Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer

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Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer - Ludwig  Ganghofer

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sagte der Gotteslechner: »Die erste Wach bis zum Morgen nimm ich selber. Legt euch schlafen, Leut! Kommen sie, so weck ich mit dem Alphorn. Aber ich denk, solang grob Wetter ist, sind wir sicher. Geht morgen das Schaffen und Schanzen an, so laßt vor dem Kind kein Eisen klirren und redet kein unvorsichtiges Wörtl. Tut sie eine Frag, so muß halt jeder suchen nach einer freundlichen Lug. Ihr ist alles Wahrheit, weil sie das Widerspiel nit kennt. Jetzt gute Ruh, Gesindleut!«

      Greimold ging zum Hagtor. Der Steinhauser ging mit und sagte: »Sieben Mannsleut sind wir. Das sind vierzehn Fäust. Und du könntest noch mehr haben. Viele weiß ich, die dir dankbar sind um deiner Guttaten willen. Und viele sind unzufrieden und in Verdruß wider die Klosterleut. Die möchten wohl ihre Sach an die deinig hängen.«

      Der Gotteslechner schüttelte den Kopf. »Ich will dem Kloster keinen Unfried schüren. Das tat mich ins Unrecht setzen, und ich könnte nimmer zuschlagen, wenn’s gilt. Meine Not soll keinem Fremden an den Kittel greifen. Wir unter uns sind Leut genug. Und einen weiß ich, auf den ich rechnen kann.«

      »Wen meinst du?«

      »Frag nit! Wenn’s ernst wird, kommt er.«

      Greimold trat zum Feuer, das beim Hagtor brannte. Der Geißhirt ließ sich unter Dach schicken. Ruglind sagte: »Ich bleib. Du, Hauswirt, mußt sinnen. Mich laß die Scheiter tragen und das Pech schütten.«

      So wachten die beiden bis zum Morgen. Bei Anbruch der Dämmerung schlug der westliche Sturm in kalten Nordwind um. Über Hof und Dächer mischten sich wässerige Flocken in den Regen. Der Abend brachte scharfen Frost, und bevor es nach einer windstillen Nacht wieder Morgen wurde, waren die Berge und der Wald verschwunden, und alle Lüfte waren weiß von dicht und ruhig fallendem Schnee.

      Als Greimold, der am Morgen die Wache gehalten, in die Herdstube trat, die Kleider von gefrorenem Schnee bedeckt, ließ Jutta, die mit ihrem Strohgeflecht neben dem Feuer saß, die Hände ruhen. »Vater? Sind alle Gesindleut fortgegangen? Weil ich sie nimmer schreiten hör im Hof.«

      »Es ist Winter worden, und die Eisblumen sind gewachsen. Die decken allen Boden linder als Maiengras.«

      Es huschte wie sinnender Kummer über das Gesicht der Blinden. »Vater? Darf ich nit ein lützel hinaus und die Eisblumen schauen?« Er legte den Arm um die Blinde und führte sie vor das Haus. Die weiße Zenta trabte vor den beiden her. »Wie lind das unter den Füßen ist!« Jutta hob das Gesicht und streckte die Hände. Da konnte sie den Fall der Flocken spüren. »Als tat mich ein Kindl anrühren, das kühle Fingerlein hat!«

      Bellend tollte die Hündin in den Schnee hinaus, und mit ihrem weißen Fell verschwand sie völlig im Gestöber.

      Greimold winkte den Männern zu, die in der Nähe des Hages schwere Felssteine aus einem Hügel brachen. Sie ließen die Werkzeuge ruhen und standen schweigend.

      Jutta schmiegte sich an den Vater. »Stehen sie schon hoch, die Eisblumen?«

      »Spannenhoch.« »Meinst du, sie wachsen noch höher?«

      »Ja, Kindl, das hoff ich.«

      »Aber nit so hoch, daß sie den Weg versperren?«

      Greimold fragte lächelnd: »Was für einen Weg?«

      »Den vom Jägerhaus zum Gotteslehen.«

      »Nein, Kind, den sperren die Eisblumen nit, und täten sie haushoch wachsen!« Während er die Blinde zurückführte ins Haus, blies er die Schneeflocken aus ihrem Haargeringel.

      Drüben beim Steinbruch nahmen die Männer die Arbeit wieder auf. Einen Felsblock um den andern wälzten sie aus der verschneiten Erde hervor, die Bausteine für eine feste Mauer, die sie innerhalb des Hages rings um Haus und Ställe errichten wollten. Schon am folgenden Abend mußten sie wegen des starken Schneefalles die Arbeit einstellen.

      In dichtem Gestöber fielen die Flocken, Tag und Nacht, eine ganze Woche lang. Als sich der Himmel wieder klärte, lag der Schnee halbmannshoch, eine weite, weiße, undurchdringliche Mauer, die das Gotteslehen schützend umzog und jeden Weg verschloß, der vom Tal zu den Bergen führte. »Jetzt laßt euch die Ruhzeit schmecken!« sagte der Gotteslechner zu seinem Gesind. »Bleibt der Winter so streng, wie er anhebt, so sind wir sicher bis zum Frühjahr.«

      Am Abend, als Greimold nach der Mahlzeit noch mit den Hirten um den Herd saß, kam die Helgard aus Juttas Kammer gelaufen. »Hauswirt, komm! Und schau, was das Kindl hat! Ein Zährl ums ander rinnt ihr übers Gesicht. Und das weißt du doch, das Weinen tut ihren Augen weh!«

      Erschrocken eilte Greimold in die Kammer. Jutta stand im Lichtschein einer Wachskerze, die in eisernem Ring an der Mauer brannte. Zwischen den zitternden Fingern hielt sie einen dürr gewordenen Halm. Ihre nassen Augen waren weit geöffnet, als möchte sie das Sehen erzwingen, »Kindl? Was hast du?«

      »Schau nur, Vater! Sein Knöspl ist abgefallen, und das Hälml ist dürr. Jetzt kann’s nimmer blühen.«

      Er streichelte Juttas Haar, nahm ihr den dürren Halm aus den Händen und sagte ruhig: »Sein Blüml wird blühen. Mir kannst du’s glauben. Du verlangst, was wider die Natur ist. Die Sommerblumen müssen schlafen im Grund, solang die Eisblumen wachen.«

      Sie nickte.

      »Du mußt dich gedulden, bis im Land wieder Maien ist. Das Knöspl ist freilich abgefallen. Aber der Halm hat noch ein Würzl.«

      Sie wollte fühlen.

      Da sagte er hastig: »Laß mir den Halm! Ich grab ihn unter dem Eisblumenbeet in guten Boden. Im Maien blüht dein Blüml. Gelt, jetzt tu dich nimmer kümmern drum?«

      Sie lächelte. Das war nicht ihr stilles, ruhiges Lächeln wie sonst. Es war Glaube in diesem Lächeln, aber auch Verlangen und Sehnsucht.

      Greimold ging aus der Kammer. Draußen in der Stube ließ er den dürren Halm in die Flamme fallen. Schweigend saß er und hörte nicht, wenn die Sennen eine Frage an ihn richteten. Als sie die Stube verließen, um ihre Ruh zu suchen, ging er mit ihnen und trat ins Freie.

      Klare, kalte Winternacht war um das Haus gelagert. Heftig flimmerten die Sterne, und ein matter Widerschein ihres Lichtes funkelte in den Schneekristallen. In der Stille ein dumpfer, langgezogener Laut. Das ferne Geheul eines hungernden Wolfes. Und jetzt ein Klingen im Tal, hell und hastig: Im Stifte läuteten sie das silberne Zügenglöckl. Da mußte von den Chorherren einer im Sterben liegen.

      Dem alten Dietmar Scharsach rann das Leben aus der müden Seele.

      In der Kapitelnacht hatten sie den Greis in einer Fensternische des Korridors gefunden, Gesicht und Hände mit vertrocknetem Blut bedeckt. In der Krankenzelle antwortete er auf keine Frage und zerfiel von einem Tag zum andern. Der Medikus sagte: »Ratio profecta a rerum natura. Er ist in einem Alter, in dem man kein Nasenbluten mehr verträgt.«

      So lag er eine Woche. Am ersten schönen Tag, als das Schneegestöber versiegte, ging es mit ihm zu Ende. Gegen Abend erwachte er noch einmal aus seinen Fieberträumen. Da wollten sie ihm die heilige Zehrung reichen. Er wehrte sich gegen den Trost der Kirche wie ein eigensinniges Kind sich sträubt gegen bittere Arznei. »Mich hungert nimmer. Ich will den Propst. Den Propst!« Man holte Herrn Friedrich aus dem Refektorium, wo die Chorherren bei der abendlichen Mahlzeit versammelt waren. Als der Propst die Tür der Krankenstube öffnete, klang hinter ihm der heitere Lärm der Schmausenden mit dem Geklapper der zinnernen Schüsseln und in der Zelle vor ihm die Stimme des Sterbenden, dem der Medikus die Hände festzuhalten suchte:

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