Die bekanntesten Werke von Jack London. Джек Лондон
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Die Monate verstrichen. Die Fahrt des Grauen Biber ging immer weiter. Wolfsbluts Kräfte wuchsen durch die unaufhörliche Arbeit langer Stunden vor dem Schlitten, und es sah aus, als ob auch seine geistige Entwicklung zur Reife gekommen sei. Er kannte jetzt die Welt, in der er lebte, gründlich; es war eine öde, materialistische Welt. Ihm erschien sie rauh und roh und ohne Wärme, eine Welt, worin Liebkosungen und Zuneigung und die sanfteren Regungen des Gemüts nicht vorhanden waren.
Was er für den Grauen Biber fühlte, war keine Zuneigung. Der war sein Herr, aber ein rauher Herr. Wolfsblut erkannte gern seine Überlegenheit an, aber nur weil dieselbe sich auf höhere Klugheit und größere Stärke stützte. Es lag in Wolfsbluts Wesen etwas, das nach einem Herrn verlangte, sonst würde er nicht aus der Wildnis zurückgekommen sein, um sich einem Höhern zu unterwerfen. Es gab in seiner Natur Tiefen, die bis jetzt nie ergründet worden waren. Ein freundliches Wort, eine liebkosende Berührung hätte bis in diese Tiefen dringen können, aber der Graue Biber streichelte ihn nicht, noch sprach er freundliche Worte zu ihm. Das war nicht seine Weise. Seine Überlegenheit zeigte sich nur dadurch, daß er Gerechtigkeit mit einem Stock austeilte, Übertretungen durch einen Schlag züchtigte, aber das Verdienst wurde nicht durch Güte belohnt, sondern nur dadurch, daß er keinen Schlag bekam.
So wußte Wolfsblut nichts von dem, was die Hand eines Menschen für ihn Gutes enthalten konnte. Auch liebte er die Hände der Menschen nicht; sie waren ihm verdächtig. Zwar teilten sie manchmal Fleisch aus, doch öfters noch Pein und Schmerz. Es war besser, ihnen fernzubleiben. Mit ihnen wurden Steine geworfen, Knüttel und Peitschen geschwungen, Schläge und Püffe ausgeteilt, und wenn sie einen anrührten, so zwickten, knufften und kniffen sie. In den fremden Dörfern lernte er auch die Kinderhände kennen und erfuhr, wie grausam die sein können. Einmal wäre ihm fast ein Auge von einem Bürschchen, das kaum gehen konnte, ausgestoßen worden. Solche Erfahrungen machten ihn gegen alle Kinder mißtrauisch. Er mochte sie nicht leiden, und wenn sie mit den unheilverkündenden Händen ihm zu nahe kamen, so stand er auf und ging weg.
In einem Dorfe am Großen Sklavensee lernte er eine Abänderung des Gesetzes kennen, das ihm der Graue Biber eingebläut hatte, des Gesetzes, daß es ein unverzeihliches Verbrechen sei, einen Menschen zu beißen, indem er sich gegen ein ihm zugefügtes Unrecht empörte. In dem Dorfe ging Wolfsblut, wie es die Hunde zu tun pflegten, auf Raub aus. Ein Indianerknabe hieb gerade mit einem Beil gefrorenes Elchfleisch in kleine Stücke, und es flogen Bröckchen davon in den Schnee. Wolfsblut, der gerade vorbeischlich, blieb stehen und begann die Bröckchen zu verzehren. Da sah er, wie der Bursche das Beil niederlegte und einen derben Knüttel ergriff. Wolfsblut sprang zur Seite, als der Schlag ihn eben treffen sollte. Der Junge verfolgte ihn, und da Wolfsblut im Dorfe fremd war, so verirrte er sich zwischen zwei Wigwams und sah plötzlich einen hohen Erdwall vor sich. Hier war kein Entkommen. Der einzige Ausweg führte an den Wigwams vorbei, und den hütete der Knabe. Indem dieser den Knüttel hoch hielt, ging er auf das in die Enge getriebene Tier los. Wolfsblut war wütend. Sein Gerechtigkeitsgefühl war verletzt, und er kehrte sich zähnefletschend und mit gesträubtem Haar gegen den Knaben. Er wußte, daß alle Fleischabfälle den Hunden gehören, die sie fanden. Er hatte darum nichts Unrechtes getan, kein Gesetz verletzt, und doch wollte der Bursche ihn schlagen. Wolfsblut wußte kaum, was er tat, so schnell übermannte ihn die Wut, und es geschah alles so schnell, daß auch der Knabe erst zur Besinnung kam, als er sich im Schnee liegend fand, während die Hand, welche den Knüttel hielt, eine breite Wunde von Wolfsbluts Zähnen zeigte.
Aber Wolfsblut wußte, daß er das Gesetz übertreten hatte, indem er das geheiligte Fleisch eines Gottes mit den Zähnen zerrissen hatte; und eine schreckliche Strafe konnte seiner nur warten. Er lief zu dem Grauen Biber, hinter dem er sich verkroch, als der gebissene Knabe, von der ganzen Familie gefolgt, kam, um Rache zu verlangen. Der Graue Biber verteidigte Wolfsblut, dasselbe taten Mitsah und Klukutsch. Wolfsblut, der den Wortwechsel anhörte und die ärgerlichen Gebärden beobachtete, begriff, daß seine Handlungsweise gerechtfertigt wurde, und er lernte einsehen, daß es auch unter den Göttern einen Unterschied gab. Ob Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit in den Handlungen sei, das war einerlei! Von den eigenen Herren mußte man alles hinnehmen! Doch von den andern sich Ungerechtigkeiten gefallen zu lassen, dazu war man nicht verpflichtet. Da hatte man das Vorrecht, die Zähne zu gebrauchen, – so wollten es die Götter!
Ehe der Tag zu Ende ging, sollte Wolfsblut noch mehr über dies Gesetz erfahren. Als Mitsah im Walde Brennholz sammelte, traf er auf den gebissenen Jungen. Eine Menge Knaben waren bei ihm, und es kam zu heftigen Worten. Alle griffen Mitsah an, dem es übel erging, denn es regnete auf ihn Schläge von allen Seiten. Zuerst sah Wolfsblut zu. Es war eine Angelegenheit der Menschen und ging ihn nichts an. Als ihm jedoch klar wurde, daß Mitsah, einer seiner Herren, mißhandelt wurde, da ließ ihn zwar kein bewußter Trieb handeln, aber von wildem Zorn getrieben, sprang er unter die Kämpfenden. Fünf Minuten später flohen die Knaben nach allen Richtungen, und der Schnee färbte sich mit ihrem Blut zum Zeichen, daß Wolfsbluts Zähne bei einigen nicht müßig gewesen waren. Als Mitsah das Erlebnis den Seinen im Lager erzählte, ließ der Graue Biber Wolfsblut Fleisch, und sogar sehr viel Fleisch geben, und dieser lag darauf vollgestopft und schläfrig vor dem Feuer und wußte, daß er recht getan hatte.
Durch solche Erfahrungen begriff er das Gesetz vom Eigentum und die Pflicht, dasselbe zu verteidigen. Vom Schutze seines Herrn zur Behütung seines Besitztums war nur ein Schritt, den er schnell machte. Was dem Herrn gehörte, mußte gegen die ganze Welt verteidigt werden, auch auf die Gefahr hin, andere Götter dabei zu verletzen. Eine solche Tat war zwar gefährlich, aber nicht frevelhaft. Zwar war ein Hund den Menschen nicht gewachsen, dazu waren sie zu mächtig, aber Wolfsblut lernte es doch, ihnen unerschrocken und mutig die Stirn zu bieten. Die Pflicht ging über die Furcht, und Diebe lernten das Eigentum des Grauen Biber in Ruhe lassen.
Schnell begriff Wolfsblut, daß ein Dieb gewöhnlich auch ein Feigling war, der beim ersten Lärm davonlief, und daß beim Lärmschlagen der Graue Biber ihm in kurzer Zeit zur Hilfe käme. Auch merkte er, daß der Dieb nicht so sehr Furcht vor ihm hatte als vor dem Grauen Biber. Durch Bellen schlug aber Wolfsblut nicht Lärm, denn er bellte nie. Er griff vielmehr den Eindringling sogleich an und versuchte, ihn zu beißen. Da er sich um die andern Hunde nicht kümmerte, sondern einsam und ungesellig lebte, so war er ungemein geeignet, das Eigentum des Herrn zu bewachen und darin wurde er von dem Grauen Biber bestärkt. Die Folge war, daß Wolfsblut immer wilder, unzähmbarer und einsamer wurde.
Die Monate vergingen, und das Bündnis zwischen Hund und Mensch wurde immer enger. Die Bedingungen waren einfach. Für einen Gott aus Fleisch und Blut tauschte Wolfsblut die eigene Freiheit ein und empfing dafür Speise und Feuer, Schutz und Gesellschaft. Dagegen behütete er das Eigentum des Herrn, schützte den Leib desselben, arbeitete für ihn und gehorchte ihm, denn einem Gotte gehören, bringt Dienstbarkeit mit sich. Wolfsblut diente ebensosehr aus Pflicht als aus Furcht, doch nicht aus Liebe. Die kannte er nicht, denn er hatte dieselbe nie erfahren. Kische war nur noch eine blasse Erinnerung. Allein derart waren die Bedingungen, die ihn mit den Menschen verknüpften, als er das freie Leben der Wildnis und den Verkehr mit seinesgleichen aufgegeben und sich dem Menschen unterworfen hatte, daß er den Herrn nicht wieder hätte aufgeben und zu Kische zurückkehren können, wäre sie ihm je wieder begegnet. Seine Treue gegen den Herrn schien ihm ein Gesetz für sich, das höher stand als die Liebe zur Freiheit und zu den eigenen Blutsverwandten.
6. Kapitel. Die Hungersnot
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