Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler. Артур Шницлер
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»Bin neugierig«, sagte Fred.
Emerich horchte gespannt auf.
»Erstens«, fuhr August fort, »seh’ ich überhaupt nicht ein, warum alles etwas zu bedeuten haben soll.«
Emerich schien enttäuscht, Fred lachte. »Und zweitens«, setzte August rasch und gereizten Tones hinzu, »wenn ihr zwei überhaupt die Fähigkeit hättet, der Sache auf den Grund zu gehen, so würdet ihr gar nicht fragen. Ich will ja nicht grad’ behaupten, daß ich von vornherein an etwas anderes gedacht habe, als einmal einen guten Spaß in Szene zu setzen: aber es ist mehr, es ist etwas Gutes, etwas, ja, ich möchte sagen, Sinniges, was wir tun, indem wir einmal so einem armen Teufel eine Freud’ machen, an den im allgemeinen kein Mensch denkt. Die Großen werden genug gefeiert, find’ ich; aber zum Theaterspielen braucht man die Kleinen grad’ so notwendig.«
»Das ist richtig«, warf Emerich ein.
»Darum hat mein Spaß einen tieferen Sinn, und wenn die Leut’ im Theater heut abends darauf eingehen, woran ja gar nicht zu zweifeln ist, und mitapplaudieren, so werden sie, vielleicht ohne es zu ahnen, in der Person des Herrn Roland all den kleinen Leuten eine Ovation bringen, die sie gewöhnlich vergessen.«
»Gewiß ohne es zu ahnen«, sagte Fred. »Denn du hast’s ja auch vor fünf Minuten noch nicht geahnt, was du eigentlich für ein edler Mensch bist.«
»Der Emerich hat ganz recht gehabt«, bemerkte August rasch.
Emerich machte ein wichtiges Gesicht und fragte sich, worin er wohl recht gehabt hätte.
»Daß man dir nämlich überhaupt nichts erzählen soll«, fuhr August fort; worauf Emerich erschrak und Fred mit einer Art verständnisvoller Zärtlichkeit ansah.
»Du verdirbst einem zu allem die Laune«, sagte August.
»Ich versteh’ dich wirklich nicht«, lachte Fred. »Du bist so erregt, als wenn du dich irgendwie getroffen fühltest. Alles Edle geschieht ja unbewußt, sonst wäre es gar nicht edel. Irgendeinem ordinären Kerl fällt ein Spaß ein, und er wird naturgemäß eine Gemeinheit, – dir fällt ein Spaß ein, und er wird naturgemäß eine gute Tat.«
August sah ihn mit einem bösen Blick an. »Wirst du uns vielleicht das Vergnügen rauben, in deiner Gesellschaft der Vorstellung beizuwohnen?«
»Durchaus nicht«, antwortete Fred harmlos; »außerdem hast du mich ja auch eingeladen, nachher mit dir, Emerich und der Blandini zu soupieren.«
»Ich hatte vergessen.«
»Aber ich nicht.«
»Es ist Zeit, zu gehen«, sagte August. Sie zahlten, verließen das Lokal und fuhren ins Theater. Emerich betrachtete auf dem Wege bald den einen, bald den andern und ahnte, daß hier zwei Menschen in irgendeinem wichtigen Punkt nicht ganz gleicher Ansicht wären. So faßte er sich, als sie ausstiegen und die Treppe zum Logengang hinaufschritten, ein Herz und sagte: »Kinder, seid’s doch gescheit!…«
August antwortete nichts. Fred aber drückte Emerich die Hand und sagte: »Ich werde versuchen.«
Die Logentür wurde geöffnet und den drei Freunden klangen die ersten Akkorde der Ouvertüre lustig entgegen.
II
Der erste Akt war zu Ende.
Friedrich Roland saß in der Garderobe, allein. Er war mit einem phantastischen Kostüm angetan – schwarzrotsamtenes Wams und dunkelblaue Trikots – und trug eine Perücke von herrlichen, kastanienbraunen Locken, auf der ein Barett saß. Den Degen hatte er über die Knie gelegt und starrte in den Spiegel, aus dem ihm sein jugendlich rot geschminktes Gesicht mit dem falschen Schnurrbart entgegensah. So saß er beinahe regungslos schon seit Beginn des Stückes da. Jetzt hörte er durch die geschlossene Tür die Schritte und Stimmen der Choristen, die an ihm vorüber von der Bühne in den Ankleideraum eilten; dann wurde er wieder still. Roland war froh, daß er allein war; die neue Operette war ihm beinahe lieb, weil von den zwei Kollegen, mit denen er sonst die Garderobe zu teilen hatte, keiner beschäftigt war. Das waren nämlich Menschen, mit denen er sich nicht verstand; zufrieden Leute, die ihre geringe Kunst seit jeher als brave Handwerker betrieben hatten und nichts von ihr verlangten als ein bescheidenes Auslangen, das sie ihnen auch gewährte. Roland wußte wohl, daß er heute als ihresgleichen gelten mußte, aber er fühlte zugleich, daß er in Wahrheit durchaus nicht zu ihnen gehörte. Er hätte was ganz anderes werden können, wenn er Glück gehabt hätte. Daran dachte er jetzt, als er geschminkt vor dem Spiegel saß; wie er Stunde für Stunde daran dachte. Noch heute, nach zehnjährigem Engagement an diesem Theater, konnte er es nicht ohne ein dumpfes Gefühl des Grolles und der Scham betreten, und niemals hatte er das zu verbergen gewußt. So hatten seine Kollegen bald mit dem feinen Spürsinn niederer Menschen herausgefunden, wo er am empfindlichsten zu treffen war, und jede Äußerung seines Wesens: die Art, wie er leise und müde zu reden, wie er langsam und scheinbar stolz einherzuschreiten pflegte, ja selbst eine gewisse Gewohnheit, den Kopf nach der Seite zu wenden und dabei die Augen halb zu schließen, wurden als komische Zeichen seiner Unzufriedenheit gedeutet. Ob er einmal Talent gehabt, das wußte man nicht, auch war nie die Rede davon gewesen: die Rollen, in denen er seit Jahren auftrat, waren die von Pagen, Dienern, Knechten, Verschworenen, die ohne nähere Bezeichnung auf dem Zettel standen; ja meistens war er zweiter Knecht oder dritter Verschworener. Es war kein Grund anzunehmen, daß er mehr Anlaß hatte, sich zu beklagen, als einer von den anderen, die zu gleichen Rollen auserlesen waren wie er; sie sahen auf eine ähnliche Vergangenheit zurück wie Roland und hatten auf kleinen Bühnen vor Jahren erste Helden, Liebhaber oder Intriganten gespielt. Vielleicht auch war mancher unter ihnen, der sich mit schmerzlichen Empfindungen jener Zeit erinnerte; vielleicht wäre diese schmerzliche Erinnerung auch manchem anzumerken gewesen; aber alle Scherze, alle Bosheiten kamen an ihn herangeflogen, weil man sah, daß er am meisten darunter litt. Anfangs hatte er sich zu wehren gesucht; er versuchte Neckereien zu erwidern, aber er war zu ungeschickt gewesen; er wollte grob werden, aber er hatte nicht den rechten Mut dazu gefunden. So begann er, sich alles ruhig gefallen zu lassen, wurde verschlossen, und man hörte oft tagelang kein Wort aus seinem Munde. Auch das paßte so gut wie alles andere zu dem Bild, das nun einmal von ihm feststand; auch das war der komische Stolz des >verkannten Genies<. Sein Ruf war allmählich über den engen Kreis hinausgedrungen, in dem er wirkte; alle Welt, die in der Stadt sich für das Bühnenleben interessierte, kannte seinen Namen, um den so viele Scherze schwirrten; die Reporter in geistsprühenden Notizen, das Publikum in launigen Gesprächen bediente sich des Namens Roland, um den Typus des unbedeutenden, aber eingebildeten Mimen kurz zu bezeichnen. So war dieser Name in seiner Art populär geworden, und in einem anderen Sinne, als Roland früher einmal gehofft, schien seine Sehnsucht nach Ruhm in Erfüllung zu gehen. Nun war er soweit, daß er die Unbekannten beneidete. Alle die durften noch hoffen, daß ihr Schicksal eine erfreuliche Wendung nähme; sie konnten irgendeinmal aus ihrem Dunkel in eine würdige Beleuchtung heraustreten. Ihm war das für alle Zeit versagt. Vor zwei Jahren hatte er das letztemal gewagt, den Direktor um eine anständige Rolle zu bitten. Der hatte ihn lachend abgewiesen, und Roland hatte ihn verstanden. Dann dachte er noch einmal, ein letztes, daran, die Stadt zu verlassen, um wieder in die Provinz hinauszuwandern, wo er in den ersten zehn Jahren seiner Laufbahn umhergezogen; aber die Agenten erklärten alle, es sei zu spät, und die Erfahrungen, die er seinerzeit als Heldenspieler in kleinen böhmischen und mährischen Städtchen gesammelt, waren auch nicht ermutigend genug, um ihm die nötige Energie zu verleihen,