Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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Bett­stücken und an­de­rem Haus­rat voll­ge­pfropft. Hin­ter die­sen such­te ich Si­cher­heit, bis die Ge­fahr vor­über wäre. Aber als Mama auf der Su­che nach mir den Spei­cher her­auf­ge­stürmt kam, da ver­riet mich wie wei­land den Kö­nig En­zio ein Schopf, der zwi­schen den Sä­cken her­vorglänz­te, und ich wur­de an den Zöp­fen die Trep­pe hin­ab­ge­zerrt. Ich schluchz­te und groll­te in mich hin­ein und nahm erst vor der Tür wie­der Hal­tung an, aber eine un­gnä­di­ge. Doch der jun­ge Leh­rer ver­stand es, mir des Ta­ci­tus Ger­ma­nia so schmack­haft zu ma­chen, dass ich schon auf der ers­ten Sei­te mei­nen Un­mut fah­ren ließ. Ich fühl­te mich auch als Deut­sche ge­schmei­chelt, dass mir der alte Rö­mer über mei­ne Vor­fah­ren so viel Ver­bind­li­ches zu sa­gen hat­te, und fand da­nach sein Volk min­der ab­sto­ßend. Ich über­setz­te die gan­ze Ger­ma­nia, schrieb sie schön ins Rei­ne und über­reich­te sie mei­ner Mut­ter, die nun wie­der ganz mit mir zu­frie­den war. Sie be­rich­te­te dem al­ten Freund Bac­meis­ter in Reut­lin­gen mei­ne Leis­tung, und die­ser ver­ehr­te mir in kol­le­gia­ler Aner­ken­nung je ein Druck­stück sei­ner eben er­schie­ne­nen Ta­ci­tus- und Sal­lu­st­über­set­zun­gen.

      Und zur Be­loh­nung führ­te mich Mama auf den ers­ten Ball nach Nie­der­nau. Nie­der­nau! Könn­te ich dem Wort nur et­was von dem Zau­ber ein­hau­chen, den es in Mäd­che­noh­ren be­saß. Man den­ke sich ein be­schei­de­nes, lieb­lich erns­tes Schwarz­wald­tal, von Tan­nen um­stan­den, von ei­nem Bäch­lein durch­flos­sen; da­selbst ein an­spruchs­lo­ses Kur­haus mit ei­nem großen Tanz­saal, der an sich kein Schau­stück war, der sich aber zur Som­mer­zeit an den Nach­mit­tags­stun­den der Sonn- und Don­ners­ta­ge in ein Stück Ju­gend­pa­ra­dies ver­wan­del­te. Jun­ge Mäd­chen in den duf­ti­gen Som­mer­klei­dern da­ma­li­ger Mode aus Mull oder Ja­ko­nett, die den Trä­ge­rin­nen das An­se­hen von Wie­sen­blu­men ga­ben, Stu­den­ten in Cou­leur, ge­dul­di­ge Müt­ter an den Wän­den, Gei­gen­schril­len, Tanz­ge­wir­bel; nie­mand frag­te, wie hoch das Ther­mo­me­ter stand. Der Ko­til­lon ging meist in ein förm­li­ches Ra­sen aus, denn bei der Über­zahl der Her­ren muss­ten vie­le ohne Tän­ze­rin­nen blei­ben und hiel­ten sich dann beim Kehr­aus schad­los. Je­der Tän­zer hing sei­ner Dame einen Moo­skranz um den Arm, und an der Zahl der Krän­ze sah man, wie oft sie aus der Tour ge­holt wor­den war. Die heim­ge­schlepp­ten Krän­ze hing man dann zu Hau­se als Tro­phä­en auf. Kon­ter­tän­ze wur­den zu­wei­len im Frei­en auf dem Ra­sen ge­tanzt, was noch hüb­scher war, und in der Zwi­schen­zeit gin­gen die Paa­re auf den na­hen Wald­we­gen spa­zie­ren. Auf der Heim­fahrt schlos­sen sich ein­zel­ne Tän­zer den Fa­mi­li­en an, das wa­ren sol­che, die im Trunk ent­halt­sam ge­we­sen. Die an­de­ren voll­führ­ten im Ei­sen­bahn­wa­gen ein dä­mo­ni­sches Sin­gen und Grö­len, was zwar nicht sehr rück­sichts­voll ge­gen die Da­men war, aber doch nicht als gröb­li­che Ver­let­zung des An­stands auf­ge­fasst wur­de, da man von der stu­den­ti­schen Ju­gend an vie­les ge­wöhnt war. Mein ers­ter Ball­tag in Nie­der­nau fiel ge­ra­de auf Ma­mas Ge­burts­tag. Als wir am Abend krän­ze­be­la­den und freu­den­satt – denn sie ge­noss mei­ne Ju­gend­freu­den fast mehr als ich sel­ber – nach Hau­se fuh­ren, hol­ten uns Ernst und Ed­gar am Bahn­hof ab. Sie hat­ten zu­vor das Haus mit bun­ten La­ter­nen be­hängt und auf dem Ge­burts­tags­tisch lus­ti­ge poe­ti­sche Ga­ben ei­ge­nen Er­zeug­nis­ses aus­ge­brei­tet, in de­nen die kind­li­che See­le der Emp­fän­ge­rin schwelg­te. Auch mir wur­de ein Hel­den­ge­dicht im Ni­be­lun­gen­stil aus Ernsts Fe­der über­reicht, das die un­ge­heu­er­li­chen Reck­en­ta­ten be­kann­ter stu­den­ti­scher Per­sön­lich­kei­ten für ihre Ball­schö­nen be­sang, eine gro­tesk-he­ro­i­sche Fort­set­zung eben ge­nos­se­ner Ball­freu­den, zum Nach­klang der Gei­gen in mei­nem Ohr ge­stimmt. Noch drol­li­ger war ein spä­te­res Ge­dicht in Ma­ka­men­form, das zwei An­ge­hö­ri­ge feind­li­cher Kor­po­ra­tio­nen, in die Na­men Kampf­wart der Schö­ne und Sieg­wolf durch­sich­tig ver­mummt, einen fürch­ter­li­chen Ein­zel­kampf aus­fech­ten ließ, wo­bei der un­be­zwing­li­che Sieg­wolf mit der blau­weiß­ro­ten Schär­pe doch ge­fällt wur­de und der schö­ne Kampf­wart ne­ben der wal­len­den schwarz­rot­gol­de­nen Fah­ne als Sie­ger stand. Alle die­se Hel­den führ­ten fort­an ne­ben ih­rem wirk­li­chen noch ein my­thi­sches Da­sein, denn der Ver­fas­ser setz­te sei­ne Ge­sän­ge eine ge­rau­me Wei­le fort.

      Die über­schweng­li­che Freund­schaft der bei­den Jüng­lin­ge er­stieg all­mäh­lich einen Gip­fel, auf dem sie sich nach dem Ge­setz des Ir­di­schen nicht lan­ge hal­ten konn­te. Ihre schöns­ten Stun­den ver­leb­ten sie noch auf ei­ner Schwarz­wald­rei­se, zu der sie sich in der nach­fol­gen­den Som­mer­va­kanz zu­sam­men­fan­den. Der äl­te­re Freund, der jetzt schon Stu­dent war, hat­te sich die Mit­tel dazu ganz ins­ge­heim buch­stäb­lich am Mun­de ab­ge­spart, sonst wäre die Ge­neh­mi­gung sei­ner El­tern nicht zu er­lan­gen ge­we­sen. Sie stie­gen zu­erst in dem uns be­freun­de­ten Hopf­schen Pfarr­haus in Pfalz­gra­fen­wei­ler ab und wan­der­ten an­de­ren Tags der Hor­nis­grin­de zu. Bei sin­ken­der Nacht an schwe­len­den Mei­lern vor­über, an de­ren Glut, die er für Irr­lich­ter hielt, Ed­gar sich hin­ein­sprin­gend die Soh­len ver­seng­te, ge­rie­ten sie tod­mü­de vor eine Wald­her­ber­ge, die ganz dem He­xen­haus des Mär­chens glich. Auf ihr Klop­fen zog ein al­tes Weib, das ein­sam dort haus­te, nach vie­len miss­traui­schen Fra­gen über ihre Zahl und Kör­per­grö­ße die Fall­tür auf und ließ die zwei ju­gend­li­chen Wan­de­rer ein­tre­ten. Wäh­rend sie ih­nen beim Schein ih­rer Stal­la­ter­ne einen herr­li­chen Pfann­ku­chen buk, muss­ten die bei­den sich im Dun­keln be­hel­fen und wur­den her­nach ohne Um­stän­de in eine un­heim­li­che Rum­pel­kam­mer hin­auf­ge­führt, wo ein großes Bett stand, und dort wie­der im Dun­keln ge­las­sen. Gera­de über dem Bett be­fand sich eine brei­te of­fe­ne Luke, von der man nicht wuss­te, wo­hin sie ging: sie konn­te Räu­bern zum Ein­lass die­nen. Die Fan­ta­sie der bei­den war so auf­ge­regt von dem son­der­ba­ren Empfang, dass sie mit je­der Mög­lich­keit rech­ne­ten. Ed­gar, der un­ter dem Ein­druck des Wal­tha­ri­lie­des stand, sag­te: Jetzt sind wir in der­sel­ben Lage wie Walt­her und Hil­de­gund am Was­gen­stein. Wir wol­len es ma­chen wie sie und uns in die Nacht­wa­chen tei­len, da­mit uns kein Feind über­ra­sche. Über­nimm du die ers­te Nacht­wa­che und we­cke mich, wenn es Zeit ist, da­mit ich die zwei­te hal­te. Der an­de­re ver­sprach’s. Dann um­schlan­gen sie sich kampf- und tod­be­reit und ent­sch­lie­fen bei­de auf der Stel­le. Als der Mor­gen mit Vo­gel­ge­sang und Tan­nen­duft durchs Fens­ter sah, er­wach­ten sie un­ge­mor­det und rüs­te­ten sich zum Wei­ter­marsch. Die Hexe lab­te sie mit köst­li­cher Milch und Schwarz­brot. Den Tee, den mein be­sorg­tes Müt­ter­lein ih­nen zum Früh­stück mit­ge­ge­ben hat­te, stell­te die Alte als Salat zu­be­rei­tet da­ne­ben mit der ver­wun­der­ten Be­mer­kung: Dass ihr schon am frü­hen Mor­gen dür­res Gras es­sen mögt! – Dann bra­chen sie auf, er­reich­ten un­ter großen Stra­pa­zen am an­de­ren Abend Kehl, wo sie nüch­tern, wie sie noch vom Mor­gen her wa­ren, sich nicht ein­mal die Zeit lie­ßen, zu ras­ten und sich zu stär­ken, so un­auf­halt­sam zog sie’s nach Straß­burg, der »wun­der­schö­nen Stadt«. Al­lein bei­de hat­ten noch gar nicht ge­lernt, mit Nut­zen zu rei­sen, so durch­rann­ten sie nur plan­los die Stra­ßen, staun­ten zum Müns­ter hin­auf, er­hiel­ten auf ihr müh­sam zu­sam­men­ge­leim­tes Fran­zö­sisch al­lent­hal­ben zu ih­rer Ver­wun­de­rung deut­sche Ant­wor­ten und tru­gen von dem kur­z­en Be­su­che nichts da­von als das Be­dau­ern, die­se

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