G. K. Chesterton: Krimis, Aufsätze, Romane und mehr. Гилберт Кит Честертон
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Читать онлайн книгу G. K. Chesterton: Krimis, Aufsätze, Romane und mehr - Гилберт Кит Честертон страница 33
»Aber was wollen Sie denn dann?« fing der Professor wieder an.
»Was ich wollte? Ich wollte den Zug gar nicht erwischen – sondern ich wollte, daß der Zug mich nicht erwischt! Und jetzt – bei Gott – hat er mich erwischt!«
»Ich bedauere, Ihnen die Mitteilung machen zu müssen«, sprach Syme mit Zurückhaltung, »daß Ihre Worte keinerlei Eindruck auf mich machen. Vielleicht ja, wenn Sie die Ueberreste Ihrer einstigen Stirn beseitigen würden und einen Teil dessen, das Sie dereinst Ihr Kinn nannten, dann möchten Ihre Ansichten etwas klarere werden. Klarheit des Denkens kommt: wenn man einen klaren Kopf hat … Was meinten Sie also damit – daß der Zug Sie erwischt hat? Literarisch genommen, ist das eine Groteske; aber mir ist, als ob das etwas besagen müßte.«
»Etwas nur? Alles und jedes«, sprach der andere. »Und das – Ende von allem und jedem! Sonntag hat uns nun absolut in der Hand –«
»Uns!« plapperte der Professor nach, der ganz und gar baff war. »Wie heißt Uns?«
»Die Polizei natürlich!« sprach der Marquis, und riß seinen Skalp und die übrige Hälfte seines falschen Gesichts herunter.
Und der Kopf, der nun zum Vorschein kam, das war der blonde, gutgebürstete und glattgestrichene Durchschnittskopf des englischen Konstablers – nur daß das Gesicht erschrecklich blaß war.
»Ich bin der Inspektor Ratcliffe«, sagte er mit einer Hast, die schon mehr etwas von Barschheit hatte. »Mein Name ist der Polizei leidlich gut bekannt. Und ich sehe hinreichend, daß Sie zur Polizei gehören. Aber wenn Sie noch irgendeinen Zweifel über mich hegen sollten – da ist meine Karte –« und er zog die gewisse blaue Karte aus der Tasche.
Der Professor winkte ermüdet ab. (Er war dergleichen schon herzlich satt.)
»Zeigen Sie es nur nicht lange her«, sprach er, »wir haben schon so viel davon, daß wir bequem eine Schnitzeljagd arrangieren könnten.«
Der kleine Mann namens Bull hatte, wie so viele Menschen, die nur aus lauter Lebhaftigkeit und Pöbelhaftigkeit zusammengesetzt scheinen, plötzlich Anfälle des guten Geschmacks. Er rettete diesmal die Situation. Mitten unter diesem sehr bedenklichen Transformationsakt schritt er mit all dem Ernst und dem Verantwortlichkeitsgefühl eines Sekundanten auf die beiden Sekundanten das Marquis zu und sprach:
»Meine Herren, wir schulden eine ernsthafte Abbitte. Aber ich versichere Sie, daß Sie absolut nicht bloß – die Opfer eines faulen Witzes geworden sind, wie Sie glauben, oder sonst irgendeines Jokus, der eines Ehrenmannes unwürdig wäre. Sie haben Ihre Zeit nicht ganz unnütz vergeudet. Im Gegenteil – Sie haben dazu beigetragen, die Welt zu erretten. Wir sind keine Possenreißer und Hanswürste, sondern wir sind Verzweifelte im Kampf gegen eine ungeheure Verschwörung. Eine geheime Anarchistengesellschaft macht Jagd auf uns als wie auf Hasen. Nicht etwa unglückliche Blödsinnige, die ab und zu vor Hungertod oder aus lauter germanischer Tiefgründigkeit mal eine Bombe schmeißen, o nein – – sondern eine reiche, allgewaltige, fanatische Kirche, eine Kirche von orientalischem Pessimismus, deren Heiligstes es ist, die ganze Menschheit gerad wie ein Ungeziefer auszutilgen. Wie sehr sie uns aber auf den Fersen sind, mögen Sie aus der Tatsache ersehen, daß wir zu Verkleidungen und Maskierungen gezwungen sind wie diese, für die ich Sie nun um Entschuldigung bitten möchte, und zu Schelmenkunststückchen wie dieses, darunter Sie selber soeben zu leiden hatten.«
Der jüngere von den zwei Sekundanten des Marquis, eine gedrungene Gestalt mit schwarzem Schnurrbart, verbeugte sich höflich und sprach: »Aber natürlich – selbstverständlich lasse ich die Entschuldigung gelten. Nur … wollen Sie mir Ihrerseits nun verzeihen, wenn ich nicht sehr dazu inkliniere, Ihnen noch tiefer hinein in Ihre Fährlichkeiten zu folgen und mir statt dessen erlaube, Ihnen guten Morgen zu sagen! Das Schauspiel, einen angesehenen, distinguierten Kameraden in freier Luft plötzlich total in die Binsen gehen zu sehen, ist etwas ungewöhnlich und schließlich und endlich genügend für einen Tag. Colonel Ducroix, ich möchte Ihre Entschlüsse in keiner Weise beeinflussen, aber falls Sie mit mir empfinden, daß unsere momentane Anwesenheit ein wenig abnormal ist – ich geh jetzt zur Stadt zurück.«
Colonel Ducroix wollte ganz mechanisch mitgehen – aber mit einemmal fuhr er sich wild durch den weißen Schnurrbart und rief:
»Nein, bei Sankt Georg! Das geht nicht an bei mir! Wenn diese Gentlemen tatsächlich in einer Patsche sind, und das durch eine Kompagnie ganz gemeiner Banditen und Seeräuber, dann möchte ich sie gerne wieder heraußen sehn! Ich hab für Frankreich gefochten – wär schön, wenn ich nicht auch für die Zivilisation fechten könnt!« Dr. Bull riß seinen Hut herunter und schwenkte ihn und stimmte ein Beifallsgeheul an wie bei einer Volksversammlung.
»Machen Sie doch keinen solchen Spektakel«, sprach Inspektor Ratcliffe. »Sonst hört Sie Sonntag.«
»Sonntag!« schrie Bull – und da fiel ihm der Hut aus der Hand.
»Jawohl«, versetzte Ratcliffe, »wie leicht – und er ist unter ihnen.«
»Unter wem?« fragte Syme.
»Unter jenen Leuten aus dem Zug«, sprach der andere.
»Was Sie da sagen, scheint außerordentlich – außerordentlich«, fing Syme wieder an. »In der Tat – äh – in der Tat – – Aber Herr, du mein Gott!« schrie er plötzlich auf, wie einer, der eine Explosion von weitem miterlebt, »Herr, du mein Gott! Wenn das alles wahr ist, dann waren ja die ganze schwere Menge Mitglieder des Anarchistenrats gegen den Anarchismus! Ein jeder einzelne ein Detektiv – ausgenommen der Präsident und sein Geheimsekretär! Was kann das bloß heißen?«
»Heißen?« sprach der neue Policeman mit unglaublicher Heftigkeit. »Das heißt, daß wir allzusammen Kandidaten des Todes sind! Ja, sagen Sie mal, kennen – kennen Sie denn Sonntag nicht? Wissen Sie denn nicht, daß all seine Witze so plump und dumm sind, nur damit sich ja keiner Gedanken darüber macht? Bedenken Sie nur einmal für eine Sekunde lang dieses – und Sie werden lange nichts anderes mehr denken: Sonntag bugsierte seine mächtigsten Feinde in den Allerhöchsten Rat und sorgte dann dafür, daß der Rat hübsch klein blieb! Ich sage Ihnen nur das eine: Sonntag hat jede Treue bestochen, hat jedes noch so dicke Tau und Kabel gekappt – Sonntag beherrscht jede Eisenbahnlinie – und wie besonders erst jenen Schienenstrang!« und er deutete mit zitterndem Finger hinüber nach der kleinen Eisenbahnstation. »Er war allbereits der Zentraldruckknopf der ganzen Maschinerie, die halbe Welt wartete nur darauf, sich für ihn zu erheben. Aber da waren gerade noch fünf Köpfe etwa, die ihm zuwider gewesen wären … und da steckte sie und da hexte sie der alte Teufel in den Allerhöchsten Rat, damit sie ihre Zeit hübsch verbringen konnten – rein mit Einanderauflauern und Einanderbeluchsen. Idioten wie wir waren – baute er alles auf unseren Idiotismen auf! Sonntag wußte, daß der Professor Syme durch ganz London hetzen und daß Syme hinwiederum sich mit mir in Frankreich duellieren würde. Und er vereinigte ungeheure Summen Kapitals und er konfiszierte eine gewaltige Menge Telegraphenlinien, dieweil wir fünf Idioten einer dem andern nachsetzten und wie richtige blöde Jungens ein Blindekuhspiel ausführten.«
»Gewiß?« fragte Syme – mit einer gewissen Festigkeit.
»Gewiß!!« versetzte der andere mit einer plötzlichen Ausgelassenheit, »er fand uns heute und gerad eben Blindekuh spielen auf einer Wiese von seltener ländlicher Schönheit und von außerordentlicher Abgeschiedenheit. Er hat wahrscheinlich die ganze Welt erobert; und nun bleibt ihm nichts mehr als diese kleine Wiese einzunehmen und die paar Narren auf dieser Wiese zu verhaften. Und da Sie ja zu wissen wünschten, welches Bedenken