Die Ökonomie der Hexerei. David Signer
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Diese involvierte Position impliziert ein paar Abweichungen vom ethnologischen Methodenhandbuch:
Die Verifizierung des Gesagten durch Dritte (durch unparteiische Zeugen) ist absurd, weil das Geschehen per definitionem außerhalb der Interaktion zwischen Kunde und Heiler (und „Hexer“) keine „objektive“ Realität besitzt, respektive sich erst im Behandlungszimmer konstituiert. Noch absurder wäre es, die Rede des „Verhexten“ mit jener der „Hexe“ vergleichen zu wollen. Im Prinzip ist überhaupt „Beobachtung“ (Distanz, Position der Exteriorität) von allem, was mit Hexerei und Antihexerei zu tun hat, ein Widerspruch in sich selbst. Man kommt nicht um „Partizipation“ (auch innere Partizipation, und das heißt zumindest vorübergehende Identifizierung mit dem System) und Subjektivierung (wo, wenn nicht an sich selber, erkennt man, „wie es geht“?) herum. Das schließt Theoretisierung nicht aus. Die wesentliche Rolle von Verteilen-Müssen, Verhext-Werden und Opfern ist mir erst klar geworden, als ich sie am eigenen Leib (will sagen als Klient) erfahren habe. (Ich begab mich damit den Heilern gegenüber in eine Position, die derjenigen der Heiler gegenüber ihren Verwandten auf dem Dorf glich).
„Man sieht“, schreibt Favret-Saada5, „dass es sich nicht genau um die klassische Situation eines Informationsaustauschs handelt, in der der Ethnograph hoffen könnte, dass ihm ein unschuldiges Wissen über die Vorstellungen und Praktiken des Hexenglaubens mitgeteilt wird. Denn wem es gelingt, sie kennen zu lernen, erwirbt eine Macht und hat die Folgen dieser Macht zu tragen: je mehr er weiß, desto bedrohlicher ist er und desto stärker ist er magisch bedroht.“
Das heißt, man geht durchaus eine Art von faustischem Pakt ein. Man verkauft seine Seele (lässt sich bis ins Innerste affizieren) und hofft dafür auf Wissen und vor allem, dass man irgendwann, im letzten Moment, den Kopf aus der Schlinge ziehen und ungeschoren zurück ins Studierzimmer flüchten kann.
Ich konnte in der Elfenbeinküste so sehr „klarstellen“ wie ich wollte; sobald sich irgendwo herumgesprochen hatte, worüber ich forschte, wurde ich als sorcier blanc bezeichnet, und am Ende meiner Initiation gab mir Coulibaly ein Papier, eine Art „Diplom“, das wir beide unterschreiben mussten und in dem festgehalten war, was der Ethnologe alles getan hatte „pour apprendre la sorcellerie et le fétiche, pour se libérer toute la vie et pour aider à ses enfants et ses proches“ – „Um die Hexerei und den Fetischismus zu erlernen und den Kindern und seinen Nächsten zu helfen.“
Was steckt dahinter? Die Frage der Hexerei
Ein großer Teil der Literatur über Hexerei in Afrika, insbesondere der Sechziger- und Siebzigerjahre, behandelt vor allem die Frage, unter welchen Umständen Hexerei auftaucht und wie soziale Faktoren ihre spezifische Ausprägung determinieren. Diese Werke6 sind funktionalistisch in einem doppelten Sinn: Sie untersuchen die Funktion der Hexerei im gesellschaftlichen Ganzen einer spezifischen Kultur, sie fragen aber auch danach, inwiefern die Hexerei Funktion (im mathematischen Sinne) von andern Größen ist (insbesondere solchen, die als grundlegender betrachtet werden, wie die Produktionsweise oder die Verwandschaftsorganisation).7
Diese Befunde scheiterten jedoch häufig daran, dass sich das Phänomen Hexerei als ziemlich immun (oder eigensinnig) gegen äußere Einflüsse erweist. Das wurde insbesondere in Modernisierungs- und Urbanisierungsprozessen deutlich.
Heute lässt sich einerseits feststellen, dass Hexerei – zumindest in Afrika – ein Phänomen ist, das relativ ubiquitär, unabhängig von spezifischen Konstellationen, auftaucht8, dass es andererseits aber sehr wohl über gewisse gemeinsame Charakteristika verfügt und sich mit andern Kulturelementen verbindet und so ein System bildet, das man mit dem Begriff „Hexereikomplex“ umreißen könnte (um anzudeuten, dass sich die einzelne Teile gegenseitig stützen, ohne dass man in diesem Ganzen die Hexerei als bloßen Effekt etwa von ökonomischen Gegebenheiten beschreiben könnte).
Das Ziel der vorliegenden Studie besteht also darin, das Phänomen Hexerei in der Elfenbeinküste (und Nachbarländern) mit all seinen psychischen, sozialen, religiösen, politischen und ökonomischen Implikationen auszuleuchten und herauszuarbeiten, inwiefern sich aufgrund dieser Befunde ein „harter Kern“ von Vorstellungen und sozialen Praktiken umreißen lässt, dessen Vorkommen sich mehr oder weniger über die ganze Region erstreckt.
Wenn die Verbreitung dieser spezifisch afrikanischen Hexereivorstellungen relativ unabhängig von sozialen, kulturellen, ökologischen und politischen Unterschieden ist9, stellt sich die Frage, ob und wie sich ein solches Phänomen erklären oder verstehen lässt – ein Phänomen, das uns in vieler Hinsicht als irrational, dysfunktional, anachronistisch oder entwicklungshemmend erscheint.
Die Hypothese lautet, dass sich nicht nur ein solcher formulierbarer kleinster gemeinsamer Nenner finden lässt, sondern dass die Hexerei das Kernstück eines ganzen Ensembles von Vorstellungen und Praktiken ausmacht, die zusammengehören und jenes System bilden, das Marc Augé den „Geist des Heidentums“10 nennt.
Das Theorie-Kapitel „Die Ökonomie der Hexerei“ interpretiert den Hexereiglauben in diesem Kontext vor allem als Angst vor lebensgefährlichen Neidern. Wie schon angetönt, geht es um folgende Überlegung: Wenn man, um es einmal etwas salopp auszudrücken, jedes hungrige Maul in der Familie stopfen muss (und die afrikanischen Familien dehnen sich tendenziell ins Unendliche aus, also findet sich immer irgendwo ein „Cousin“ mit Hungerbauch), weil man sonst fürchten muss, vom Zukurzgekommenen verhext zu werden, kommt man eigentlich nie dazu, etwas auf die hohe Kante zu legen. (Wer anhäuft, macht sich geradezu verdächtig.) Wie soll man so akkumulieren, investieren, längerfristig anlegen, planen, aufbauen? Was bedeutet so ein Sozial- und Ökonomiesystem – die Hexerei ist aus dieser Perspektive vor allem ein wirtschaftlicher Mechanismus – für eine kapitalistische Entwicklung, für die Modernisierung, für den Einzelnen, der es „zu etwas bringen will“? Das scheinen mir ganz nahe liegende Fragen zu sein. Sie wurden mir jedoch zum Teil übel genommen, bezeichnenderweise vor allem von gebildeten, linken Weißen. Sie witterten Neokolonialismus oder eine Art kulturellen Neorassismus. Die Afrikaner haben weniger Mühe damit. Die meisten, vor allem die Jungen, möchten sowieso bloß weg. Für sie steht es außer Frage, dass man es in Afrika auf keinen grünen Zweig bringt (wenn man nicht schon drauf sitzt). „On te laisse pas grandir“ – „Man lässt dich nicht wachsen.“
Im Kapitel „Opfer und Gewalt“ geht um es die Frage, warum eigentlich ausgerechnet eine Opfergabe gegen Verhexung wirksam sein soll. Hält man sich vor Augen, dass das (potenzielle) Hexereiopfer vor allem jemand ist, der Neid auf sich zieht (weil er – relativ – viel hat und wenig gibt), so ist es nur logisch, dass sich die Situation beruhigt, wenn er gibt (das Opfer ist die Gabe par excellence, für niemanden und alle). Das Opfer hat daneben aber auch noch einen aggressiveren Aspekt, beispielsweise wenn einer Ziege alles Böse aufgeladen wird, bevor man ihr den Hals durchschneidet. Auch die Hexe hat diesen Aspekt des Sündenbocks, der für alles Übel stellvertretend den Kopf hinhalten muss. Anhand eines Hexereiverdachts in einem Dorf an der liberianischen Grenze wird gezeigt, wie infolge der Allgegenwart des Neides (der geradezu die Normalform des Wunsches zu sein scheint) sehr rasch praktisch jeder in den Ruf einer Hexe oder eines Hexers kommen kann. Tatsächlich zeichnen die Schilderungen von Eingeweihten (also von Leuten, die die Fähigkeit erworben haben, Hexen oder Geister zu „sehen“) das Bild einer gewissermaßen kannibalischen Gesellschaft, in der sich die Menschen unaufhörlich gegenseitig verletzen, krank machen, töten, verkaufen und „auffressen“. Der Sündenbock (als Opfer oder als Hexe) dient dazu, diese omnipräsente Gewalt zumindest einzugrenzen.
„Hexerei als Teil der afrikanischen Kultur“ folgt in den