Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen
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Als sie aufstand, um in der Küche einen Schluck Wasser zu trinken, wurde ihr klar, die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Sie hatte ihre Karriere für einen Mann aufgegeben, der sie nicht liebte. Zumindest nicht so sehr wie sie ihn. Wie hatte sie nur die Liebe ihrem erfolgreichen Berufsleben vorziehen können? Daniel und sie kannten sich viel zu kurz, als dass sie ihm hätte vertrauen dürfen. Sie musste nicht bei Sinnen gewesen sein. Ihr Burnout. Nur ihr Zusammenbruch war schuld daran. Ohne ihn hätte sie Daniel niemals kennengelernt.
Nur, weil mein Körper mich im Stich gelassen hat, sagte sie sich voller Wut gegen sich selbst.
Im nächsten Moment jedoch flammten der Ehrgeiz, ihr eiserner Wille, ihren Körper zu bezwingen, in ihr wieder auf. Lieber den Kampf gegen sich selbst austragen als gegen eine andere Frau, die den Mann begehrt, den ich liebe, dachte sie. Auf Daniel würde sie bei dem Kampf um ihre Liebe nicht zählen können, wie sie gerade gesehen hatte. Er pendelte offensichtlich zwischen ihr, der reizvollen neuen, und seiner vertrauten alten Liebe.
Nicoles neues Leben, ihre gerade neu geborene Welt im Ruhweiler Tal war eingestürzt, dem Boden gleichgemacht worden. Ein verbrannter Boden, auf dem sie nicht mehr länger bleiben wollte. Das Gift der Eifersucht und das vermeintliche Wissen darum, ihre tiefsten Gefühle an einen Mann vergeudet zu haben, der neben ihr noch eine andere Frau liebte, hatten ihre Augen für die Schönheiten der Natur blind werden lassen, ihre Ohren taub für den Gesang der Nachtigall, alle Sinne abgetötet.
Ihre Abreise am Spätnachmittag glich einer Flucht in ihr altes Leben zurück. Doch bevor sie aus Ruhweiler abfuhr, verfasste sie noch zwei Briefe mit gleichem Inhalt.
*
»Schwester Gertrud, ist mein Mann zu sprechen?« Atemlos betrat Ulrike die Praxis.
Sie wirkte derart aufgeregt, dass die altgediente Sprechstundenhilfe, die sonst nichts aus der Ruhe bringen konnte, die Hände vor der Brust zusammenschlug und fragte: »Um Himmels willen, was ist passiert?«
Die Landarztfrau holte tief Luft, brachte ein beruhigendes Lächeln zustande. »Hat er gerade einen Patienten?«
Gertrud nickte.
»Wie lange wird es dauern?«
»Ich weiß nicht. Soll ich ihn aus der Sprechstunde holen?«
»Nein.« Ulrike zögerte.
Ihr Puls raste. Sie musste Matthias sprechen. Unbedingt. Wie immer, wenn ihr etwas widerfahren war, was sie außer Fassung brachte. Sie brauchte seine beruhigende Art, seinen klaren Kopf.
Als hätte ihr Mann ihr Bedürfnis gespürt, öffnete sich in diesem Moment die Sprechzimmertür. Der Landdoktor begleitete seinen Patienten hinaus auf den Gang. Er machte große Augen, als er seine Frau vor der Rezeption stehen sah. Zu lange kannte er sie, um nicht zu ahnen, dass etwas geschehen sein musste, was sie aus der Fassung gebracht hatte.
»Wie sieht’s im Wartezimmer aus?«, wandte er sich an Schwester Gertrud.
»Dort herrscht eine rege Diskussion über die bevorstehenden Gemeindewahlen«, erwiderte die ältere Frau. »Ich schlage vor, Sie widmen sich zuerst einmal dieser Patientin hier.« Zwinkernd zeigte sie auf Ulrike, welche ihr einen dankbaren Blick zuwarf.
»Was ist los?«, fragte Matthias, nachdem er die Sprechzimmertür hinter ihnen geschlossen hatte.
»Nicole hat sich von mir verabschiedet. Ich soll dich herzlich grüßen, und sie bittet uns um Verzeihung.«
Ungläubig sah er sie an. Dann schüttelte er mit verständnisloser Miene den Kopf. »Das Ganze bitte noch einmal langsam und der Reihe nach.«
»Hier, lies.« Sie reichte ihm den Brief, den Nicole ihr beim Abschied in die Hand gedrückt hatte.
Matthias faltete den Bogen auseinander und las laut vor: »Leider habe ich die falsche Entscheidung getroffen, als ich mich gegen meine Tanzkarriere entschieden habe. Es ist jedoch noch früh genug, diese rückgängig zu machen. Ich will weiterhin für meinen Beruf leben. Ein anderes Leben, ein Familienleben, kann ich mir nicht vorstellen. Zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt.
Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Gastfreundschaft, Ihr Bemühen, mir zu helfen, aber es gibt Menschen, denen ist nicht zu helfen. Zu denen mag ich auch gehören.
Ich wünsche Ihnen alles Gute und beneide Sie um Ihr Glück. Nicole«
»Ich kann das gar nicht glauben«, sagte Ulrike aufgeregt. »Das ist doch Wahnsinn. Wie kann sie jetzt schon wieder tanzen wollen? Sie ist doch noch gar nicht wieder gesund.«
Matthias ließ sich in den Sessel sinken. Seine Frau setzte sich auf dessen Lehne und legte den Arm um seine Schultern. Sie brauchte jetzt seine Wärme, die sie stets als tröstend empfand, wenn sie so durcheinander war wie jetzt.
»Was hat Nicole denn gesagt, als sie sich von dir verabschiedet hat?«, fragte Matthias.
»Das, was ich dir gerade erzählt habe. Dann hat sie mir den Brief in die Hand gedrückt mit den Worten, da würde alles drinnenstehen. Sie hat mich umarmt und weg war sie. Ich sah nur noch die Staubwolke ihres Wagens.«
»Das klingt ja fast nach einer Flucht.«
»So kam es mir auch vor.«
»Vielleicht hatte sie Angst, ich würde ihr ihren Plan weiterzutanzen auszureden versuchen.« Matthias lachte hart auf. »Was ich ja auch getan hätte. Sie ist verrückt, wenn sie sich in ein paar Tagen wieder auf die Bühne stellt. Das kann nur im Fiasko enden.«
Ulrike rutschte von der Lehne. »Wir müssen Thorsten informieren. Vielleicht kann er auf Nicole einwirken.«
Ihr Mann schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ich habe fast den Eindruck, Nicole wird getrieben von einer Sucht. Oder sie hat etwas erlebt, das sie kopflos gemacht und aus Ruhweiler fortgetrieben hat.«
»Daniel?« Ulrike sah ihn an.
Matthias hob die Schultern. »Ich habe Daniel gestern noch im Ort getroffen. Er machte einen sehr glücklichen Eindruck. Und Nicole eigentlich auch, als sie hier in der Praxis war. Ganz stolz hat sie mir den Ring gezeigt, den er ihr geschenkt hat.«
Ulrike fuhr sich mit allen zehn Fingern durch die blonden Locken. Dann legte sie den Kopf in den Nacken und stieß die Luft scharf aus.
»Puh«, murmelte sie. »Ich bin ziemlich geschockt. Das kannst du mir glauben. Dass sie auch Daniel einfach so aufgegeben hat. Wie mag er sich jetzt fühlen?«
Diese Frage bekam sie ein paar Lidschläge später beantwortet. Es klopfte an der Tür und Schwester Gertrud schob ihren grauen Kopf herein.
»Herr Geißle besteht darauf, Sie zu sprechen«, sagte sie mit ihrer tief klingenden Stimme zu ihrem Chef. »Obwohl ich ihm eindeutig gesagt habe, dass hier alles der Reihe nach geht, will er nicht warten. Er sagt, es wäre ein Notfall.«
»Das ist es auch, Gertrud«, erwiderte der Landarzt mit mattem Lächeln. »Schicken Sie ihn rein.«
»Aber …« Empörung wollte sich auf dem rotwangigen Gesicht der resoluten Helferin kundtun, die von den Patienten als ›Praxisdrache‹ bezeichnet wurde. Doch Matthias machte mit einer einzigen Geste einer beginnenden Diskussion ein