Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler. Артур Шницлер

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Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler - Артур Шницлер

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Beratoner angelegentlich flüsterte und ihm zu irgend etwas dringend zuzureden schien. Sie fragte wie scherzend, was denn die jungen Herren miteinander für gefährliches Zeug zu tuscheln hätten; Beratoner wollte mit der Sprache nicht heraus, Fritz aber erklärte, es sei nicht einzusehen, warum man nicht davon reden sollte; die Tatsache sei ja allgemein bekannt, daß Rudi Schauspieler vortrefflich zu kopieren verstehe, nicht nur die lebendigen, sondern auch die — Nun aber stockte er. Doch Beate, im tiefsten erregt und schon in leichtem Rausch, wandte sich hastig an Rudi Beratoner, und etwas heiser fragte sie: »Da können Sie also auch Ferdinand Heinold kopieren?« Sie nannte den berühmten Namen, als gehöre er einem Fremden zu. Beratoner wollte es nicht Wort haben. Er begreife den Fritz überhaupt nicht, früher einmal habe er solche Späße getrieben, aber jetzt schon lange nicht mehr; auch habe er Stimmen, die er seit Jahren nicht gehört, selbstverständlich nicht mehr im Ohr, und wenn es schon sein müßte, so wollte er doch lieber irgendein Couplet in der Art eines beliebigen Komikers singen. Aber Beate ließ die Ausflüchte nicht gelten. Sie fühlte nichts anderes mehr als den Wunsch, die Gelegenheit nicht ungenützt vorübergehen zu lassen. Sie zitterte vor Verlangen, die geliebte Stimme, wenigstens im Abglanz, wieder zu hören. Daß dies Verlangen etwas Lästerliches bedeuten könnte, kam ihr im Nebel dieser Stunde kaum zu Bewußtsein. Endlich ließ Beratoner sich erbitten. Und klopfenden Herzens hörte Beate zuerst Hamlets Monolog »Sein oder Nichtsein« in Ferdinands heroischem Tonfall durch die freie Sommerluft klingen, dann Verse aus dem Tasso, dann irgendwelche längst vergessene Worte aus einem längst vergessenen Stück; hörte das Aufdröhnen und Hinschmelzen jener heißgeliebten Stimme und trank sie geschlossenen Auges wie ein Wunder in sich ein, bis es plötzlich, noch immer wie mit Ferdinands Organ, aber jetzt in seinem wohlbekannten Alltagston hart an ihrem Ohr erklang: »Grüß Gott, Beate!« Da riß sie, tief erschrocken, die Augen auf, sah hart vor sich ein frech verlegenes Gesicht, um dessen Lippen noch einen vergehenden Zug, der gespenstisch an Ferdinands Lächeln mahnte, begegnete einem irren Blick Hugos, einem dumm-traurigen Grinsen um Fritzens Mund und hörte sich selbst wie aus weiter Ferne ein höfliches Wort der Anerkennung an den vortrefflichen Stimmkopisten richten. Das Schweigen, das nun folgte, war dunkel und lastend; sie ertrugen es alle nicht lang, und gleich wieder schwirrten gleichgültig lustige Worte von Sommerwetter und Ausflugsfreuden hin und her. Beate aber erhob sich bald, zog sich in ihr Zimmer zurück, wo sie verstört in ihren Fauteuil sank und dann in einen Schlaf fiel, aus dem sie nach kaum einer Stunde, doch wie aus abgrundtiefer Nacht, emportauchte. Als sie später in den abendkühlen Garten trat, waren die jungen Leute fortgegangen, kehrten sehr bald ohne Rudi Beratoner wieder, von dem sie mit deutlicher Absicht kein Wort mehr sprachen; und es war für Beate ein leiser Trost, wie der Sohn und der Geliebte durch besonders rücksichtsvolles und zartes Benehmen den quälenden Eindruck von heute nachmittag zu verwischen trachteten.

      Und jetzt, da Beate in der Dämmerstille einer einsamen Stunde sich der wahren Stimme ihres Gatten erinnern wollte, gelang es ihr nicht. Immer wieder war es die Stimme jenes unwillkommenen Gastes, die in ihr erklang; und tiefer noch als bisher ward ihr bewußt, eine wie schwere Versündigung sie an dem Toten begangen, schlimmer als irgendeine, die er selbst bei Lebzeiten ihr zugefügt haben konnte; feiger und unsühnbarer als Untreue und Verrat. Er verweste in dunkler Erdentiefe, und seine Witwe ließ es geschehen, daß dumme Buben seiner spotteten, des wundervollen Mannes, der sie geliebt hatte, sie ganz allein, trotz allem, was sich ereignet haben mochte, sowie sie keinen andern geliebt hatte als ihn und keinen andern lieben würde. Jetzt wußte sie’s erst, seit sie einen Geliebten hatte. Einen Geliebten! … Oh, wenn er doch niemals wiederkehrte, der ihr Geliebter war! — Wenn er doch für immer fort wäre aus ihren Augen und aus ihrem Blut, und sie wohnte wieder allein mit ihrem Hugo in dem holden Sommerfrieden ihrer Villa wie früher. Wie früher? Und wenn Fritz nicht mehr da ist, wird sie denn darum ihren Sohn wieder haben? Hat sie überhaupt noch ein Recht, es zu erwarten? Hat sie sich denn in der letzten Zeit um ihn gekümmert? War sie nicht vielmehr froh gewesen, daß er seine eigenen Wege ging? Und es fiel ihr ein, wie sie neulich auf einem Spaziergange mit dem Ehepaar Arbesbacher ihren Sohn kaum hundert Schritte weit am Waldesrand in Gesellschaft von Fortunata, Wilhelmine Fallehn und einem fremden Herrn erblickt hatte; und sie — sie hatte sich kaum geschämt, nur angelegentlich mit ihren Begleitern weiter gesprochen, damit diese Hugo nicht bemerkten. Und am Abend desselben Tags, gestern — ja gewiß war es erst gestern gewesen, wie unbegreiflich dehnte sich doch die Zeit! — hatte sie am Seeufer Fräulein Fallehn und jenen fremden Herrn getroffen, der mit seinem schwarzen glänzenden Haar, den blitzend weißen Zähnen, dem englisch gestutzten Schnurrbart, seinem Rohseidenanzug und seinem knallroten Seidenhemd für sie wie ein Kunstreiter, ein Hochstapler oder ein mexikanischer Millionär aussah. Da Wilhelmine zum Gruß mit ihrem unerschütterlich tiefen Ernst den Kopf neigte, hatte auch er seinen Strohhut abgenommen, die Zähne blitzen lassen und Beate mit einem frechen lachenden Blick gemustert, der sie noch in der Erinnerung erröten machte. Welch ein Paar, diese beiden! Sie traute ihnen alle Laster und alle Verbrechen zu. Und das waren die Freunde der Fortunata, das die Leute, mit denen ihr Sohn jetzt spazieren ging und Verkehr pflegte. Beate schlug die Hände vors Gesicht, stöhnte leise und flüsterte vor sich hin: Fort, fort, fort! Sie sprach das Wort aus, ohne noch recht zu wissen, wohin es deutete. Erst allmählich fühlte sie seinen ganzen Sinn und ahnte, daß es vielleicht die Rettung für sie und Hugo in sich schloß. Ja, sie mußten fort, sie beide, Mutter und Sohn, und so rasch als möglich. Sie mußte ihn mit sich nehmen — oder er sie. Beide mußten sie den Ort verlassen, ehe sich irgend etwas ereignet, das nicht wieder gut zu machen war, ehe der Mutter Ruf vernichtet, ehe des Sohnes Jugend völlig verderbt, ehe das Schicksal über sie beide zusammengeschlagen war. Noch war es ja Zeit. Von ihrem eigenen Erlebnis wußte noch niemand; sie hätte es sonst irgendwie, zumindest am Benehmen des Baumeisters, merken müssen. Und auch das Abenteuer ihres Sohnes war gewiß noch nicht bekannt geworden. Und wenn, so würde man’s dem unerfahrenen Knaben nachsehen; und auch der bisher so sorglosen Mutter durfte man keinen Vorwurf machen, falls sie nur, als hätte sie’s eben erst entdeckt, mit dem Sohne die Flucht ergriffe. Also zu spät war es nicht. Die Schwierigkeit lag anderswo: darin, den Sohn zu einer so plötzlichen Abreise zu überreden. Beate ahnte ja nicht, wie weit die Macht der Baronin über Hugos Herz und Sinne reichen mochte. Sie wußte nichts, nichts von ihm, seit sie sich um ihre eigenen Liebschaften zu kümmern hatte. Aber daß sein Abenteuer mit Fortunata nicht zu ewiger Dauer bestimmt war, darüber konnte er sich doch nicht täuschen, klug wie er war, und so würde er wohl einsehen, daß es auf ein paar Tage mehr oder weniger nicht ankäme. Und sie richtete in Gedanken ihre Worte an ihn: Wir wollen ja nicht gleich nach Wien fahren! Oh, davon ist keine Rede, mein Bub. Wir reisen nach dem Süden, ja? Das haben wir ja schon lange vorgehabt. Nach Venedig, nach Florenz, nach Rom. Denk dir nur, die alten Kaiserpaläste wirst du sehen! Und die Peterskirche! … Hugo! Gleich morgen fahren wir fort. Du und ich ganz allein. Wieder so eine Reise, wie vor zwei Jahren im Frühling. Erinnerst du dich? Mit dem Wagen über Mürzsteg nach Mariazell. War das nicht schön? Und diesmal wird es noch viel schöner sein. Und wenn’s dir zuerst auch ein bißchen schwer wird, o Gott, ich weiß ja, ich frag dich ja nicht, und du mußt mir gar nichts erzählen. Aber wenn du so vieles Schöne und Neue siehst, so wirst du vergessen. Sehr schnell wirst du vergessen. Viel schneller, als du ahnst. — Und du, Mutter, du? — Es kam ganz tief aus ihr mit Hugos Stimme. Sie fuhr zusammen. Und sie nahm rasch die Hände von den Augen, wie um sich zu vergewissern, daß sie allein war. Ja, sie war es. Ganz allein im Haus, in dem dämmerigen Zimmer; draußen atmete schwer und schwül der Sommertag, niemand konnte sie stören. Sie hatte Ruhe und Zeit zu überlegen, was sie ihrem Sohne sagen sollte. Und das war gewiß: eine Erwiderung, wie ihre erregten Sinne sie ihr vorgetäuscht hatten, brauchte sie nicht zu fürchten. »Und du, Mutter?« Das konnte er sie nicht fragen. Denn er wußte nichts, er konnte ja nichts wissen. Und er wird auch niemals etwas wissen. Selbst wenn irgendeinmal ein dunkles Gerücht an sein Ohr dringt, er wird es nicht glauben. Nie wird er so etwas von seiner Mutter glauben. Darüber kann sie ganz beruhigt sein. Und sie sieht sich mit ihm wandeln in irgendeiner phantastischen Landschaft, wie sie sich ihrer wohl von einem Bild her erinnert, auf einer graugelben Straße — und in der Ferne ganz im Blau schwimmt eine Stadt mit vielen Türmen. Und dann wieder gehen sie auf einem großen Platz herum unter Bogengängen, unbekannte Menschen begegnen ihr und sehen sie an, sie und ihren Sohn. So merkwürdig sehen sie sie an, mit frechem, zähneblitzendem Lachen und denken sich: Ah, die hat sich da einen hübschen Burschen auf die Reise mitgenommen. Seine Mutter

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