Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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Viel­ge­schmäh­te war je­doch nicht ganz vom Übel. Mei­ne Mut­ter, sonst so gleich­gül­tig ge­gen die Mode, hat­te eine Vor­lie­be für die­se Tracht, weil das leich­te Ge­stell den Kör­per im Som­mer hübsch kühl hielt, je­dem Wind er­laub­te ihn zu fä­cheln und die Schnel­lig­keit ih­rer Be­we­gun­gen nicht be­ein­träch­tig­te. Wenn man aber da­mit über Zäu­ne sprang und von Bal­ken fiel, so zer­bra­chen die Rei­fen, und es gab als­dann häss­lich vor­ste­chen­de Ecken, was bei mir fast täg­lich vor­kam. Die­se aus­zu­bes­sern er­for­der­te eine ge­wand­te Hand und viel Ge­duld, denn es ge­nüg­te nicht, die zer­bro­che­nen Rei­fen­den über­ein­an­der zu be­fes­ti­gen, man muss­te der Sym­me­trie hal­ber das gan­ze Ge­stell durch­ge­hend ver­en­gen, ein Ge­schäft, in dem ich große Übung ge­wann, denn ich be­treu­te nicht nur mei­ne, son­dern auch Ma­mas Kri­no­li­ne mit wach­sa­men Au­gen. Lili zer­brach die ih­ri­ge nicht mehr, sie ver­stand die Kunst – denn es war eine sol­che –, sich im­mer schick­lich und an­mu­tig dar­in zu be­we­gen und sie beim Sit­zen ele­gant mit zwei Fin­gern nie­der­zu­hal­ten.

      Lili wur­de nun für ei­ni­ge Zeit mein be­wun­der­tes Vor­bild und mein ste­tes Den­ken. In mei­nen Olymp konn­te ich sie nicht ein­füh­ren, weil ihr der Sinn für die Dicht­kunst ge­brach, aber ich kam zu ihr in ihre Welt und fand da ge­nug des Neu­en, mich ganz Berau­schen­den. Lili hat­te schon Rei­sen ge­macht, große Städ­te ge­se­hen, hat­te an Cham­pa­gner­fes­ten teil­ge­nom­men und kann­te das Thea­ter, was kein an­de­res Kind im wei­ten Um­kreis von sich rüh­men konn­te. Sie schi­en mir also ei­nem Or­den von Ein­ge­weih­ten an­zu­ge­hö­ren, zu dem ich an­däch­tig em­por­blick­te. Die Fan­ta­sie­wel­ten, in de­nen ich bis da­hin ge­lebt hat­te, ver­san­ken vor dem Wun­der­ba­ren, was mich be­rühr­te, dem Le­ben. Ich ver­leug­ne­te alle mei­ne Göt­ter um ih­ret­wil­len. Von den Grie­chen, von der Edda, von dem gan­zen un­ge­heu­ren Le­se­stoff, den ich schon ver­schlun­gen hat­te, sag­te ich kein Wort, um ihr nicht auch un­heim­lich zu wer­den wie den an­dern. Ich ver­schloss das al­les in ei­nem Ge­heim­fach mei­ner See­le, zu dem es ihr nicht ein­fiel, den Schlüs­sel zu su­chen. Es liegt et­was Rüh­ren­des in dem Über­gang vom Kin­de zum jun­gen Mäd­chen, je­ner rei­zen­den Pa­gen­zeit, die mit scheu­er, hul­di­gen­der Ver­eh­rung auf das Ge­schlecht blickt, dem man sel­ber noch nicht an­ge­hört, nun aber bald an­ge­hö­ren soll. Li­lis Schmuck und Bän­der, ihre rei­fen­den For­men, die Wohl­ge­rü­che, die sie an sich trug, ihr fei­nes und doch frei­es Be­tra­gen mach­ten mir den tiefs­ten Ein­druck. Ver­g­li­chen mit der Tü­bin­ger Ju­gend, schi­en sie mir aus ei­ner an­dern Men­schen­ras­se zu stam­men. Ich lieb­te sie zärt­lichst, das glei­che tat Ed­gar, und sie hat­te ein viel zu gu­tes Ge­müt, um un­se­re Zu­nei­gung nicht von gan­zem Her­zen zu er­wi­dern.

      Als es aber ans ge­mein­sa­me Ler­nen ging, da zeig­te sich’s, dass das lieb­li­che Köpf­chen kei­nen Lern­stoff ir­gend­wel­cher Art auf­neh­men konn­te. Die Ge­schich­te war ihr ge­nau so gleich­gül­tig wie die Geo­gra­fie, und die fran­zö­si­schen Vo­ka­beln haf­te­ten nicht in ih­rem Ohr. Sie dach­te nur an kind­li­chen Scha­ber­nack, und wir lach­ten je­den Au­gen­blick wie die Tol­len: sie, weil ihr Ba­by­lo­ni­er und As­sy­rer, Me­der und Per­ser lä­cher­lich vor­ka­men, ich, weil ich die Welt, in der es nun eine Lili gab, so ent­zückend schön fand. Mei­ne arme Mut­ter müh­te sich, so sehr sie konn­te, aber ihr Un­ter­richt, der al­ler Schul­mä­ßig­keit ent­behr­te, war nur auf die ei­ge­ne Toch­ter ein­ge­stellt, an der Frem­den schei­ter­te er völ­lig.

      Die­ses Schöp­fen ins Lee­re hat­te schon ei­ni­ge Zeit mit der größ­ten An­stren­gung von ih­rer Sei­te ge­dau­ert, als sie der un­acht­sa­men Schü­le­rin ei­nes Ta­ges, um sie im Deut­schen zu üben, ein Auf­satz­the­ma von der ein­fachs­ten Art gab: sie soll­te die Se­hens­wür­dig­kei­ten von Tü­bin­gen be­schrei­ben. Die Auf­ga­be weck­te bei Lili einen un­ge­wohn­ten Ei­fer, und sie lie­fer­te eine Ar­beit ab, die an tref­fen­der Knapp­heit ih­res­glei­chen such­te. Mit ei­nem ein­zi­gen Sat­ze wa­ren die be­rühm­te Stifts­kir­che mit ih­rem Chor nebst Lett­ner und Schloss Ho­hentü­bin­gen ab­ge­tan. Dann wand­te sich die Be­schrei­bung dem Ober­gym­na­si­um und sei­nen In­sas­sen zu, welch letz­te­re als die größ­te Denk­wür­dig­keit Tü­bin­gens und als die be­lang­reichs­te Men­schen­gat­tung über­haupt be­zeich­net wa­ren. Die­ser Auf­satz, ver­mut­lich der ein­zi­ge, den Lili je ver­fass­te, hat­te einen stür­mi­schen Hei­ter­keits­er­folg, und noch jah­re­lang pfleg­te man, wenn von den Vor­zü­gen Tü­bin­gens die Rede war, das in ei­nem höchst all­täg­li­chen Bau­werk be­find­li­che Ober­gym­na­si­um an ers­ter Stel­le zu nen­nen.

      Lili hat­te al­len Grund zu ih­rer ho­hen Schät­zung des Ober­gym­na­si­ums. Seit die rei­zen­de Main­ze­rin auf dem Plan er­schie­nen war, um­schwärm­ten die gel­ben Müt­zen das Bahn­hof­ge­bäu­de, wo Lili wohn­te, und die na­he­lie­gen­den Al­leen; alle Pri­ma­ner­her­zen wa­ren mehr oder we­ni­ger von ih­rer An­mut ent­zün­det. Aber die­se ge­gen­sei­ti­ge Be­wun­de­rung, die eine Fol­ge der Tanz­stun­de war, hät­te bei­na­he un­se­rer Freund­schaft ein vor­zei­ti­ges Ende be­rei­tet. Denn ei­nes Ta­ges mach­te mir Lili die nie­der­schmet­tern­de Er­öff­nung, dass sie von nun an nicht mehr mit mir in den Al­leen spa­zie­ren­ge­hen kön­ne. Du bist noch ein Kind, sag­te sie, und trägst kur­ze Rö­cke. Wenn mich die Ober­gym­na­sis­ten im­mer in dei­ner Ge­sell­schaft se­hen, so den­ken sie am Ende, ich sei auch noch ein Kind, und grü­ßen mich nicht mehr. Du weißt, ich bin dir gut, aber das kannst du nicht von mir ver­lan­gen.

      Die­se Wor­te tra­fen mich wie ein Dolch­stoß. Ich war so er­schüt­tert und be­schämt, dass ich nicht ant­wor­ten konn­te. Aber ich sah al­les ein. Nicht mehr von den Tän­zern ge­grüßt wer­den! Sol­cher Schmach durf­te sich frei­lich Lili um mei­net­wil­len nicht aus­set­zen! Ich gab mich je­doch dem Schmer­ze nicht hin, son­dern sann auf Ab­hil­fe, denn Li­lis Um­gang zu ent­beh­ren war mir un­mög­lich. Auf dem Spei­cher, in ei­nem der ei­sen­be­schla­ge­nen Rie­sen­kof­fer aus Ur­vä­ter­ta­gen, lag von al­ler Welt ver­ges­sen ein schö­ner Rock aus schwar­zem Woll­stoff, den ein­mal Hed­wig Wil­hel­mi bei der Abrei­se nach Gra­na­da zu­rück­ge­las­sen hat­te. Auf die­ses her­ren­lo­se Ge­wand­stück setz­te ich mei­ne Hoff­nung. Als ich heim­lich hin­ein­schlüpf­te, hat­te es zwar eine Schlep­pe von na­he­zu ei­ner Elle, stand aber sonst rund­um eine Hand­breit vom Bo­den ab, denn um so viel über­rag­te ich be­reits sei­ne recht­mä­ßi­ge Be­sit­ze­rin. Al­lein ich hat­te schon mit kun­di­gem Auge eine aus­ge­bog­te Sam­met­blen­de wahr­ge­nom­men, die den un­te­ren Rand ver­zier­te und sich, falsch auf­ge­setzt, als Ver­län­ge­rung ver­wer­ten ließ. In der­ar­ti­gen Fer­tig­kei­ten war ich von klein auf be­wan­dert: Nä­hen, Zuschnei­den, Hä­keln, Stri­cken, al­les, was an­de­ren klei­nen Mäd­chen zu ih­rer Pein auf­er­legt wur­de, hat­te für mich den Reiz der ver­bo­te­nen Frucht. Ich ver­barg mich also mit Na­del und Sche­re auf dem Spei­cher und ar­bei­te­te stun­den­lang voll Ei­fer und Pünkt­lich­keit, bis der Rock mei­ner Län­ge an­ge­passt war. Dann warf ich ihn als­bald über und stol­zier­te mit der ge­wal­ti­gen Schlep­pe, die ich noch mit­ver­län­gert hat­te, durch Gang und Wohn­räu­me. Ich mach­te mich auf einen häus­li­chen Sturm ge­fasst, aber nie­mand schi­en die Ver­wand­lung zu se­hen. Mama leb­te in den kar­gen Stun­den, die sie der Pfle­ge der Kin­der und dem Är­ger über die Bis­marck­sche Po­li­tik ent­zie­hen

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