Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer
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Der Abend dämmerte im verschneiten Tal. Hier und dort an einer Hütte schimmerte Herdschein aus der offenen Tür. Droben auf dem Hügel, der das Kloster trug, leuchteten große Fenster mit strahlender Helle ins Grau hinaus. Hoch in den Lüften hingen trübe Nebelschleier, noch rötlich angeflogen von einem Nachglanz der Sonne, die im Westen freien Himmel gefunden; im Zwielicht der Tiefe war schon über den Schnee ein mattblauer Schein gegossen. Der Herdrauch, der aus den Dächern quoll, lag fein verteilt in der kalten Luft und mischte sich mit dem dünnen Nebel, der aufdampfte aus dem Bett der Ache. Im Rauschen des zwischen vereisten Ufern dahinschießenden Wassers gingen die letzten Geräusche des entschlummernden Tages unter, menschliche Stimmen und das Gebell eines Hundes.
Im Tal war der Schnee nicht so schwer gefallen wie droben auf den Gehängen der Berge. Hier unten ging auch der Schneepflug, mit zwanzig und dreißig Rossen bespannt, und nach jedem neuen Schneefall mußten die Bauern Frondienste leisten, um die vom Kloster ausziehenden Wege und die Talstraße am Ufer der Ache freizuhalten für den Verkehr der Salzkarren, für den Steuerschlitten des Zinsmeisters, für die Pferde und Maultiere der zum Weidwerk reitenden Chorherren.
Schon wurden die Schleier des Himmels grau, und es dunkelte im Tal. Da gaukelte auf der Achenstraße der Schein zweier Fackeln einher. Troßknechte des Klosters ritten dem Propste voran, der ihnen auf klingend geschirrtem Maultier folgte, in warme Pelze gemummt. Lässig hielt er den Zügel und war hinter den Fackelträgern zurückgeblieben. Plötzlich scheute sein Tier. Als Herr Friedrich aufblickte, sprang ein Mann, der weiß mit Schnee behangen war, aus dem Waldsaum hervor und faßte den Zaum des Maultiers. Der Propst erschrak und rief nach den Knechten. Beim Rauschen der Ache hörten sie den Ruf ihres Herren nicht und ritten weiter.
»Aus dem Weg!« Herr Friedrich wühlte unter seinem Pelz.
»Ohne Sorg, Herr!« sagte der Mann im Schnee. »Den Griff nach dem Eisen mögt Ihr lassen! Ich tu Euch nichts.«
»Wer bist du?« – »Der Bauer im Gotteslehen.«
Der Propst schien beruhigt. »Was willst du?«
»Ich hab gesehen, daß Ihr ausreitet, und hab gewartet auf Euch, um eine Bitt zu tun.«
»Deshalb überfällst du mich auf der Straße? Komme zu mir ins Kloster! Morgen am Tag. Dann will ich deine Bitte hören.« Herr Friedrich spornte das Maultier.
Greimold hielt den Zügel fest. »Ins Kloster? Habt Ihr nit gehört, Herr Propst? Ich bin der Gotteslechner. Fangwild muß getrieben werden. Von selber lauft keines ins Garn.«
»Gib den Weg frei!« befahl der Propst. »Du bist im Kloster so sicher wie jeder andere meines Landes.«
»Ja, Herr«, sagte Greimold bitter, »genauso sicher bin ich auch.«
Die Knechte mußten gemerkt haben, daß der Propst nicht hinter ihnen ritt. Mit erhobenen Fackeln kamen sie auf der Straße dahergesprengt. Herr Friedrich rief: »Ich komme gleich.« Er blickte auf den Bauer nieder und sah beim Schein der nahen Fackeln ein erschöpftes Gesicht mit gramvollen Augen. »Rede! Was willst du?«
Greimold trat dicht an den Sattel heran. Die Erregung würgte ihm die Kehle. »Herr Propst! Ich bin ein freier Bauer und muß nit zinsen, wie man zu Unrecht verlangt von mir. Aber ich will dem Kloster geben, was es begehrt. An Lichtmeß und Michelstag will ich zahlen, was von den hörigen Bauren der beste ans Kloster zu steuern hat. Ich will’s dem Kloster aus freiem Willen hinlegen, jedes Jahr, solang ich leb. Das will ich beim heiligen Brot beschwören. Ich tu’s, Herr Propst, sobald Ihr den Jäger in Freiheit gebt, den Ihr um meintwillen in Buß genommen.«
»Ich verstehe dich nicht. Wen meinst du?«
»Den Jäger Irmi.«
»Ich hab keinen Jäger dieses Namens.«
Der Gotteslechner klammerte seine Hand in das Pelzgewand des Propstes. »Den Jäger, Herr, der mir geholfen hat, wie Eure Fronknecht über mich hergefallen sind.«
»Den meinst du?«
»Den gebt mir wieder! Ich hab nimmer Ruh, solang ich den Buben in Buß und Elend weiß. Ich kauf ihn los, Herr Propst, ich zahl an Bußgeld, was das Kloster verlangt. Und wär’s mein halbes Gut. Gebt mir den Buben heraus! Der soll nit leiden müssen.«
Seufzend nickte Herr Friedrich vor sich hin: Er fand einen Menschen! Sich niederbeugend, legte er seine Hand auf die Schulter des Bauern. »Du bist ein redlicher Mann. Das will ich dir gedenken.«
»Herr?« stammelte der Gotteslechner, als wäre ein Schimmer von Hoffnung in ihm erwacht.
»Dem Jäger, den du meinst, kann ich die Freiheit nicht geben. Der ist hartem Gesetz verfallen.«
»Herr! Schauet mich an: Ich leb und sterb für mein freies Mannstum. Geht’s nimmer anders, in Gottes Namen, so nehmt mir die Freiheit! Morgen komm ich und laß mich scheren. Ich will dem Kloster ein Höriger sein in Treu. Aber gebt mir den Jäger heraus! Den muß ich haben.«
»Laß mich in Ruhe, Bauer!« Die Stimme des Propstes klang müd und ärgerlich. »Ich habe dir schon gesagt, den kann ich dir nimmer geben. Den hab ich selber verloren. Könnt ich ihn dem Leben zurückgewinnen –«
»Herr?« Dem Gotteslechner fielen die Arme, als wären sie gelähmt.
»Könnt ich das, ich gäbe mehr dafür, als der Haarschopf deiner Freiheit wert ist.«
Ein erstickter Laut in der sinkenden Nacht. »Der Bub ist tot?«
»Geh! Ich kann mir nicht helfen. Auch dir nicht. Gott verzeih mir meine Schwäche!«
Herr Friedrich spornte das Maultier, daß es schnaubend zu traben begann. Die beiden Knechte hielten die Fackeln hoch und schlossen hinter dem Propst die Straße.
Regungslos stand Greimold im Schnee und starrte der gaukelnden Helle nach. Als sie verschwunden war, reckte er sich auf. »Kloster! Den Buben sollst du mir zahlen! Der kostet Blut.« Keuchend ging sein Atem, als er sich auf der Straße niederkniete, um die Schneereifen unter seine Schuhe zu binden.
Da leuchtete über der Ache drüben, auf der steil zum Kloster führenden Straße der Schein der Fackeln wieder auf. Die Knechte waren aus dem Sattel gestiegen. Der eine führte die beiden Pferde, der andere das Maultier, das Herrn Friedrich trug.
Die Bürgergasse war schon menschenleer und still. Wie zwei hohe schwarze Zäune zogen sich die winkeligen Giebelwände der Häuser unter den schwer beschneiten Dächern hin. Aus dem Kloster, vor dem die Schlagbrücke über den Graben gelegt war, um den Fürsten eintreten zu lassen, fiel die flackernde Helle eines Pfannenfeuers. Stimmen und Gelächter im Laienhof, dazu das jämmerliche Wehgeschrei eines Menschen. Vor der Tür der Fronstube war ein Bauer mit entblößtem Rücken an den Bußpfahl gebunden. Knechte und Fronboten standen um den schreienden Sünder her, und der Scherg, der den Bauer die gesalzene Rute zu kosten gab, hatte just mit lauter Stimme gezählt. »Neunundzwanzig So! Und nun den letzten zu unseres Herrn Ehr! Dreißig!« Der Gezüchtigte stieß einen gellenden Schrei aus. Dann hing er ohnmächtig am Bußpfahl.
Mit abgewandtem Gesicht ritt Herr Friedrich durch den Laienhof. Den Bruder Pförtner, der das Innentor öffnete, fragte er: »Was hat der Bauer verschuldet,