Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler. Артур Шницлер
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Die Veilchen waren auch heute wieder da; er hatte sie gar nicht angerührt. Und wenn sie selbst ernst gemeint waren, was lag ihm daran? – Er war so schwer bedrückt, daß ihm keine Freude mehr werden konnte. Er spürte nichts mehr als seine Einsamkeit und seine Lächerlichkeit Manchmal fuhr ihm durch den Sinn: wie soll das enden? Und da kamen ihm sonderbare Einfälle, die er immer wieder von sich wies. Nur einmal hatte er eine Idee gehabt, die ihn längere Zeit festhielt: er wollte es nämlich in die Zeitung geben, wie ihn die Leute quälten, und einen Appell an das Publikum erlassen, der mit den Worten anfangen sollte: Ihr edlen Menschen! Er hatte ihn einmal zu schreiben angefangen, hier in der Garderobe, denn sein Tisch zu Hause wackelte immer – aber er wollte ihm nicht gelingen. Es kam ihm vor wie ein Bettelbrief. Und dann hätten sie doch gelacht. Etwas anderes war ihm später eingefallen. Er wollte einmal mit der Blandini, der Primadonna des Theaters, die zuweilen auf der Probe ein paar gute Worte mit ihm sprach, ernstlich reden; er wollte ihr vorstellen, daß er doch eigentlich gar nicht so komisch war, wie die Leute sich immer einbildeten, aber er wagte es nicht. Und dann war ihm einmal, als er vom Wirtshaus ein wenig betrunken in der Nacht nach Hause ging, etwas ganz Tolles in den Sinn gekommen: er wollte bei nächster Gelegenheit mitten auf der Szene auf die Knie fallen und geradezu zu beten anfangen:
0 edle Menschen – und ihnen sein ganzes Leid klagen und sein Elend; und er wußte, daß er da wunderbare Töne finden würde, denen niemand widerstehen könnte; man müßte bei dieser Gelegenheit sogar erkennen, daß er ein großer Schauspieler war, und viele würden weinen und er selbst vielleicht mit ihnen. – Dieser Einfall kam ihm öfter wieder, aber nicht wie etwas, woran man ernsthaft denken dürfte, sondern wie die Erinnerung an einen lebhaften und schönen Traum.
Die Klingel, die ihn auf die Bühne rief, schrillte. Er stand auf, trat auf den Gang und schritt gemächlich die zehn Holzstufen hinab. Nun stand er hinter den Kulissen. Einige Choristen sagten ihm guten Abend. Roland ging ein paar Schritte weiter und stellte sich knapp hinter die Tür, aus der er auf die Szene hinaustreten sollte. Er hörte die Blandini singen; er erwartete sein Stichwort … So … jetzt war es da; der Inspizient, der neben ihm stand, gab ein Zeichen; zwei Arbeiter zu beiden Seiten öffneten die Tür, und Roland trat auf die Bühne. Aber es war etwas zu früh. Der Inspizient hatte voreilig das Zeichen gegeben, die Tür zu öffnen. Denn eben hatte sich ein starker Applaus erhoben, der offenbar der Blandini galt. Ihre Beliebtheit wächst noch immer, dachte er, selbst nach den paar Takten ein solcher Beifall! … Das wollte ja gar nicht aufhören. – Und Roland sah unwillkürlich die Blandini an, die anfangs ins Publikum hinausgeschaut hatte und sich jetzt zu ihm wandte. Er hörte sie flüstern: »Verstehen Sie das?« … Und der Applaus wurde immer stärker. Roland blickte auf die Galerie … Plötzlich glaubte er ganz deutlich unter den Bravorufen auch seinen Namen zu hören … Ah – er hatte sich gewiß getäuscht. Die Blandini sagte: »Hören Sie?« Roland antwortete: »Ja.« »Ihr Name«, sagte die Blandini … Der Applaus dauerte in gleicher Stärke fort. Und die Rufe >Roland< wurden immer lauter. »Was ist das?« dachte Roland, »bin ich wahnsinnig geworden? Träum’ ich?« »Reden Sie«, flüsterte die Blandini. – »Was?« fragte Roland verwirrt. – »Nun, Ihre Worte … vom Geschmeide.« – Und Roland begann zu sprechen: »Schöne Dame, dieses Geschmeide…« Aber er drang nicht durch. Der Applaus dauerte fort; einige Zischlaute mischten sich drein, worauf er noch lärmender wurde. »Kränze«, sagte die Blandini. Und Roland, in der Überzeugung, sie seien für die Blandini bestimmt, eilte zur Rampe vor, bückte sich und nahm einen riesigen Lorbeerkranz, den er sofort der Sängerin überreichen wollte. Aber sie flüsterte: »Für Sie.« – Er verstand es nicht; da fiel sein Auge auf die Schleifen, und er erblickte seinen Namen. Eine Sekunde lang ging jetzt etwas ihm selbst Unbegreifliches in ihm vor; er dachte: »Ich bin ein großer Schauspieler. Das merken alle Menschen, trotzdem ich die nichtigste Rolle spiele«; er nahm mechanisch die eine Schleife in die linke Hand – er las: »Dem genialen Mimen Roland die dankbare Mitwelt…« Und plötzlich hörte er im Saale ein stürmisches Gelächter schallen; er ließ die Schleife aus der Hand fallen, – er sah ins Publikum, sah tausend hocherhobene klatschende Hände, und die Gesichter der Leute leuchteten vor Vergnügen … Er verstand es nicht. Man lachte lauter, immer lauter. Plötzlich verstand er es. Und es war ihm, als wenn er niedersinken müßte und sein Gesicht verstecken, denn man lachte ja über ihn … man höhnte ihn aus … Das ganze Publikum war in diese rasende Fröhlichkeit geraten über den Einfall – ihn, Herrn Friedrich Roland, zu feiern. Er fühlte es: nun war für ihn der Gipfel des Ruhmes erreicht … er fühlte es so tief, daß er nichts mehr sah und hörte und in die lärmende Menge wie ins Stille und Leere starrte. Und – mit einem Male, als hätte er es damit erzwungen – war es wirklich still. Und er wußte, daß er seine Worte noch nicht gesprochen; vielleicht auch hatte ihm die Blandini zugeflüstert, daß er sprechen sollte. Und er sagte, ohne mit der Stimme zu zittern, indem er der Sängerin ruhig ins Gesicht sah: »Schöne Dame, dieses Geschmeide sendet Euch mein Herr.« – Die Blandini nahm das Geschmeide und sah ihn mit einem sehr langen Blicke an, er mußte denken: »Diese Nuance hat sie in den früheren Vorstellungen nicht gebracht« und fragte sich: »Warum?« … Da hörte er sie zu ihm sagen: »Machen Sie sich nichts daraus. « Jetzt merkte er, daß das Orchester bereits wieder spielte; die Einleitungstakte der Arie waren vorbei; die Blandini mußte einsetzen, sie sang. Es war eine unendlich lange Arie. Roland stand an der Tür und hörte die wohlbekannten Töne, und die Blandini sang immer weiter, es war, als wenn sie stundenlang sänge. Roland empfand nichts; nur ging die Bühne auf und nieder, gleichmäßig, und ein Summen von tausend kleinen Stimmen ohne Sinn war in seiner Nähe;
aber die Arie der Blandini klang hell, als wenn sie durch die Wände dringen müßte, hinaus ins Freie, und Roland war es, als ob man das Lied jetzt überall in der Welt zugleich hören könnte, wenn man nur recht aufpaßte. Es war gut von ihr, daß sie so lange sang, denn er hatte Angst vor dem Ende der Arie; er erinnerte sich, wie damals, bevor sie begonnen, das Klatschen und Gelächter getönt hatte; das würde sicher wieder kommen … und er fühlte, er müßte stark sein, um das noch einmal ertragen zu können – es war entsetzlich gewesen. – Die Arie war aus. Die Blandini reichte ihm den Schmuck. Und Roland fragte: »Was meld’ ich meinem Herrn?« – Und die Blandini sagte: »Nichts.« – Sie sagte es mit einem Zittern der Stimme wie niemals früher. Dabei sah sie ihn mit flehenden Augen an, als wollte sie ihn dabehalten auf der Szene, und er mußte doch abgehen. Er verbeugte sich, die Tür wurde geöffnet, er tat einen Schritt hinaus – da fing es so an wie vorher: »Bravo! Roland! Roland! Bravo!« Er stand bereits hinter der Szene, neben ihm der Inspizient, ein paar Choristen, die sich herzugedrängt hatten. Auch der jugendliche Komiker war da. »Meisterleistung«, sagte er zu Roland. Der Direktor trat hinzu.