G. K. Chesterton: Krimis, Aufsätze, Romane und mehr. Гилберт Кит Честертон

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G. K. Chesterton: Krimis, Aufsätze, Romane und mehr - Гилберт Кит Честертон

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Nee …! Machen Sie ein bißchen vorwärts, Syme; wollen sie uns mal ein bißchen näher ansehen.« Das Gefährt rollte etwa hundert Yards weiter. Und dann waren sie alle baff, wie Dr. Bull plötzlich in ein krähendes Gelächter ausbrach.

      »Was seid ihr doch für Quatschköppe!« schrie er. »Was hab ich euch gesagt? Die sind so fromm wie eine Kuh – und wenn sie’s nicht mehr wären, lägs rein bei uns –«

      »Woher wissen Sie das?« fragte der Professor, der dadurch noch baffer wurde.

      »Stockblind seid ihr«, schrie Bull weiter. »Könnt ihr denn nicht sehen, wer da bloß ihren Anführer macht?«

      Und alle guckten aufs neue aus – und dann mußte der Colonel erst einmal schlucken, eh er rufen konnte:

      »Aber das ist ja Renard!«

      Und wirklich – liefen da eine ganze Masse dunkle Gestalten hinüber und herüber, nur waren sie nicht so genau zu erkennen. Aber in hellster Abendsonne schritt allen weit voran unverkennbar Dr. Renard mit großen Schritten auf und ab, einen weißen Hut auf dem Kopf, und mit einem Revolver in seiner linken Hand.

      »Himmel, war ich ein Narr!« jammerte nun der Colonel drauflos. »Aber selbstverständlich doch – der liebe alte Junge ist uns zu unserem Beistand vorausgeeilt!«

      Dr. Bull gurgelte nur so vor Lachen. Schwang sein Schwert so leichtsinnig wie einen Spazierstock. Sprang aus dem Wagen und rannte los und schrie nur immer:

      »Dr. Renard! Dr. Renard!«

      Einen Augenblick später mochte Syme seinen eigenen Augen nicht mehr trauen: Sahen die denn noch recht – oder waren sie ihm, ganz selbständig, übergeschnappt? Der philanthropische Dr. Renard – sollte der wahr und wahrhaftig soeben seinen Revolver wie nichts erhoben und für nichts und wieder nichts zwei Schüsse auf Bull abgegeben haben, daß die ganze Straße bis hier herauf davon – –

      Fast denselbigen Augenblick, als da unten zu der scheußlichen Explosion eine Wolke weißen Rauches aufpuffte, fuhr eine ebensolche weiße Wolke aus der Zigarette des zynischen Ratcliffe puffend aus. Und Ratcliffe wurde wohl ein wenig blaß zusammen mit allen übrigen – – aber er lächelte, lächelte. Dr. Bull, dem die beiden Kugeln gegolten hatten, stand erst eine Weile ganz still mitten auf der Straße, ohne eine Spur von Angst, dann drehte er langsam um, schlich zum Wagen zurück und stieg wieder auf – – mit zwei Löchern durch seinen Hut.

      »Nun?« meinte der Zigarettenraucher gedehnt, »wie denken Sie jetzt über die Sache?«

      »Ich denke mir«, versicherte Dr. Bull pedantisch, »daß ich auf Nummer 217 in den Peabodyhäusern in meinem Bett liege und sogleich – mit einem Satz – aufwachen werde. Oder wenn das nicht ist, dann denke ich mir, daß ich in einer niedlichen Gummizelle sitze und daß der Doktor in meinem Fall nicht viel mehr machen kann. Aber wenn Sie zu erfahren wünschen, was ich nicht denke, dann will ich es Ihnen erzählen. Ich denke nicht – was Sie denken. Ich denke nicht und werde auch niemals denken, daß die Masse ganz gewöhnlicher Leute eine Versammlung scheußlicher moderner Denker sein soll. Nein, mein verehrter Herr, ich bin ein Demokrat und halte es einfach für unmöglich, daß Sonntag den nächstbesten Kanalarbeiter oder einen xbeliebigen Ladenschwengel ohne weiteres auf seiner Seite haben wird. Nee …! Ich mag verrückt sein, aber die Menschheit, die ist’s dafür noch lange nicht –«

      Syme sah Bull aus seinen lichtblauen Augen – mit einer Ernsthaftigkeit an, die nicht sofort verständlich war.

      »Sie sind ein sehr feiner Kerl«, sagte er. »Sie glauben an einen gesunden Verstand, der nicht durchaus Ihnen selber eigen ist. Und Sie haben absolut recht mit Ihrer Menschlichkeit, was Bauern und was Leute wie den netten alten Kaffeewirt angeht. Aber was Renard betrifft – so haben Sie schon nicht mehr recht. Ich hab ihn von allem Anfang an in Verdacht gehabt. Er ist ein Rationalist, und – was noch schlimmer ist – er ist ein schwer reicher Mann. Wenn schuldiger Gehorsam und frommer Glaube nun tatsächlich futsch sind, so geschah es nur durch die Reichen.«

      »Und sie sind tatsächlich futsch –« sprach der Mann mit der Zigarette und vergrub seine Hände in seinen Hosentaschen. »Da kommen die Hunde an!«

      Und die Männer im Automobil spähten ängstlich in der Richtung aus, in der Ratcliffe starrträumerisch hinsah … und sahen, wie das ganze Regiment vom Ende der Straße her nun gegen sie anmarschierte. Und Dr. Renard, der marschierte wie ein Wüterich an der Spitze, und sein Bart wehte im Wind.

      Den Colonel triebs aus dem Wagen – er ertrugs einfach nicht länger mehr.

      »Meine Herren«, schrie er, »meine Herren! Es kann nicht anders – es muß ein Spaß sein. Wenn Sie Renard so gut kennen würden wie ich ihn kenne – – mit mehr Recht, sag ich Ihnen, könnten Sie Queen Victoria eine Dynamitheldin nennen. Wenn Sie auch nur die leiseste Ahnung von dieses Mannes Charakter hätten – –«

      »Na!« meinte Syme sardonisch, »Dr. Bull bekam wenigstens so etwas wie eine Ahnung davon in seinen Hut – –«

      »Aber ich sage Ihnen, daß es unmöglich ist!« schrie der Colonel und trampelte mit den Füßen. »Renard muß mir Aufklärung geben. Und Renard wird mir Aufklärung geben!« Und er lief fort.

      »Aber haben Sie doch keine solche Eile!« dehnte der, der rauchte. »Er wird uns sehr bald allen miteinander Aufklärung geben –«

      Indes, der fiebernde Colonel war allbereits außer Hörweite. Und rückte den Anrückenden entgegen. Der andere Fieberische, der Dr. Renard, erhub seine Pistole – und aber zögerte, wie er seinen Gegner erkannte, der immer noch näher kam und bald nah vor ihm stand, Aug in Auge, und wüste Gestikulationen des Widerspruchs und der Warnung aufführte.

      »Es hilft doch nichts«, sprach Syme. »Er wird bei dem alten Heiden nicht das geringste ausrichten können. Ich bin dafür, wir fahren plauz! durch den Menschenknäuel hindurch, gerade wie die Kugeln bums! durch Bulls Hut. Und wenn wir alle dabei drauf gehn, so wird darunter doch auch eine niedliche Anzahl von ihnen zum Teufel gehn.«

      »Ich stimme gegen Syme«, sprach Dr. Bull, der vor lauter Aufrichtigkeit seiner Tugend immer noch vulgärer wurde. »Die armen Burschen haben sich eben geirrt. Nun lassen Sie mal den Colonel machen.«

      »Wenn schon nicht vorwärts – wollen wir dann wenigstens retour?« fragte der Professor.

      »Nein«, sprach Ratcliffe kalt. »Hinter uns ist die Straße ebenfalls besetzt. Und – ei der Daus! sehen Sie? – dahinter steht Ihr anderer Freund, Syme …«

      Syme riß es herum – – und er starrte die Strecke zurück, die sie dahergekommen waren. Ein irregulärer Haufen Berittener kam da durchs Dunkel angesprengt. Und über dem vordersten Sattel war erst das silberne Leuchten eines Degens und – näher dann – der silberne Schnee von eines alten Mannes Haar. Den nächsten Augenblick riß Syme das Steuer herum und ließ das Automobil die steile Seitenstraße zum Meer hinabrasen, wie einer, der nichts mehr will als den Tod.

      »Was – zum Teufel – ist denn los?« schrie der Professor und packte Syme am Arm.

      »Der Morgenstern .ist gefallen!« sprach Syme. und der Wagen sauste durchs dunkel hinab – wie ein Stern, der fällt.

      Die andern hatten keine Silbe von allem verstanden. Sahen aber, wie sie die Straße zurück und hinaufblickten, die feindliche Kavallerie um die Ecke biegen und ihnen nachsetzen. Und allen, voran der gute, liebe Kaffeewirt – beglänzt von der guten, lieben Abendsonne.

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