G. K. Chesterton: Krimis, Aufsätze, Romane und mehr. Гилберт Кит Честертон
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So wahr waren die Zweifel in seiner Seele gewesen, daß er nun überglücklich wurde, wie sein Kollege mit einer fließenden menschlichen Stimme antwortete:
»Wir müssen durch die Stadt Lancy an die See«, sprach er. »Die Gegend scheint mir in bezug auf jene noch am günstigsten für uns.«
»Ja, aber was wollen Sie denn eigentlich?« rief Syme. »Die werden uns doch nicht durch die halbe Welt nachlaufen. Es können doch nicht sämtliche Handwerker Anarchisten sein, und wenn sie es ja wären, so kann so ein Pöbel doch nicht gegen moderne Waffen und Polizei an.«
»Pöbel, Pöbel, Pöbel!« versetzte sein neuer Freund und lachte laut und höhnisch auf. »Sie sprechen vom Pöbel und den arbeitenden Klassen, als ob die überhaupt in Frage kämen. Sie sind einer von den vielzuvielen, die da idiotisch genug glauben: wenn der Anarchismus je auskäme, käme er von den Armen her. Wieso denn? Die armen Leute, die sind wohl dann und wann rebellisch geworden – aber Anarchisten waren sie nie; die haben mehr Interesse als jeder andere sonst – daß eine leidliche Regierung da ist. Der arme Mann hat in der Tat ein Interesse am Wohlergehen des Landes. Der reiche Mann nicht – der kann heute eher als morgen in seiner Yacht nach Neu-Guinea. Der arme Mann hat zuweilen beklagt, daß er schlecht regiert worden ist; der Reiche beklagts, daß er überhaupt regiert wird. Die Aristokraten, die waren und waren noch allemal die Anarchisten; denken Sie nur an die Kriege der Adelsgeschlechter.«
»Das würde sich alles«, sprach Syme, »recht hübsch in einem Vortrag über englische Geschichte für die Kleinen anhören. Aber die Moral von der Geschicht – die hab ich noch nicht so recht kapiert.«
»Die Moral von der Geschichte ist«, sprach sein Instruktor, »daß die rechte Hand sozusagen unseres alten Sonntags sich aus lauter südafrikanischen und amerikanischen Millionären zusammensetzt. Deshalb hat er sich aller Verkehrslinien bemächtigt; und deshalb laufen die vier letzten Kämpen der antianarchistischen Polizeigewalt wie die Kaninchen durch diesen Wald.«
»Millionäre – das will mir einleuchten«, sprach Syme gedankenvoll. »Die sind alle, alle nahebei verrückt. Für ein paar verruchte alte Tatteriche hübsche Steckenpferde zu liefern und sie so selber im Zaum zu halten, das ist ne Sache. Aber ganze große christliche Nationen zu übertölpeln, das ist ein ganz ander Ding. Ich setze diese meine Nase (verzeihen Sie die Anspielung) gegen nichts, daß Syme total außerstande ist, irgendwie einen auch nur einigermaßen gesunden und vernünftigen Durchschnittsmenschen zu sich zu bekehren.«
»Das hinge«, sprach der andere, »das hinge davon ab, was für einen Menschen Sie meinen.«
»Nun – m – beispielsweise«, sprach Syme, »den dort! Den, wett ich, könnten wir nie und nimmer bekehren!« und er deutete in schnurgerade Linie voraus.
Sie waren auf eine Lichtung herausgekommen. Und Syme war es, als ob mit dieser Lichtung ihm sein gesunder Menschenverstand endgültig zurückgekehrt wäre. Und mitten in dieser Waldlichtung, da stand eine Gestalt, die sich unter diesen besonderen Umständen geradezu scheußlich aktuell ausnahm. Sonnverbrannt und knallrot vor Schwitzen, von jener unergründlichen Gravität wie nur je einer, der kaum die nötigsten Lappen am Leibe hat, stand da ein mächtiger französischer Bauer und hackte Holz mit seiner Hacke. Sein Karren stand eine Strecke weit ab, schon halb vollgeladen mit Holz. Und der Gaul, der Gras ausrupfte, war, wie sein Herr, herzhaft, wenn auch nicht allzu verwegen. Er war gerad, wie sein Herr, wohl gediehen, aber nunmehr nahezu satt. Der Mann war ein Normanne, größer als der Durchschnittsfranzose und äußerst eckig. Und sein geschwärztes Gesicht stand schwarz gegen die gelbe Sonne, fast wie eine allegorische Freskenfigur »Arbeit« auf goldiertem Grund.
»Mr. Syme behauptet«, rief Rathcliffe zu dem französischen Colonel hinüber, »daß dieser Mann zumindest nie ein Anarchist werden wird.«
»Da hat Mr. Syme mehr als recht«, antwortete Colonel Ducroix unter Lachen, »schon aus diesem Grunde, weil der eine ganze Menge Hab und Gut zu verteidigen hat. Aber ich vergaß, Sie in Ihrem Lande sind es nicht gewöhnt, einen Bauersmann wohlhabend zu wissen.«
»Der sieht aber arm aus«, sprach Dr. Bull bezweifelnd.
»Sehr richtig!« sprach der Colonel, »weil er reich ist.«
»Ich habe eine Idee!« schrie Dr. Bull dann plötzlich. »Wieviel würde der wohl verlangen, wenn er uns auf seinen Karren aufsitzen ließe? Die Hunde da hinten, die sind doch zu Fuß … da würden wir sie sehr hinter uns lassen.«
»Geben Sie ihm irgendeine Summe!« sprach Syme voller Eifer. »Ich habe blödsinnig Geld bei mir.«
»Das nützt gar nichts«, sagte der Colonel. »Der hat keinen Respekt vor Ihnen – außer Sie feilschen mit ihm.«
»Oh, wenn er lange handelt!« begann Bull mit Ungeduld.
»Er handelt – weil er ein freier Mann ist«, sprach der andere. »Das verstehen Sie nicht. Der würde Generosität ganz falsch verstehen. Der nähm ein Trinkgeld gar krumm auf.«
Und während sie das wuchtige Anstampfen ihrer unerbittlichen Verfolger schon zu hören vermeinten, mußten sie stehen und »Boden treten«, dieweil der französische Colonel mit dem französischen Holzhauer all die müßige Tändelei, den friedlichen Zank und Hader eines Markttages vor ihnen aufführte. Nach Verlauf von etwa vier Minuten indessen sahen sie, daß der Colonel die Sache geschoben hatte: denn der Holzhauer ging auf ihren Plan ein, nicht mit der vagen Servilität zwar eines überzahlten Hausknechts, sondern mit der Ernsthaftigkeit eines Bewerbers, der bei dem Handel just auf seine Kosten kam. Er sagte ihnen, daß das beste Ding, das sie machen könnten, dieses wäre: den Weg hinab – auf das kleine Wirtshaus auf der Anhöhe vor Lancy zu nehmen, wo der Wirt, ein alter Soldat, der auf seine alten Tage dévot geworden wäre, gewiß mit ihnen sympathisieren und sogar das Risiko auf sich nehmen und ihnen helfen würde. Also bestieg die ganze Gesellschaft den Holzstoß – und fuhr schaukelnd und schwankend auf dem holperigen Karren die eine steilere Seite des Waldlands hinunter. So plump und wackelig das Vehikel war, gings doch lustig genug voran – und bald war der allgemein erheiternde Eindruck der, daß man jene allesamt, die – wer immer sie sein mochten – da hinterher waren, mählich sehr distanzierte. Aber schließlich und endlich war das Rätsel, wie die Anarchisten diese Verfolgerbande aufgebracht hatten, bei weitem noch nicht gelöst. Eines einzigen Menschen Auftauchen hätte genügt – sie wären beim ersten Anblick des deformierten Lächelns des Sekretärs samt und sonders ausgerissen … Syme lugte hie und da über die Achsel weg zurück – auf den Schwarm dahinten auf ihrer Spur …
Wie der Wald dann dünner und dünner wurde, konnte Syme die sonnigen Flächen rückwärts hinan und vorwärts hinab übersehen, und da hinten, da oben kroch der breite schwarze Mob – mitten in Sonne – wie ein ungeheures Käfertier daher. In der scharfen Helle und mit seinen scharfen Augen, die schier teleskopisch waren, vermochte Syme die Masse Leute ganz deutlich zu unterscheiden. Er konnte jeden einzelnen unterscheiden … aber das verblüffte ihn zunehmends mehr: wie sie wie ein Mann heranrückten. Sie schienen dunkel angezogen und ganz gewöhnliche Kopfbedeckungen aufzuhaben so wie irgendein Gewimmel Leute auf einer Straße. Aber sie zerstreuten sich nicht und schwärmten nicht aus, so wie zu einer Attacke und wie man es von einem solchen Pöbelhaufen doch vermutet hätte. Sondern rückten mit einer schrecklichen, verruchten – Hölzernheit an, gerade als wie eine starre Armee von aufgezogenen Gliederpuppen – von Automaten.
Und Syme erzählte Ratcliffe davon.
»Tjaja«, erwiderte der Polizeiinspektor, »das heißt Disziplin. Das heißt – sonntäglich. Sonntag? Der ist vielleicht fünfhundert Meilen