Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer

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Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer - Ludwig  Ganghofer

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in Haft?«

      »Geh, wohin du willst.«

      Linhart Scharsach ging aus der Zelle und ließ die Tür offen, weil der Medikus mit dem Kaplan erschien. Herr Pabo trat an das Sterbebett. »Der Kranke ist willig, deinen Trost zu empfangen«, sagte Herr Friedrich mit hartem Lächeln, »sieh nur, er hält schon den Mund geöffnet.« Murmelnd sprach der Kaplan das segnende Gebet und schob dem Greis die letzte Speise auf die Zunge. Die offenen Lippen schlossen sich nicht. Herr Dietmar Scharsach war eine Leiche.

      Den Propst mit einem Zornblick streifend, verließ der Kaplan die Zelle.

      Lange stand Herr Friedrich und betrachtete schweigend den Entschlafenen. Er wollte ihm die Augen zudrücken. Als er das kalte Gesicht berührte, zog er erschrocken die Hand zurück. »Schließ ihm die Lider!« befahl er dem Medikus und ging in Hast davon. Draußen schüttelte ihn das Grauen des Todes, den er gesehen und gefühlt. Wie ein Fliehender eilte er an der langen Mauer hin. Immer hörte er noch die Stimme des Fiebernden. Und hörte dazu den Klang einer anderen Stimme, die vor Tagen in verschlossener Stube zu ihm gesprochen: »Es könnte sein, Herr Friedrich, daß es von allem Glauben der beste ist, an Menschen zu glauben – von allem Glück das reinste, zu leben und zu sterben für Menschen, die man liebt.«

      Der Weg des Propstes ging an einer Treppe vorüber, die hinunter zu den Kellern führte. Herr Friedrich starrte in das Dunkel dort unten, spähte scheu nach allen Türen des Korridors, nahm hastig eine der kleinen Wachslampen von der Wand und stieg über die Treppe hinunter. Er kam durch finstere Gänge und durch Gewölbe, in deren Luft sich Modergeruch mit dem Duft des lagernden Weines mischte. Da leuchtete ihm ein roter Flackerschein entgegen, und als er um eine Ecke des Kellerganges bog, sah er ein Feuer brennen. Die flammenden Scheite lagen dicht bei einer Mauer, an der sich eine frisch gemörtelte Stelle erkennen ließ. In Mannshöhe, gleich einem versperrten Guckloch war an der Mauer ein eisernes Türlein zu sehen, mit schwerem Hängeschloß versichert. Bruder Eligius, der Schlächter, hockte neben dem Feuer auf der Erde. Steif erhob er sich, als er den Fürsten sah, der in zorniger Erregung fragte: »Wer befahl dir, dieses Feuer zu schüren?«

      »Herr Wernher.«

      »Um die Marter des Unglücklichen zu mehren?«

      »Das weiß ich nit. Daß ich es tun muß, ist die ander Hälft meiner Straf. Meine Kälber sind aus dem Stall gebrochen. Drum haben sie mich in den Block gelegt. Jetzt muß ich hier wachen die ganzen Nacht.« Eligius spähte durch den Kellergang und dämpfte die Stimme. »Ich schür nur ein lindes Feuer. Nit mehr, als daß sich die Wand ein lützel wärmet. Das muß ihm Wohltat sein. Der Winterfrost geht hart durch alle Mauern.«

      »Nur ein lindes Feuer? Wurde dir anderes befohlen?«

      »Ich weiß nit«, erwiderte der Bruder scheu, »ich mach es halt, wie ich den Auftrag verstanden hab.«

      Schweigend stand Herr Friedrich und starrte die Mauer an. Dann fragte er leis: »Hörst du ihn klagen?«

      Eligius schüttelte den Kopf. »Allweil ist’s still da drinnen. Nur gestern am Abend, wie der Bruder Küchenwart durch das eiserne Türl die Schüssel hineingeschoben hat, da hab ich in der Mauer ein Lachen gehört. Das ist mir durch die Seel gegangen wie ein Messer.«

      »Ein Lachen?« Der Propst bewegte die Schultern, wie von Frost geschüttelt. Plötzlich raffte er eines von den Scheiten auf und schlug mit dem Holz an die Mauer. »Immhof!« Keine Antwort. »Immhof!« Wieder schlug der Propst mit dem Scheit an die Steine. »Lebst du noch?« Kein Laut in der Mauer. Herr Friedrich warf das Holz zu Boden preßte seine Wange an die Steine und schrie: »Die Angst eines Freundes ruft. Wenn du noch lebst, gib Antwort aus deiner Nacht!«

      Da quoll es aus der Mauer, kaum noch verständlich: »Nacht ist, wo ihr seid. Bei mir ist Licht und Sonne. Bei mir ist Mai.« Die Stimme erlosch wie das Gemurmel eines Träumenden.

      »Das ist Irrsinn!« stammelte Herr Friedrich; sein Gesicht war weiß. »Eligius! Guter Bruder, sei barmherzig! Zerschlage das Feuer! Ende die Qual dieses Ärmsten, laß ihn erfrieren! Sterben ist Wohltat für ihn.« Als Eligius diesem Wort gehorchen und das Feuer löschen wollte, umklammerte Herr Friedrich seinen Arm und riß ihn zurück. »Nein! Sei barmherzig und halte die Mauern warm! Erfrieren, langsam erstarren, das muß ein entsetzliches Sterben sein.«

      »Was soll ich tun, Herr?«

      »Ich weiß nicht. Tu, was dir befohlen ist!« Mit den Händen über den Ohren, eilte der Propst davon, gejagt vom Grauen dieses Ortes. Er hatte die Leuchte vergessen und verirrte sich in den finsteren Gewölben. Er wollte rufen und brachte keinen Laut aus der Kehle. Abergläubische Furcht befiel ihn. Während er sich mit der einen Hand an den feuchten Mauern hintastete, bekreuzte er mit der anderen das Gesicht. Endlich leitete ihn ein matter Schein. Er kam zur Treppe. Keuchend sprang er die Stufen hinauf.

      Als er den Korridor erreichte, hörte er die Stimmen der Brüder, die bei der Leiche des alten Scharsach die Gebete sprachen. Er eilte weiter und erreichte in Schweiß gebadet seine Stube. Kein Schlummer kam über seine Augen, die ganze lange Nacht. Es mußten alle Kerzen brennen. Frierend saß er in seinem Lehnstuhl und schaukelte bis zum Morgen den weißen Falken.

      Der Winter blieb so streng, wie er begonnen hatte. Blauer Himmel mit glitzerndem Frost. Dann wieder Sturm. Und neuer Schnee fiel über den alten.

      Still vergingen im Gotteslehen die weißen Tage, einer wie der andere.

      War die Arbeit in den Ställen getan, dann saßen die Gesindleute beim Hauswirt in der Herdstube. Während sie in Gegenwart der Blinden fröhlich miteinander schwatzten, muntere Lieder sangen und lustige Märchen erzählten, banden sie die Speerklingen an die Schäfte, härteten am Feuer die Spannfedern für die Armbrusten, befiederten die Bolzen, machten die in der Hausschmiede gehämmerten Schwerter blank und benähten die ledernen Spenzer mit Eisenblech.

      Jutta, die neben dem Herde saß, flocht ihre Blumen oder spann. Sie war wunderlich still geworden. Auf das Geplauder der Gesindleute schien sie nicht zu hören, schien auf kein Geräusch zu achten. Was in der Stube auch geschah, sie stellte nie eine Frage. Oft ließ sie durch Stunden die sonst so fleißigen Hände ruhen und blickte mit großen unbeweglichen Augen ins Leere. Oder sie streichelte unter leisem Lächeln immer die Stirn der weißen Hündin, die ihren Kopf im Schoß der Blinden hatte. Zenta durfte nicht von ihrer Seite weichen. Jutta wurde unruhig, wenn sie die Nähe des Tieres nicht fühlte. Immer rief sie gleich: »Weiße, wo bist du?« Kam Zenta gesprungen und schmiegte sich an die Blinde, dann fand auch Jutta ihr ruhiges Lächeln wieder. Das Tier war mehr für sie als nur ein treu ergebenes Geschöpf, es war für sie eine Freundin, mit der sie ein Geheimnis teilte, eine träumende Erinnerung.

      So still sie auch geworden, die Freude am Lied war ihr geblieben. Kaum eine Stunde verging, in der sie nicht eines von ihren Liedern sang, am häufigsten das Maienlied.

      Die Gesindleute schwatzten oft von dem Wandel, der über das Hauskind gekommen war. Und der Altsenn sagte einmal: »Ihr Herzl ist lebig worden. Ich mein, sie hat den Reinold gern.«

      Die Helgard fuhr auf wie eine Natter. »Das ist gelogen!«

      Einer der Jungsennen lachte dazu. »Dir möcht’s taugen, wenn der Klosterstieglitz nach einer anderen ausschauen tät! Der schaut halt lieber nach einem weißen Gesicht! als nach Rosmucken.« Sommersprossen

      Im Zorn hätte Helgard den Waschklöppel, den sie gerade in der Hand hielt, dem Spötter ins Gesicht geschlagen. Ruglind sprang dazwischen. »Wollt ihr euch die Köpf blutig schlagen? Im Streit um die Lieb? Ihr Narren! Lieb ist Elend und ist keinen Streich nit wert.«

      Von

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