PLÖTZLICH ZAUBERER. Scott Meyer

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PLÖTZLICH ZAUBERER - Scott  Meyer Magic 2.0

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wenn ihn irgendein schreckliches Monster verfolgen würde, und er auf dem Weg zurück ins sichere Haus mit zusammengekrampften Magen um sein Leben rennen müsste. Dann hatte er stets gelacht, weil es einfach lächerlich erschien, dass ihn ein Monster auf einer gut beleuchteten Straße in einer Vorstadt in seinem eigenen Vorgarten jagen würde.

      Das hier, so wusste er, war nichts anderes. Seine Hose war einfach hochgerutscht. Wahrscheinlich bedeutete es, dass er an Gewicht zugelegt hatte. Das war zwar nicht gut, aber auch nichts, weswegen man gleich ausflippen musste. Und der Spiegelschrank war vielleicht etwas abgesenkt oder eine der Schrauben, die ihn hielten, hatte sich aus der Trockenbauwand gelöst – oder vielleicht bildete er sich das alles auch einfach nur ein. Die ganze Nacht in einem dunklen Apartment herumzusitzen, in dem nur der Fernseher und die Computerbildschirme etwas Licht spendeten, veränderte nach einiger Zeit nun mal die Wahrnehmung.

      Als die Wand wieder sauber war, richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Spiegelschrank. Er war immer noch fest an der Wand angebracht und schien sich kein Stück bewegt zu haben. Martin konnte sehen, dass er oben mit Staub bedeckt war, und war sich außerdem ziemlich sicher, dass er sich immer in die Augen hatte schauen können, wenn er in die verspiegelte Front geblickt hatte. Er erinnerte sich daran, dass sein Spiegelbild ungefähr auf der Hälfte der Augenbrauen abgeschnitten worden war. Jetzt sah er in den Spiegel, und das Einzige, was er sehen konnte, war seine Nase. Er blickte erneut auf seine Füße, um sich zu vergewissern, dass er barfuß war. Dann stand er einfach nur verwirrt da.

      Schließlich verließ Martin das Badezimmer. Er schaltete jetzt überall in der Wohnung das Licht ein, im Wohnzimmer, der Küche und auch im Esszimmer. Da es sich um ein Single-Apartment handelte, war alles in einem großen Raum untergebracht. Einzig die Küche konnte man als separat bezeichnen, weil sich darin die entsprechenden Geräte befanden. Das Esszimmer konnte man nur daran erkennen, dass ein billiger Kronleuchter genau an der Stelle von der Decke hing, wo der Architekt offensichtlich gewollt hatte, dass Martin seinen Tisch und die Stühle hinstellte. Doch Martin hatte die Stelle lieber freigelassen. Deshalb hing der Kronleuchter nun auf Augenhöhe direkt hinter seinem Schreibtischstuhl und beleuchtete nichts weiter als den Boden.

      Martin lief nun durchs Zimmer und redete sich ein, dass er sicher schon immer in der Lage gewesen war, auf den Kühlschrank zu blicken. Ihm wurde es jetzt nur deshalb bewusst, weil es dort extrem staubig war. Genug davon, dachte er und ging zum Schlafzimmerschrank, um seinen Werkzeugkasten zu durchwühlen. Als er aus dem Haus seiner Eltern ausgezogen war, hatte sich Onkel Ray angeboten, den gemieteten Lastwagen zu fahren. Ray hatte im klimatisierten Führerhaus gesessen und von seinem bequemen Sitz aus beobachtet, wie Martin und seine Freunde die Sachen einluden. Dann hatte Ray bemerkt, dass Martin gar keinen Werkzeugkasten besaß, und ihn darauf angesprochen, doch Martin hatte erwidert: »Bisher brauchte ich keine Werkzeuge, weil ich bei Dad gelebt habe. Während du hier herumsitzt und zuschaust, lässt du einfach den Motor laufen und die Klimaanlage ist eingeschaltet. Das kostet mich ein Vermögen an Benzin. Hast du das mal bedacht?«

      Onkel Ray hatte entgegnet, dass er das sehr wohl bedacht hätte, es ihn aber nicht störte.

      Später hatte Onkel Ray ihm eine Werkzeugkiste als Einweihungsgeschenk für die neue Wohnung überreicht, die recht ordentlich ausgestattet war, und Martin hatte gemeint: »Danke! Aber … äh … ist dir aufgefallen, dass die Werkzeugkiste pink ist und mit glitzernden Buchstaben Mein erster Werkzeugkasten draufsteht?«

      Onkel Ray hatte entgegnet, dass ihm das aufgefallen wäre, es ihn aber nicht weiter störte. Der gute, alte Onkel Ray. Dieser Kerl war wirklich nicht aus der Fassung zu bringen.

      Martin kehrte nun mit einem pinkfarbenen Maßband und einem winzigen, pinkfarbenen Zimmermannswinkel zurück. Er schnappte sich einen Bleistift und stellte sich mit dem Rücken an den Türrahmen des Schlafzimmers. Dort legte er sich den Zimmermannswinkel auf seinen Kopf und machte behutsam einen Strich an der Stelle, wo der Winkel auf die Wand traf. Martin schmunzelte über sich selbst, weil er seine Zeit mit so etwas Bescheuertem verschwendete, während er das Maßband an der Wand bis zur Markierung hochzog. Er beugte sich nach vorne, um die Zahlen auf dem Maßband abzulesen.

      Der Strich, den er gemacht hatte, lag nur ein klein wenig über einem Meter achtundachtzig. Er wiederholte den Vorgang und kam zu demselben Ergebnis.

      Offensichtlich bin ich im Laufe der letzten Jahre nach und nach etwa sieben Zentimeter gewachsen und habe es erst jetzt bemerkt. Und zwar direkt, nachdem ich meine Größe in einer seltsamen Textdatei geändert habe, die ich online gefunden habe. Das ist alles vollkommen normal, dachte er.

      Während er weiter nachdachte, saß Martin an seinem Computer und sah sich die Datei genauer an. Er wollte nun einfach mal ein paar Dinge ändern, um sich selbst zu zeigen, wie lächerlich er sich benahm, aber gleichzeitig wollte er die Datei am liebsten auch schließen und so tun, als hätte er sie niemals gefunden. Darum saß er eine Zeit lang einfach nur da. Nach etwa zwanzig Minuten beschloss er, dass er sich ein für alle Mal beweisen musste, wie albern er sich verhielt. Der Cursor war immer noch an der gleichen Stelle wie zuvor. Nämlich bei der Größenangabe. Martin änderte die 1,87 nun in 1,85 m um.

      Dann ging er wieder zur Schlafzimmertür und stellte sich gerade mit dem Rücken an den Türrahmen. Den Zimmermannswinkel legte er vorsichtig auf seinen Kopf und markierte die Höhe am Türrahmen erneut mit dem Bleistift, dann legte Martin das Maßband sorgfältig an und zog es bis zur Markierung aus. Dabei achtete er darauf, dass es wirklich gerade und senkrecht ausgerichtet war. Schließlich nahm er mit großem Interesse zur Kenntnis, dass seine Größe nun 1,85 m betrug.

      Martin wiederholte das Ganze fünf Mal. Er hätte es auch noch ein sechstes Mal versucht, wenn seine Hände nicht so sehr gezittert hätten, dass er keinen ordentlichen Strich mehr ziehen konnte.

      Eine Stunde lang saß er da und starrte irritiert auf den Fernseher. Er hatte keine Ahnung, was gerade lief und es war ihm ehrlich gesagt auch vollkommen egal. Er ging zu dem Computer zurück, änderte seine Größe wieder in 1,80 m, dann schloss er die Datei. Er ging ins Badezimmer und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht.

      Im Spiegelschrank konnte er sich selbst nun wieder in die Augen sehen.

      Er beschloss, ins Bett zu gehen. Nicht zum Schlafen. Einfach nur ins Bett. Jedes Licht im Apartment war noch an und er trug auch noch seine Kleidung. Er lag einfach nur da und dachte darüber nach, welche Konsequenzen das, was gerade passiert war, wohl hatte, und das war der Moment, in dem er den Schrecken verspürte. Jeder, der bei Science-Fiction Dingen und auch in Naturwissenschaften aufgepasst hatte, stieß irgendwann auf das Konzept, dass die Realität, wie wir sie kannten, ein Computerprogramm war. Die Menschen waren lediglich Unterprogramme. Sie waren keine biologischen Organismen, die sich an eine Felskugel klammerten, die um einen Feuerball umgeben von einem Meer aus Nichts herumraste, sondern sie waren simulierte Organismen, die an einem virtuellen Felsbrocken hingen, der sich in einem unergründlichen Programm befand, das ein Spiel, eine Wettersimulation oder sogar ein Bildschirmschoner sein konnte.

      Nein, kein Bildschirmschoner, dachte Martin. Eine Gesellschaft, die fortgeschritten genug war, um ein solch anspruchsvolles Programm hervorzubringen, hätte längst einen Monitor entwickelt, in den sich keine Pixel mehr einbrannten.

      Sobald sich sein psychischer Zustand etwas beruhigt hatte und der Schrecken einer schweren Erregung gewichen war, erkannte Martin die Ironie der ganzen Situation. Seit Anbeginn der dokumentierten Zeit hatte man über das Wesen des Daseins diskutiert. Die größten Denker hatten ihr gesamtes Leben damit verbracht, sich mit den Grundfragen des Lebens herumzuschlagen. Selbst ganz einfache Entdeckungen wie das Rad und die Hebelgesetze hatten die menschliche Existenz tief greifend verändert.

      Jetzt hatte Martin den Beweis dafür gefunden, was genau wir wirklich waren, und er hatte die Mittel, um Dinge ohne größere Anstrengung sofort zu ändern. Er war durch eine zufällige Entdeckung zur wichtigsten

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