheiten hatte es dem anderen nicht leicht gemacht. Ernst kleidete aus Hildrizhausen seine Beschwerden in einen humoristischen Brief, der alle einzelnen Vorkommnisse der Reise aufzählte und große Heiterkeit erregte. Auch Freund Hopf, der bald danach aus seinem Pfalzgrafenweiler herüberkam, half über die Reiseabenteuer lachen. An diesen Besuch knüpft sich noch eine niedliche Erinnerung. Wir saßen dem Gaste zu Ehren alle bei einer Flasche Wein in des Vaters Studierzimmer beisammen, was selten geschah. Da erhob Edgar sein Glas gegen mich und sagte: Tibi, Illo! –Was, illo? rief Hopf strafend. Es kann nicht illo heißen, du bist mir ein sauberer Lateiner. Der treffliche Mann war ein großer Freund der Jugend, aber bei seiner ausgesprochen pädagogischen Anlage neigte er sehr zum Bessern und zum Belehren. Dafür hatte ihm Edgar nun eine kleine Falle gestellt. Der Vater blickte erwartungsvoll auf den Sohn, dessen Latinität außer allem Zweifel stand. Illo ist kein Latein, sagte dieser schmunzelnd. So nannte sich meine Schwester, als sie klein war und ihren Namen noch nicht aussprechen konnte, und bei mir heißt sie noch heute so. Es war der kindliche Kosename, den er mir gab, wenn er gut aufgelegt war.
Die einseitige Leidenschaftlichkeit seines Wesens trieb es jetzt in dem Freundschaftsbunde, der sein Glück gewesen war, allmählich zur Katastrophe. Missverständnisse, störende Einmischungen Dritter hatten schon den ersten Glanz getrübt. Er verstand es niemals, sich seiner Freunde »schonend zu erfreuen«, denn er verlangte eine Ausschließlichkeit und ein Ineinanderfließen, die nicht von dieser Welt sind. Wenn das Bild, das er sich von dem andern machte, irgendwo mit der Wirklichkeit nicht stimmen wollte, so zerriss es ihm das Herz. Bald fand er sich in dem Freunde nicht mehr zurecht, der sich Menschen und Dingen anpasste, wie sie ihm in den Wurf kamen, und das Leben von der guten Seite nahm. Nun kamen immer mehr Schmerzen und Enttäuschungen. Ernst ließ sich beikommen, mit zwei älteren norddeutschen Studenten zu verkehren, bei denen er in der Stammesverschiedenheit seinen geistigen Gesichtskreis zu erweitern hoffte. Ob nun Eifersucht im Spiele war oder Edgar gerade jene Persönlichkeiten des Freundes nicht würdig hielt, er fühlte sich verletzt und forderte, dass Ernst den neuen Umgang aufgebe. Das konnte dieser nicht gewähren und suchte sich durch gütliches Zureden und ausweichenden Scherz aus der Klemme zu ziehen. Aber er machte dadurch das Übel ärger, denn bei Edgar war es bitterer Ernst. Er kam noch einmal auf sein Zimmer und ersuchte den Freund nachdrücklich, zwischen ihm und jenen zu wählen. Als dieser erklärte, dass er nicht wählen könne und wolle, antwortete er verzweiflungsvoll: Dann hast du gewählt! und ging mit einem vernichtenden Blick aus dem Zimmer.
Es war eine furchtbare Krisis in seinem Jünglingsleben. Obwohl völlig im Unrecht, glaubte er doch ganz und gar im Rechte zu sein, weil er sich der größeren Stärke seines Gefühls bewusst war. Der andere sah nicht, was in dieser tiefernsten, immer aufs höchste gespannten Seele vorging. Wir aber, die ihn besser kannten, verstanden es und fürchteten für sein Gleichgewicht. In seinen ekstatisch blickenden und doch so willensfesten Augen lag damals etwas Werterisches. Es war jene kritische Übergangszeit im Leben des begabten Jünglings, bevor Frauenliebe ihn auf den Erdboden zurückholt. Mama hatte entdeckt, dass er in einem verschlossenen Kästchen unter allerlei Heiligtümern ein Fläschchen Morphium bewahrte, über das sie sich heftig ängstigte. Es diente wohl nur zur Prüfung des Selbsterhaltungstriebs wie jener Dolch, mit dem Goethe spielte. Ich weiß nicht mehr, auf welche Weise es mir gelang, den Schrein heimlich zu öffnen; ich goss das Fläschchen aus und füllte es mit einer ganz gleich gefärbten, aber unschuldigen Flüssigkeit. Er merkte nichts und hat nie von dem Tausch erfahren. Die Erschütterung ging auch bald vorüber, aber sie hatte auf sein ganzes Leben eine Nachwirkung. Er verschloss fortan das Zärtlichkeitsbedürfnis, dessen er sich schämte, in tiefster Brust und wurde in der Form so schroff und herb, dass auch seine Angehörigen den Weg nicht mehr so recht zu seinem Innern fanden. Er wollte fortan keinen Herzensfreund mehr. Als er dann selber Student wurde, suchte er sich nur solche Gefährten aus, unter denen er unbedingt herrschen konnte. Und er wählte seinen Umgang nicht ohne eine gewisse Absicht so, dass es den ehemals Geliebten verletzen musste, weil dieser sich sagen durfte, dass er selber mehr geboten hatte. Und nicht einmal in reifen Mannesjahren fanden sie mehr den Weg zueinander, obschon sie beiderseits den Versuch einer Wiederannäherung unternahmen und keiner dafür das Opfer einer weiten Reise scheute. Die Zeit macht keine Missverständnisse des Herzens gut; sie häuft nur Massen darüber auf und verschüttet mit dem Groll auch die Liebe.
Ich war es, die am meisten von Edgars Anlage zu leiden hatte, seitdem der Freund nicht mehr als Blitzableiter dazwischen stand. Er verlangte jetzt unter anderm plötzlich, dass ich nicht mehr tanze, weil der Gedanke, dass der erste beste mit einer Verbeugung an seine Schwester herantreten und mit ihr herumwirbeln könne, ihm unerträglich sei. Dass ich die Sache nicht mit seinen Augen sehen wollte, schmerzte ihn tief, und nun schrieb er eine Flugschrift gegen das Tanzen, die er drucken ließ. Als er uns einmal in Niedernau abholen sollte, riss er mir beim Heraustreten aus dem Ballsaal die Kränze vom Arm und warf sie vom Brücklein in den Waldbach. Dabei standen ihm die Tränen in den Augen, dass er mir trotz meines Unmuts leid tat. Aber ich konnte es nicht hindern, dass wir uns innerlich voneinander entfernten. Ohne dass ich es wusste und wollte, wurde er, der bisher stets die Hauptperson gewesen, jetzt durch mich an die zweite Stelle gedrängt. Ich war mit vierzehn Jahren nahezu ausgewachsen und wurde auch von den reiferen Männern unseres Kreises für voll genommen, während er als fünfzehnjähriger Gymnasiast noch kaum beachtet daneben stand. Das alles floss dem Leichtverletzten zu einem unbestimmten Gefühl von Kränkung zusammen, und er ging neben der Schwester, die sich ihm halb entwand und ihm halb von den andern entzogen wurde, mit einer starken, aber heimlich zürnenden Liebe her, deren Äußerungen alles eher als wohltuend waren.
Sein schmerzlicher Bruch mit Mohl wurde äußerlich durch die Familie verkittet. Wenn dieser, nun gleichfalls im Herzen vereinsamt, Mama oder mich am Fenster stehen sah, so zog es ihn, wie schroff er von