Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen
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»Es kommt mir fast vor wie eine Fügung des Schicksals, dass du die letzte Karte an der Abendkasse bekommen hast«, sagte Ulrike Brunner mit ihrem warmherzigen Lächeln zu ihm.
»Wo sitzt du?«, fragte ihr Mann.
»In der hintersten Reihe. Was auch besser so ist«, fügte er mit schiefem Lächeln hinzu. »So komme ich wenigstens nicht in Versuchung, Nicole von der Bühne zu zerren und zu entführen.«
Die beiden lachten, aber auch nicht so herzlich, wie man es sonst von ihnen kannte. Der Landarzt machte sich Sorgen um seine Patientin, das sah man ihm an.
»Wir sitzen in der ersten Reihe«, sagte Ulrike Brunner.
»Genau richtig, um als Arzt sofort eingreifen zu können«, meinte ihr Mann in ironischem Ton.
Seine Frau stupste ihn in die Seite. »Nun male aber nicht den Teufel an die Wand.«
»Wie kann sie nur«, murmelte der Landarzt. »Ich kann es immer noch nicht glauben, dass jemand so unverantwortlich mit seinem Körper umgeht.«
Die Glocke erklang, das Zeichen für die Zuschauer, ihre Plätze aufzusuchen.
Ulrike legte Daniel die Hand auf den Arm. »Wir sehen uns gleich in der Pause hier wieder. Okay?« Aufmunternd nickte sie ihm zu.
Dann tauchte das Arztehepaar in dem Menschenstrom unter, der sich auf die Doppeltüren zubewegte.
*
Nicole fror, trotz der dicken weißen Jacke, die sie über ihrem Kostüm trug. Sie saß in ihrer Kabine hinter der Bühne. Die Uhr tickte. Wie eine Bombe, so kam es ihr vor. Ihr erster Auftritt nach ihrem Zusammenbruch. Und sie fühlte sich schlechter denn je. Besser gesagt, sie fühlte gar nichts mehr. Schmerzmittel hatten alle Empfindungen in ihr lahmgelegt. Nur ihr Kopf funktionierte noch. Und dieser fragte sie ständig, warum sie sich das alles in den beiden vergangenen Wochen angetan hatte.
Weil ich für eine Liebesbeziehung nicht geschaffen bin, sagte sie sich zum wiederholten Mal. Ihre Reaktion auf die Szene zwischen Daniel und Katja im Sportgeschäft hatte sie das gelehrt. Eifersucht hatte ihre Seele gemartert, der Verlust des geliebten Mannes ihr Herz in Stücke gerissen. Wenn die Liebe so wehtat, wollte sie lieber ohne sie leben.
Draußen im Saal saßen die Zuschauer. Das Orchester stimmte sich ein. Die leisen Töne drangen in ihren kleinen Raum. Dort draußen würden auch Dr. Brunner und seine Frau sitzen. Oder doch nicht? Die beiden einzigen Menschen, die ihr nicht fremd waren. Alle anderen Besucher verschmolzen für sie zu einer dunklen Masse. Menschen, die wegen ihres tänzerischen Könnens und der Musik gekommen waren, die aber an ihrer Person keinerlei Interesse hatten. So wie Daniel. Katja war ihm wichtiger gewesen und sie für ihn nur eine Freizeitbeschäftigung.
Im Spiegel sah sie, wie sich ihre Augen wieder mit Tränen füllten. Nein, nur nicht weinen. Sie war schon geschminkt.
Die Tür öffnete sich.
»Bist du bereit?«, fragte ihr Tanzkollege mit aufmunterndem Nicken.
Sie nickte und stand auf.
*
Die Musiker saßen bereits auf ihren Plätzen und spielten sich leise ein. Dezentes Gemurmel erfüllte den riesigen Saal, das Rascheln von Abendroben, dann verstummte jedes Geräusch. Der Dirigent erschien, verbeugte sich vor dem Publikum, hob den Taktstock, Musik erklang. Tschaikowskys Schwanensee.
Matthias und Ulrike konnten kaum den Akt erwarten, in dem Nicole die Bühne betreten würde. Und als die Primaballerina schließlich erschien, hielten beide zur gleichen Zeit den Atem an. Ulrike griff nach der Hand ihres Mannes.
»Sie tanzt die passende Rolle, den sterbenden Schwan«, flüsterte sie ihm zutiefst betroffen in ihrer direkten Art zu.
*
Tatsächlich wirkte Nicole nur noch wie ein Schatten ihrer selbst. Um noch einige Kilos leichter als zuvor, fast durchsichtig schwebte sie über die Bühne.
Matthias schluckte. Er schwankte zwischen größter Besorgnis und Zorn.
»Wenn du mich fragst, gehört sie ins Krankenbett und nicht auf diese Bühne«, raunte er zurück.
Er musste an Daniel denken, der viele Reihen hinter ihnen saß. Wie mochte er Nicoles zerbrechliche Erscheinung empfinden? Wenn ihr Gesicht im Scheinwerferkegel zu sehen war, konnte man die dunklen Schatten unter ihren Augen erkennen, trotz der Schminke. In dem schmalen Gesicht wirkten ihre Augen noch größer, ihre Wangenknochen traten spitz hervor, der Zug von Leid um ihren Mund rührte an sein Herz. Wenn dieser auch zu ihrer Rolle gehörte, so ahnte er auch, dass Nicole tatsächlich litt. Ganz sicherlich unter körperlichen Schmerzen, aber da musste noch etwas anderes sein, was sie unglücklich machte. Im Publikum war es so still, dass man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können.
Dann passierte es. Wie der dünne Stil einer zarten Blüte im Wind bog sich Nicole zur Seite. Und in der Sekunde, als noch alle davon ausgingen, diese Bewegung würde zur Rolle gehören, verlor sie das Gleichgewicht und fiel hin. Sie blieb liegen, zu ungraziös, als dass man weiterhin hätte davon ausgehen können, dass diese Figur zur Choreografie gehört hätte. Das Orchester spielte ein paar Lidschläge lang weiter. Die anderen Tänzer auf der Bühne verharrten in ihren Bewegungen. Alle hielten den Atem an. Dann wurde Gemurmel laut. Nicoles Tanzpartner löste sich vom Rand der Bühne und lief auf Nicole zu. Da stand auch schon Matthias auf. Von der ersten Reihe waren es nur wenige Schritte bis zu der offensichtlich Ohnmächtigen. Die Musik hörte auf.
Jemand rief: »Vorhang zu!«
Matthias kniete sich neben Nicole. »Ich bin Arzt«, sagte er zu den Künstlern, die im Bogen um ihn und seine Patientin herum standen. »Holen Sie die Sanitäter von draußen. Sie braucht Sauerstoff und Flüssigkeit.«
Nicoles Gesicht hatte eine gräuliche Farbe. Ihre Haut fühlte sich kalt an, Schweiß stand ihr auf der Stirn. Ihr Herzschlag ging schnell und flach. Sie hatte das Bewusstsein verloren. Ihr Pulsschlag war nur noch leicht zu spüren. Dann verlor er ihn ganz. Nicole hörte auf zu atmen. Sofort begann er mit der Wiederbelebung. Dafür legte er seine Handflächen auf Nicoles Brust, die sich so mager anfühlte, als könnte sie unter den kräftigen Stößen brechen. Er verschränkte die Hände und fing an zu massieren.
Nach vorn beugen, entspannen, wiederholte er. Nach vorn beugen, entspannen. Sein Gesicht rötete sich, er begann zu schwitzen.
Komm zurück, sagten seine Hände. Komm zurück.
Und dann spürte er Nicoles Atem wieder. Da kamen auch schon der Notarzt und die Sanitäter mit der Trage angelaufen. Sie legten die junge Frau, die nun das Bewusstsein wiedererlangt hatte, darauf, der Notarzt untersuchte sie und nickte Matthias zu.
»Gut gemacht. Wir bringen sie nach draußen in den Rettungswagen.«
»Ich gehe mit.«
Sein Kollege hob die Brauen.
»Brunner. Dr. Brunner. Ich bin Arzt. Und ich kenne Frau Konzack sehr gut.«