Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler. Артур Шницлер
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Sie starrte mich an.
»Ich kenne ihn«, sagte ich, »und weiß, daß er verrückt ist!«
Auf ihrem Antlitz las ich das Erstaunen über die Ruhe, mit welcher ich diese Wahrheit aussprach. »Es ist nicht das erste Mal, daß er sich in seine eigenen Phantasiegebilde verliebt. Laß ihn zu Ende kommen mit seinem Gedicht, laß es ihn ins Pult werfen, und der Spuk ist wieder verschwunden.«
»Da muß man ja Angst vor ihm haben!« rief sie aus.
»Das eben nicht«, entgegnete ich, »aber schon das eine oder andere Mal habe ich daran gedacht, wie sehr es seiner Liebe zu dir zustatten käme, wenn du ihm erklärtest: ›Mein süßer Ypsilon, ich existiere ja eigentlich nicht, ich habe mich davongestohlen aus einem Märchen, und diese holde Weiblichkeit in deinen Armen ist nur ein Traum…‹«
»Wie?« fragte sie. Sie verstand mich kaum.
»Nun, ich will dir nur erklären, daß du keinen vernünftigen Grund hast, eifersüchtig zu sein. Laß ihn arbeiten, noch zwei, drei Tage, dann wird er selber zu dir kommen und dich bitten, wieder die Alte zu sein. Verlaß dich auf mich!«
»Er ist also ein halber Narr!« rief sie aus.
»Ein halber Narr? Ein halber Dichter, also wohl ein ganzer Narr! Aber beruhige dich nur und weine jetzt nicht!«
Wieder griff ich in die Tasten und spielte einen Walzer.
Währenddessen ging sie zur Tür, und als ich aufstehen wollte, sie zu begleiten, wehrte sie mit einer Handbewegung ab und sagte: »Ich komme schon wieder!« Damit verschwand sie, und ich ließ die Hände in den Schoß sinken…
Des anderen Morgens besuchte ich Freund Ypsilon. Obzwar der helle Tag ins Zimmer schien, brannten auf seinem Schreibtisch vier rote Kerzen (er konnte nur bei roten Kerzen arbeiten), und mit trüben Augen saß Ypsilon davor, während seine Feder ruhelos über das Papier irrte.
Ich löschte die Lichter aus; beim letzten gewahrte er überhaupt erst meine Anwesenheit. »Ach du«, sagte er.
»Ypsilon«, sagte ich ernst, »wirf augenblicklich das Zeug da beiseite; geh mit mir frühstücken, widrigenfalls ich alles aufbieten werde, dich in den Narrenturm stecken zu lassen.«
Er heftete seine großen glanzlosen Augen auf mich.
»Die Kleine war gestern bei mir«, erzählte ich ihm weiter. »Was hast du denn angestellt?«
Er lächelte. »Rede mir nicht von diesem armseligen Menschenkind! Ich habe dieses Geschlecht übersatt.«
»Ja, natürlich!« sagte ich. »Diese lebendigen Weiber! Sie sind brutal genug, zu essen, zu trinken, zu lieben und mit einem Riesenaufwand von wirklicher Existenz durchs Leben zu schreiten.«
»Rede mir nicht von ihnen«, unterbrach er mich. »Es gibt nur eine mehr für mich. Du wirst mich ihr nimmer entreißen! Höre! Es war einmal – – –«
Nun begann er mir eine Geschichte zu erzählen, während deren er manchmal auf die Blätter schaute, die vor ihm lagen. Es handelte sich da um irgendein sonderbares Mägdelein, das auf einer Insel im Indischen Ozean lebte, Türkisa hieß und das Holdseligste war, das jemals von Menschen oder Göttern war erschaut worden. Ypsilon konnte nicht Worte genug finden, den unendlichen Zauber, der von ihr ausging, zu beschreiben. Mit verzückten Blicken erklärte er mir schließlich, daß er, seit Türkisa ihr Reich ihm in Kopf und Herzen aufgeschlagen, für nichts anderes mehr das geringste Interesse empfinden könnte.
»Du liebst sie wohl?« sagte ich.
»Ich bete sie an«, sagte er im Tone des tiefsten Ernstes. »Aber ach, sie muß sterben!«
Ich schüttelte ganz entsetzt den Kopf.
»Da ist dann noch ein afrikanischer Prinz«, setzte er seine Geschichte fort und berichtete ein Näheres von diesem Prinzen, der eine unselige Leidenschaft für Türkisa gefaßt hatte.
»Du bist wohl eifersüchtig?« fragte ich.
»Was hilft’s«, sagte er mit gepreßter Stimme, »sie liebt ihn wieder.«
»Aber du Narr«, schrie ich ihn an. »Wach doch auf, bedenke doch, daß du den afrikanischen Prinzen von einem Tiger auffressen lassen, daß dann ein deutscher Dichter namens Ypsilon mit einer Barke an den Ufern dieser Insel landen kann und…«
»Das kann er nicht«, erwiderte Ypsilon im Tone der tiefsten Überzeugung.
»Wie? – Warum nicht?« rief ich aus. »Das liegt doch in deiner Hand! Du leitest die Fäden, deinem Schädel ist doch dieser Wahnwitz entsprungen, diese Türkisa existiert doch nur in deiner Phantasie!«
»Gleichviel!« antwortete er ruhig. »Es muß gehen, wie es geht, die Dinge spielen sich ab, ich kann es nicht ändern.«
Ich sprang auf. »Du bist vollkommen wahnsinnig!«
Er verzog die Lippen zu einem leichten Lächeln und sagte nur ganz ruhig: »Nein.«
Ich ging im Zimmer hin und her und fühlte, wie eine heftige Erregung meiner Meister wurde.
»Ich bitte dich, gehe! Du störst mich!« sagte er.
Ich blieb vor ihm stehen, sah ihn mit einem erbitterten Blicke an und entgegnete: »Mittags komme ich wieder, um dich zu fragen, ob du essen willst.«
Während ich die Tür hinter mir zuschloß, sah ich, wie Ypsilon seine roten Kerzen wieder anzündete. Ich aber trat hinaus ins volle Licht, unter die Leute, die mit wuchtigen Alltagsschritten durch die Straßen wandelten. Im ersten Augenblicke war ich nahe daran, über diese allgemeine Lebensfrische zu erstaunen. Man begreift die Gesundheit nicht mehr, wenn man aus dem Hause der Verrückten tritt…
Als ich zu Mittag bei meinem Freunde Ypsilon anklopfte, ward mir nicht aufgetan. »Komm abends«, sagte er durch die Tür, »ich arbeite, du störst mich.«
Abends widerfuhr mir dasselbe. Ich rief höhnisch hinein: »Ist Türkisa noch nicht tot?« Da hörte ich ein tiefes Seufzen. Offenbar war die Arme ihrem Ende nahe. Ich empfand etwas wie Freude, denn ich hoffte, daß damit der Bann wieder gelöst sei.
Auch am nächsten Morgen klopfte ich zeitig an seine Tür. Ich hörte kein »Herein«, doch gab die Klinke nach, und ich sah meinen Freund Ypsilon, der blaß und abgehärmt vor seinem Schreibtisch saß.
»Ypsilon!« rief ich aus.
Er sah mich mit todesmatten Augen an.
»Was ist dir?« fragte ich.
»Sie stirbt«, flüsterte er.
»Gott sei Dank!« entgegnete ich.
Sein Blick überschattete sich, er begriff diese Freude nicht mehr.
»Komm, Ypsilon«, sagte ich, und ich fühlte, daß ein beengender Schauder mir durchs Herz zog, »komm!«
»Ich kann nicht«, erwiderte er und wies auf das beschriebene Papier, dann