Quer durch Afrika. Gerhard Rohlfs

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Quer durch Afrika - Gerhard  Rohlfs Edition Erdmann

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vertraut. Einem Gerücht folgend, wonach der Sultan von Marokko seine Armee in europäischem Sinne zu modernisieren trachtete, brach Rohlfs von Oran nach Tanger auf, in der Hoffnung, wiederum als Arzt bei den dortigen Streitkräften eine Stellung zu finden. Anfangs wurde er freilich bitter enttäuscht. Der Fremdenhass der von Franzosen wie von Spaniern bedrängten Marokkaner wie auch der religiöse Fanatismus der Bevölkerung dämpften seine anfängliche Begeisterung. Rohlfs beschloss, zumindest äußerlich zum Islam überzutreten, ließ sich den Kopf kahl scheren, kleidete sich marokkanisch und brach mit einem einheimischen Begleiter ins Landesinnere auf. Seine Barschaft betrug ganze fünf englische Pfund, eingenäht in seine Mütze.

      Und selbst dieses lächerlichen Betrages konnte er sich nicht lange erfreuen. Eines Tages war sein Reisegefährte samt Mütze, Geld und den übrigen spärlichen Habseligkeiten verschwunden. Rohlfs stand mittellos in einem fremden Land, ohne Besitztümer, außer dem, was er am Körper trug, angewiesen auf die Gastfreundschaft und Barmherzigkeit der Europäern feindselig gesinnten Marokkaner. Mehrmals wurde der »Ungläubige« ernstlich bedroht, weil man ihm nicht abnahm, dass er zum Islam übergetreten war, und nur mit Glück konnte er in solchen Situationen sein Leben retten. Doch Rohlfs gab nicht auf und zog weiter nach Ouezzane, dem Mekka der Marokkaner und Sitz des Großscherifs Sidi el Hadsch Abd es Ssalam. Der gleichaltrige Würdenträger, der schon Frankreich bereist hatte und im Vergleich zu seinen Landsleuten ein hochgebildeter Mann war, empfing den Reisenden mit größtem Wohlwollen, bot dem unerwarteten Besuch Quartier in seinem Palast an, und nach wenigen Tagen waren die beiden enge Freunde. Nur ungern ließ der Großscherif seinen deutschen Gast wieder ziehen. Zum Abschied stattete er ihn mit Maultier und Führer aus und gab ihm ein Empfehlungsschreiben an den Befehlshaber der marokkanischen Streitkräfte mit, mit der Bitte, den fremden Arzt in seinen Sold zu nehmen.

      Rohlfs zog weiter nach Fes, der damaligen Hauptstadt des Landes. Und weiter blieb ihm das Glück treu. Der General empfing ihn mit offenen Armen, er wurde dem Sultan und dem Kriegsminister vorgestellt, und schon einen Tag später war der ehemalige Fremdenlegionär Gerhard Rohlfs zum obersten Arzt der gesamten marokkanischen Armee bestellt. Wenn das Salär in Anbetracht der Position auch gering war – es reichte gerade zum Leben –, war er von nun an doch gern gesehener Gast in den vornehmsten Kreisen der maghrebinischen Gesellschaft. Und als der Hof in die Stadt Meknès übersiedelte, wurde ihm überdies gestattet, eine Privatpraxis zu eröffnen. Rohlfs hieß nun Mustafa Nemsi, Tobib ua Dschrahti: Mustafa der Deutsche, Arzt und Wundarzt.

      Wenn er seine Patienten auch hauptsächlich mit einheimischen Heilmethoden zu kurieren versuchte, um nicht die Eifersucht der ortsansässigen Ärzte übermäßig anzustacheln – von Brechpulver über Abführmittel bis zu dem im islamischen Raum üblichen Brennen des Körpers mit glühenden Eisenstäben reichten seine Therapien –, hatte er doch ungeheuren Erfolg und auch großen Zuspruch; bald war selbst der Premierminister des Landes bei ihm in Behandlung, und eines Tages erhielt Rohlfs die überraschende Nachricht, dass er zum Leibarzt des Sultans persönlich ernannt worden sei. Vorwiegend hatte er dabei die Haremsdamen zu behandeln, die jung und gesund waren und für die der Besuch des Arztes lediglich eine willkommene Abwechslung in ihrem eintönigen Tagesablauf war.

      Und wieder behagten die Ruhe und das geregelte Leben dem tatendurstigen Mann in keiner Weise. Die Langeweile wurde ihm immer unerträglicher. Plötzlich lockten die weißen Flecken auf den Landkarten des afrikanischen Kontinents, die alte Unrast brach wieder hervor, und Rohlfs wollte reisen, forschen und entdecken. Man ließ ihn jedoch nicht ziehen, zu wertvoll war der europäische Arzt für die Spitzen der marokkanischen Regierung geworden.

      Die Wende kam in Gestalt des englischen Gesandten in Marokko, Sir Drummond Hay, der am Hof großen Einfluss hatte. Der Sultan erhoffte sich von Großbritannien Hilfe gegen Spanien und Frankreich. Während eines Besuchs des Diplomaten in Meknès gelang es Rohlfs, bis zum Botschafter vorzudringen und ihm seine Pläne darzulegen. Als sich Sir Drummond schließlich für ihn einsetzte, erhielt er endlich die Erlaubnis, nach Belieben und ohne Einschränkungen das Land zu bereisen.

      Die Berufung zum Afrikaforscher war Rohlfs nicht in die Wiege gelegt. Im Unterschied zu anderen deutschen Entdeckern seiner Zeit – Heinrich Barth etwa oder Eduard Vogel und Georg Schweinfurth – war Rohlfs kein studierter Gelehrter. Das geistige Rüstzeug eines reisenden Forschers musste er sich selbst in mühevoller Kleinarbeit aneignen.

      Rohlfs ging für ein ganzes Jahr zurück zu seinem Freund Sidi el Hadsch Abd es Ssalam, dem Großscherif in Ouezzane, um mit bewundernswertem Eifer und Ehrgeiz seine Kenntnisse der arabischen Sprache und der Sitten, der Lebensart und Religion der Mohammedaner zu vervollständigen. Keinem anderen europäischen Forscher seiner Zeit ist es jemals gelungen, so vollkommen in die Lebensweise und Mentalität der nordafrikanischen Bevölkerung einzudringen und sich ihr in einer Weise anzupassen, dass er schließlich für einen Araber gehalten werden konnte.

      Hier nun vollzog sich die Wandlung vom erlebnishungrigen Abenteurer zum ernsthaften Forscher, vom unruhigen Draufgänger und Luftikus zum Entdecker und seriösen Wissenschaftler, wenn auch sein einziges Instrumentarium, als er endlich seine erste Forschungsreise begann, lediglich aus Notizbuch und Bleistift bestand.

      Sein Reisebegleiter und Diener war ein spanischer Renegat, welchen Rohlfs angeheuert hatte; zum Transport der wenigen Habseligkeiten kaufte er sich einen Esel. Er zog die Küste entlang südwärts durch Casablanca bis Azzemour, besuchte von hier aus Marrakesch im Landesinneren und wandte sich wieder der Küste zu. In einem Zeltdorf verschwand eines Nachts der Spanier, mit ihm der Esel, das Gepäck und der größte Teil des ersparten Geldes. Rohlfs befand sich in einer ähnlichen Situation wie bei seiner Ankunft im Lande. Und wieder gab er nicht auf, kehrte nicht um, was ein Leichtes gewesen wäre, sondern setzte seinen Weg nach Süden fort. Von Fieberanfällen geschüttelt, gegen welche er keine Medikamente mehr besaß, erreichte er die Hafenstadt Agadir, wandte sich von hier gegen Osten, überstieg die Ausläufer des Atlas und schloss sich einer Karawane nach Taroudant an. Zum Fieber gesellte sich noch eine ruhrartige Darmerkrankung, die ihn wochenlang in diesem Ort festhielt. Mit einer großen Karawane, in der er, um sich seine Mahlzeiten zu verdienen, als Kameltreiber fungieren musste, gelangte er schließlich ins Wadi Draa und von hier zur Oase Tafilalt. Durch eifriges Herumdoktern hatte er sich wieder eine kleine Summe erworben, allerdings den Fehler begangen, dieses Geld dem Scheich der Oase Boanen zu zeigen, dessen Gast er war und mit dem er zehn Tage lang aus der gleichen Schüssel gegessen hatte. Auf der Weiterreise wurde Rohlfs überfallen und beinahe getötet, wie es eingangs geschildert wurde.

      Nach längerem Aufenthalt in einem französischen Militärspital traf er in Algier seinen Bruder Hermann, der ihn jedoch nicht überreden konnte, mit ihm in die Heimat zurückzukehren. Eine beispiellose Hartnäckigkeit ist Rohlfs wohl nicht abzusprechen. Jeder andere an seiner Stelle hätte wohl genug von afrikanischen Abenteuern gehabt. Der Kontinent ließ den frischgebackenen Entdeckungsreisenden jedoch nicht mehr los. Die Berichte über die erste Reise seines Bruders in der Tasche, fuhr Dr. Hermann Rohlfs allein zurück nach Deutschland, wo die Tagebücher und Aufzeichnungen, wenn auch noch höchst unvollkommen und wissenschaftlichen Kriterien kaum genügend, in die Hände Petermanns gelangten, der sie in seiner Zeitschrift »Mitteilungen aus Justus Perthes geographischer Anstalt« sofort veröffentlichte.

      August Petermann, der große Geograph, Initiator und Förderer zahlreicher Forschungsreisen, dessen Ziel es war, die Erkundung Afrikas voranzutreiben, der stets auf der Suche nach fähigen Männern war und es auch immer wieder verstand, die notwendigen Mittel für die von ihm protegierten Reisenden aufzubringen, erkannte sogleich die Talente des Gerhard Rohlfs.

      Inzwischen hatte die französische Regierung eine Prämie von achttausend Franc für denjenigen Reisenden ausgesetzt, dem es gelänge, von Algerien aus auf dem Weg durch die Sahara die legendäre Wüstenstadt Timbuktu zu erreichen, um von dort aus in die zweite Kolonie Frankreichs, den Senegal, zu gelangen. Für den Tatendrang Rohlfs’ war dieses Projekt wie geschaffen. Allerdings galt dieser Preis nur für französische Staatsbürger, und dass Rohlfs sich spontan bereit erklärte, die französische Staatsbürgerschaft anzunehmen,

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