Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer
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Читать онлайн книгу Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer - Ludwig Ganghofer страница 149
Zorn und Sorge wühlten im Gesicht des Propstes. Mit geballten Fäusten stand er, bis sich die Tür hinter Wernherus geschlossen hatte. Dann wankte er durch die Stube, warf sich über den Betschemel, höhlte die zitternden Hände um die Füße des Gekreuzigten und küßte ihm die von roten Tropfen überronnenen Zehen. »Laß ihn leben, du Guter! Heb ihn barmherzig herauf aus der Nacht, in die ihn meine Schwäche hat fallen lassen! Maxima mea culpa! Schuldlos ist er. Ich bin der Schuldige. Auf mich wirf deinen Zorn und ihm sei gnädig! In ihm war Licht und Leben, in mir ist Tod und Nacht! Ein Sünder bin ich, ein arger Sünder! Mea culpa, mea culpa!« Mit solcher Inbrunst hatte Herr Friedrich noch nie gebetet, und noch in keiner Not seines Lebens war er so gläubig gewesen. Er lag auf den Knien, bis ihn das Geläut der Kapitelglocke aufschreckte.
Ruhelos schritt er in seiner Stube auf und nieder. Immer fror ihn, obwohl das Feuer im Kamin mit großer Flamme brannte. Bald stand er bei der Tür, um zu lauschen, bald am Fenster. Und seines Falken vergaß er völlig.
Es war späte Nacht geworden, als er eilige Schritte im Korridor vernahm. In Ungeduld riß er die Tür auf. Hans Pütrich kam, erregt und dennoch lachend. »Herr! Wißt Ihr, was geschehen ist im Kapitel? Den Immhof haben sie ledig gesprochen. Mit allen Stimmen gegen eine.«
»Wer war es, der dagegen sprach?«
»Dekan Wernherus. Schade, Herr, daß Ihr das versäumt habt! Noch nie im Leben hab ich einen lustigeren Schabernack gesehen als den heiligen Ernst, mit dem sie geredet haben.«
»Und jetzt?«
»Sie legen schon die Mauer nieder.«
»Komm, Pütrich«, stammelte der Propst, »ich muß sehen, daß er lebt!«
»Bleibet davon! Das wird ein übles Schauspiel.«
»Komm!« Herr Friedrich riß den Chorherren mit sich fort. Sie vernahmen aus der Tiefe die dumpfen Klänge eines Chorals. Dann verstummte der Gesang. Als sie zur letzten Treppe kamen, hörten sie die Schläge der Spitzhacke, mit der man die Mauer brach. Trüber Schein erfüllte den Kellergang und überzitterte die Gestalten der Chorherren, die schweigend vor der sinkenden Mauer standen. Einige von ihnen trugen brennende Kerzen und hielten sie über die Köpfe. In das Wachs der Kerzen war Weihrauch eingeschmolzen, so daß es im Kellergewölbe duftete wie in einer Kirche.
Bruder Eligius, der Schlächter, schlug mit aller Kraft seiner Arme auf die Steine und auf den Mörtel los, der schon so hart geworden, daß bei jedem Schlag die Funken aufsprühten. Hinter der Mauer, die schon zur Hälfte gefallen war, ließ sich kein Laut vernehmen. Und der Schein der Kerzen vermochte nicht die Finsternis zu erhellen, welche die Höhlung füllte. Aus der Luke quoll eine so grauenvolle Luft hervor, daß jene, die zunächst der Mauer standen, Mund und Nase mit dem Ärmel bedeckten. Linhart Scharsach, als er den Propst gewahrte, rief ihm entgegen: »Kehret um, Herr Friedrich! Ihr seid ein Kranker. Aus dem stillen Kämmerlein geht ein Wohlschmack aus, der Euren leidenden Magen in Aufruhr bringen könnte.«
Der Scherz weckte kein Lachen. Alle standen wortlos, in erregter Spannung, in Scheu und Grauen.
Da fielen die letzten Steine der Mauer.
Herr Friedrich drängte sich durch den Kreis der Chorherren. Vorgebeugten Hauptes stierte er in die finstere Höhlung. »Immhof! Du bist erlöst. Wenn du noch lebst, so tritt heraus in die Freiheit!« Nichts rührte sich in der dunklen Zelle.
»Barmherziger Gott!« Herr Friedrich riß einem Chorherren die Kerze aus der Hand und leuchtete in die Finsternis. Da gewahrte er in einer Ecke der Höhlung einen Klumpen, grau und weiß, eine regungslos in sich zusammengekauerte Gestalt, deren Gesicht man nicht sehen konnte, denn weißes Haar hing in dicken Zotten darüber.
Auf einen flehenden Blick des Propstes sprang der Bruder Schlächter in die Mauerhöhle.
»Er muß noch leben, Herr! Er ist nit starr, wie die Toten sind.«
»Trag ihn heraus!«
Da brachte ihn Bruder Eligius auf den Armen getragen: ein Gerippe fast, umhangen von den halbverfaulten und zerfressenen Fetzen des Chorherrenkleides, die gelbe Haut der ausgemergelten Arme von der Kälte zerrissen, die Hände mit Wunden bedeckt, das abgezehrte Gesicht von weiß gebleichten Haaren umfilzt, mit Augen, die nicht zu sehen schienen, obwohl sie groß geöffnet waren; wie in geistiger Entrückung brannten sie unter den weißen Wimpern.
Dem Propste fiel die Kerze aus der Hand. Von Grauen geschüttelt, daß ihm die Zähne knirschten, bedeckte er das Gesicht. Hans Pütrich, der ihn taumeln sah, nahm ihn unter den Arm, führte ihn die Treppe hinauf, brachte ihn zu seiner Stube und wollte bei ihm bleiben. Herr Friedrich schickte ihn wieder fort.
»Geh hinunter! Und komm wieder! Und sag mir, wie es ihm geht!«
Zitternd saß der Propst in seinem Sessel, mit kalkweißem Gesicht und verstörten Augen. Der Bruder Kämmerer mußte ihm dampfenden Würzwein holen. Gierig schlürfte er den heißen Trank und erbrach ihn wieder. Er ließ sich zu Bett bringen. Weil ihn unter den warmen Decken noch immer fror, mußte der Bruder einen Berg von Fellen auf ihn häufen, bis ihm der Schweiß aus allen Poren brach.
Als nach Mitternacht Hans Pütrich wiederkam, streckte ihm der Propst die Arme entgegen.
»Lebt er?«
»Ja, Herr! Aber ob sie ihm das Leben erhalten können, weiß ich nicht. Alles läßt er mit sich machen und redet kein Wort. In seinem Blut muß schwere Krankheit liegen.«
»Was sagt der Medikus?«
»Der weiß sich nimmer zu helfen und redet lateinisch. Er sagte: ›Ex prima fronte febrim esse videtur, quem typhon medici vocant!‹ Erst haben sie ihn gebadet, jetzt liegt er in der Krankenstube.«
Der Propst fuhr erschrocken auf. »In dem Bett, in dem der alte Scharsach starb?«
»Die Krankenzelle hat kein anderes. Es ist das Bett, das auf uns alle wartet.«
Das Gesicht von Schweißperlen bedeckt, bis zu den Ohren unter die Felle gemummelt, lag Herr Friedrich, ohne Schlummer finden zu können. Hans Pütrich mußte bei ihm wachen, bis der Morgen graute.
Ein trüber Tag stieg auf. Der ganze Himmel war verhangen mit grauem Gewölk, und neuer Schnee schien fallen zu wollen. Um die Zinnen des Watzmanns und der Watzmannkinder begann es im ersten Frühlicht schon zu stöbern. Langsam zogen die weiß fallenden Schleier über den Königssee heraus.
Als es völlig Tag geworden, fielen auch über dem Gotteslehen schon die Flocken.
Beim Hagtor stand der Steinhauser mit Ruglind und dem Altsenn. In Sorge blickten sie über die weißen Wiesen gegen den Wald hinunter, auf den Hauswirt harrend, der zur Nacht nicht heimgekommen war. Und als es nun zu schneien anfing, sagte der Steinhauser: »Jetzt krieg ich Angst! Wir müssen ihn suchen.«
Da kreischte Ruglind: »Er kommt! Sell drunten beim Wald!« Nun sahen auch die anderen den Heimkehrenden und schrien ihm zu mit frohen Stimmen.
Langsam stieg der Gotteslechner vom Waldsaum herauf, bis an die Schultern im Schnee, mühselig jeden