Die Ökonomie der Hexerei. David Signer
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Der Hauptteil des vorliegenden Buches, die „Expeditionen mit Zauberern“, ist empirischem Rohmaterial gewidmet. Zuerst gebe ich einen Bericht wieder, den ich anlässlich meiner ersten persönlichen Begegnung mit Féticheuren verfasste. Ich hatte Letztere als Klient aufgesucht (das kann man, wie gesagt, auch ohne spezifisches Problem, etwa so, wie man hier zu einem Wahrsager geht; es ist dann an ihm, das Problem zu finden.) Das gibt einem gute Einblicke, hat aber den „Nachteil“, dass man persönlich involviert wird (etwa so, wie wenn sich ein Afrikaner, der den europäischen Psychoboom untersucht, einer Urschrei-Therapie unterzieht. Die schöne Dialektik von Eigenem und Fremdem kann dann ziemlich tumultös werden). Auch „Verwirrung als Erkenntnismittel“ handelt von Verstrickungen, um die man in einer längeren Feldforschung nicht herumkommt. Der Text ist ein Versuch, die eigene Verdunkelung für Aufklärungszwecke fruchtbar zu machen, sich ins äußere und innere Chaos zu begeben, um zu einer neuen Ordnung zu gelangen.
„In Coulibalys Welt“ porträtiert den Bambara-Féticheur Tiegnouma Coulibaly. Das Kapitel beschreibt vor allem auch die Reise in sein Heimatdorf in Mali, die ich mit ihm unternahm und die mir einige der familiären Probleme vor Augen führte, mit denen jemand konfrontiert ist, der einen Aufstieg geschafft hat, und nun einer Art verwandtschaftlicher Erpressung ausgesetzt ist: Entweder du gibst, oder du wirst verhext.
Das Kapitel „Baba, die Familie und das Wort“ behandelt eine ähnliche Problematik. Auch mit dem Bwaba-Griot Baba Diarrasouba unternahm ich eine lange Reise in sein Dorf, zu seinem Vater. Wie schon mit Coulibaly besuchten wir auch hier zahlreiche Heiler, und Baba, als Griot ein professioneller Vermittler, war für mich dabei ein unschätzbarer „Passepartout“. Aber auch für ihn war das Wiedersehen mit all den frères und sœurs nicht nur eitel Freude. Wehe, jemand hatte das Gefühl, beim großen Geschenkeverteilen übergangen worden zu sein! In der Nacht gehen die Hexen um, vor allem auf dem Dorf (sagen die Städter). Wir jedenfalls verbrachten keine einzige Nacht in Koumbara ...
Das Kapitel „Clémentines Geister“ zeichnet das Bild einer Féticheuse in der Millionenstadt Abidjan. Als Abouré-Frau gehört Clémentine Roger zur Akan-Kultur aus den Wäldern des südlichen Ghana. Damit vertritt sie auch in ihren Behandlungen einen andern Stil als die Leute aus dem Umfeld Coulibalys und Babas, die aus der Savanne im Norden kommen. Clémentine ist eine gebildete, städtische Kleinbürgerin mit Brille (tagsüber). In der Nacht, wenn sie konsultiert, ersetzt sie den Rock durch einen gelb-weißen pagne (das sind die Farben, die ihre Geister mögen). Ihre Brille legt sie ab, denn ihr Blick ist sowieso auf eine innere Ferne gerichtet, wenn sie sich das Gesicht mit Kaolin eingeschmiert hat, die Kalebasse mit dem Wasser vor ihrem Gesicht schwenkt und langsam in Trance fällt, bis der Flussgeist mit einer ganz unirdischen Stimme sich durch sie zu äußern beginnt. In solchen Séancen wird anschaulich, was die Afrikaner und Afrikanerinnen meinen, wenn sie so häufig davon sprechen, dass es neben der Tagwelt noch eine andere Ebene, eine surréalité gebe, die unsichtbar, aber an ihren Spuren auch am Morgen noch erkennbar sei, wie ein nächtlicher Föhnsturm. Für den, der Augen hat zu sehen.
In „Wahn-, Warn- und Wahrträume“ geht es vor allem um die Reisen, die ich mit Coulibaly zu Heilern in Guinea unternommen habe (ein Land, das oft als Hochburg der Féticheure bezeichnet wird, insbesondere auch, wenn es darum geht, sich gegen jemanden zu schützen, wie der Klient sagen würde; jemandem Schaden zuzufügen, wie das betroffene Opfer sagen würde). Viel Platz nehmen dabei die Schilderungen und Deutungen von Träumen ein, denen die Féticheure eine große Wichtigkeit beimessen (weil sie auch Einblicke in jene „andere Welt“ geben, in das verschlossene Studio gewissermaßen, wo der Film gedreht wird, den wir dann am Tag zu sehen bekommen und für real halten).
Das Kapitel „Initiation in die Kunst des Heilens und Krankmachens“ schildert schließlich, wie ich von Coulibaly eingeweiht wurde. Aus dieser „Innenperspektive“ werfe ich nochmals einen Blick auf die Funktion des Féticheurs als Heilers, beziehungsweise auf die Frage: Wie kann eine Therapie, die auf für uns extrem unwahrscheinlichen Annahmen basiert, Erfolg haben? Die Verfolgung dieser Frage geschieht mit Seitenblicken auf die Klinik „Fann“ in Dakar, wo mit modernen psychiatrischen Methoden gearbeitet wird, aber unter Berücksichtigung des traditionellen Krankheitsverständnisses. Möglicherweise ist ein Féticheur von der Art Coulibalys, der nie eine Schule besucht hat und den Kugelschreiber nur für seine Geheimschrift braucht, angesehener beim Durchschnittsafrikaner als der Psychiatrieprofessor mit seinen Diplomen und der Krawatte – und infolge dessen erfolgreicher, nicht nur was den Kundenandrang betrifft, sondern auch die (subjektiven) Heilresultate. Aber mit jedem Heilerfolg hat er die Vorstellungen von Hexerei und Geisterunwesen auch wieder bestätigt und perpetuiert.
Das Kapitel „Tropischer Hyperhumanismus“ schließlich kreist um das, was man den kulturellen „Humus“ des Hexereikonzepts nennen könnte: die extreme Ausrichtung auf den andern als Quelle des Glücks wie des Unglücks, die Personalisierung des Universums; man könnte auch sagen „Humanisierung“, sofern man berücksichtigt, dass damit das Leben der Afrikaner im Vergleich zu den „Weißen“ nicht nur ein Mehr an Nähe und Kommunikation aufweist, sondern auch an Personifizierung von Üblem, das „wir“ nicht unbedingt einer konkreten Einzelperson zuschreiben würden.
Seltsame Zugänge
Natürlich könnte man sich fragen, ob mit dem hier propagierten und praktizierten Zugang (der Forscher als Klient und damit zugleich Forschungssubjekt und -objekt) noch Distanz und Objektivität möglich seien. Nun, um es kurz zu machen: Man hat meist gar keine andere Wahl. Denn über das System, um das es hier geht, redet der Heiler im Allgemeinen nicht. Man redet im System – oder gar nicht. Natürlich kann man immer über irgendwelche Praktiken reden („muss man vier oder fünf Kaurischnecken vergraben“ usw.), und das war ja auch die Hauptbeschäftigung der konventionellen Ethnologie. Bloß: Ist das wichtig? Was Favret-Saada über das Hainland sagt, gilt auch für Afrika: Entzauberungsrituale zeichnen sich durch ihre Dürftigkeit und Zufälligkeit aus. „Ob dieses oder jenes Ritual angewandt wird, tut wenig zur Sache.“1 Dass der Heiler so tut, als sei es wichtig, gehört zur Funktionsweise des Systems. Hingegen haben die ausgesprochenen Worte ihre genau definierte Funktion. Das Wort im Zusammenhang der Zauberei ist Macht, nicht Information. Und deshalb kann ein Heiler auch nicht „Informant“ sein.
„Wenn in der Zauberei gesprochen wird, dann niemals, um zu informieren. Und wenn man informiert, dann nur, damit derjenige, der töten soll (der Zauberbanner), weiß, wo er zuschlagen muss. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes undenkbar, einen Ethnographen zu informieren, das heißt jemanden, der versichert, von diesen Informationen keinen Gebrauch machen zu wollen, der ganz naiv etwas wissen will, nur um es zu wissen.“2
Schlussfolgerung: Der Hexenglaube lässt sich nicht untersuchen, „wenn man nicht bereit ist, in den Situationen, in denen er sich äußert, und in der Rede, die ihn zum Ausdruck bringt, mit eingeschlossen zu werden.“3
Das heißt, es gibt also eigentlich nur zwei fruchtbare Positionen für den Ethnologen: Man beginnt als Kunde und endet als Lehrling oder Assistent (sowohl Coulibaly wie Clémentine drängten mich erst in die eine und dann in die andere Rolle).
Nochmals Favret-Saada (die ebenfalls als „Assistentin“ ihrer Informantin