Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler. Артур Шницлер
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»Ah, das ist gut«, rief August, der sich plötzlich seiner Rechte neu bewußt wurde, »ob ich mich trau? Wo steckst du denn? Was machst denn du? Ich wart’ zwei Stunden auf dich! Was heißt denn das?«
»Mein Lieber, du kannst lang warten«, sagte die Blandini,
»wir zwei sind fertig miteinander.«
»Warum?«
»Fragst noch?«
»Erstens schrei nicht; der Kutscher braucht das nicht zu wissen – und zweitens –«
In diesem Augenblick öffnete sich die Haustür; die Blandini eilte in den Flur und schlug die Tür hinter sich zu. August bebte vor Zorn. Aber er wollte sich vor dem Kutscher und dem Portier nicht blamieren und blieb ganz ruhig stehen. Er überlegte. Was sollte er tun? Warten? – Ihr nacheilen?! Sich der Gefahr aussetzen, von ihr nicht empfangen zu werden? Bis zum Morgen da auf-und abgehen? Ihr in der Früh auf der Straße einen Skandal machen? Er war so zornig, daß er sein eigenes lautes, beinahe schnaubendes Atmen hörte. – Nach zwei Minuten öffnete sich das Haustor von neuem, und Albine erschien.
Sie eilte zum Wagenschlag und rief dem Kutscher etwas zu. August eilte ihr nach und packte sie beim Arm. »Wohin?«
»Was gehts dich an?« Sie machte sich los von ihm und sprang in den Wagen; er ihr nach.
»In meinem Wagen werd’ ich doch wohl mitfahren dürfen«, stieß er zwischen den Zähnen hervor.
»Bitte.«
Der Wagen rollte fort.
»Darf ich um Aufklärung bitten?« fragte August. Sie antwortete nicht.
»Woher bist du gekommen?« Sie schwieg.
»Warst du mit ihm?«
»Nein«, sagte sie, »aber ich such’ ihn.«
»Was?«
»Ja.«
»Bist du seine Geliebte?«
»Nein; aber verlaß dich drauf, heute werd’ ich’s noch.« August fuhr mit der Hand nach der Signalpfeife für den Kutscher.
Sie zog ihm heftig den Arm herunter.
August schaute durchs Fenster hinaus: sie fuhren über den Ring. Albertine sah ihn von der Seite an.
»Interessiert’s dich, wohin wir fahren?«
August bebte und erwiderte nichts. Sie sprach weiter; grausam und mit Behagen.
»Ich habe nach dem Theater auf ihn gewartet; aber er war schon fort … dann bin ich in seine Wohnung, aber er war nicht zu Hause. Dann bin ich in das Wirtshaus, wo er manchmal hinzugehen pflegt; – da war er auch nicht. Und weißt du, warum ich jetzt bei mir zu Haus war? Weil ich überall, bei ihm und auch im Wirtshaus den Auftrag gegeben habe, man soll ihn sofort zu mir schicken. Und jetzt fahren wir wieder ins Theater, weil ich keine Ruh’ hab’, bevor ich ihn find’ – verstehst du?«
August sprach kein Wort; aber er hätte sie gern erwürgt. Der Wagen rollte über die Donaubrücke, noch ein paar Minuten und er hielt in einer schmalen Gasse, an der kleinen Hintertür des Theatergebäudes, die zur Bühne führt. Die Blandini sprang aus dem Wagen; August ihr nach. Die Tür war längst geschlossen. Ein Gewölbewächter, der eben vorbeiging, sah neugierig die junge Dame an, die um Mitternacht hier an der Glocke zog. Nach ein paar Sekunden wurde die kleine Tür geöffnet, und der Portier erschien mit einer Laterne in der Hand … »Jessas, Fräulein Blandini, was ist denn? Was ist denn gescheh’n? Haben S’ was da vergessen? «
»Leuchten Sie mir nur.«
August stand hinter ihr.
»Der Herr hat nichts da zu tun«, sagte die Blandini; »sperren Sie zu.«
Sie stieß August zurück, schloß selbst die Tür, und der Portier versperrte sie. Während sie mit dem Portier durch den schmalen, niederen Gang eilte, der zur Bühne führte, fragte sie ihn: »Haben Sie den Roland weggehen sehen?«
Der Portier dachte nach. »Ja, Fräulein, jetzt ist sicher niemand mehr in der Garderobe. Vor zwei Stunden hab’ ich schon zugesperrt.«
»Haben Sie ihn weggehen gesehen?« wiederholte sie beinahe flehend.
Sie standen nun auf der großen, dunklen Bühne. Von der Laterne, die der Portier in der Hand hielt, fiel ein Lichtkegel auf den weißen Souffleurkasten. Die Kulissen, zu beiden Seiten im Dunkel, schienen ins Unermeßliche hinaufzuwachsen. Der eiserne Vorhang stand da wie eine Riesenwand.
»Ja … gesehen …« sagte der Portier. »… ich weiß mich wirklich nicht zu erinnern, ich bitt’ schön, Fräulein, es gehen da so viel Leut’ an einem vorbei, man schaut doch nicht einen jeden an; nicht wahr?«
Die Blandini blieb noch einen Moment nachsinnend stehen, dann eilte sie rasch über die Bühne bis hinter die Kulissen, zu der kleinen Stiege. Sie setzte den Fuß auf die ersten Stufen.
»Aber Fräulein«, rief der Portier, der ihr mit der Laterne nacheilte, »da ist ja die Herrengarderobe.«
Sie antwortete nicht; sie eilte so rasch hinauf, daß sie oben plötzlich im Dunkel stand und auf den nachstolpernden Mann mit der Laterne warten mußte. Sie holte tief Atem. Als der Portier wieder bei ihr war, und ein schwacher Lichtschimmer den Gang erhellte, fragte sie: »Wo ist die Garderob’ vom Roland?«
»Ja Fräulein, das weiß ich selber nicht, ich komme ja nie da herauf. Aber da oben sind die Namen angeschrieben.«
Sie nahm ihm die Laterne aus der Hand und versuchte aufs Geratewohl, die erste Tür zu öffnen.
»Fräulein, das geht nicht, s’ist ja zugesperrt. Die Herren
sperren meistens zu beim Fortgehen. Und das ist ja gar nicht die von Herrn Roland. «
Fräulein Blandini eilte weiter; bei einer Tür nach der andern hob sie die Laterne höher, um die Namen zu lesen. Endlich war sie bei der rechten. Ein weißer Bogen klebte dort; drei Namen standen darauf: Engelbert Brunn, Oswald Friedemann, Friedrich Roland. Sie griff nach der Türschnalle, aber auch diese Tür war verschlossen.
Der Portier schüttelte den Kopf. »Schau’n S’, Fräulein, wenn Sie da drin was vergessen haben, da kommt ja nichts weg, morgen ist’s auch noch da.«
»Sie… Sie…« wandte sich die Blandini an ihn, »der Roland ist ja nach dem zweiten Akte fertig, er muß doch früher fortgegangen sein als die anderen, da hätten Sie ihn doch sehen müssen?«
»Ja, Fräulein, es ist möglich, daß ich ihn geseh’n hab, wie man halt einen sieht, aber ich weiß mich nicht zu erinnern.«
Die Blandini blieb ein paar Augenblicke ratlos stehen. Plötzlich fiel ihr etwas ein. Sie suchte in ihrer Tasche und atmete erleichtert auf. Vielleicht paßt er, flüsterte sie und hielt ihren eigenen Garderobeschlüssel in der Hand. Sie gab dem Portier die Laterne wieder zu halten, und hastig