Gesammelte Werke von Nikolai Gogol. Nikolai Gogol
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Elftes Kapitel
Zu jener Zeit gab es an den Landstraßen noch keine Zöllner und Grenzer. Ohne Sorge vor diesem Schrecken aller unternehmenden Handelsleute konnte deshalb jeder seine Ware durchs Land führen. Wenn doch einmal einer die Ladung untersuchte, so tat er es auf eigne Faust. Voraussetzung war dabei immer, daß er der Kraft und Schwere seiner Faust auch wirklich vertrauen durfte, und daß der Inhalt des Fuders das Wagnis lohnte.
Ziegelsteine aber lockten keinen Strauchritter an; und so rasselte Jankels Wagen denn endlich wohlbehalten unter der Torwölbung hindurch in die Warschauer Hauptstraße. Bulba merkte in seinem Versteck fürs erste nichts von der Stadt als Lärm und Kutschergeschrei. Der Jude lenkte das staubbedeckte Rößlein, auf dem er schwankend thronte, nach mancherlei Umwegen in ein enges, finstres Gäßchen, das den Namen Dreck-oder Judengasse führte. In der Tat hausten hier auch fast sämtliche Juden von Warschau. Diese Straße erinnerte stark an einen Hinterhof im Armenviertel. Es sah nicht aus, als dringe ihr jemals ein Sonnenstrahl bis auf den Grund. Düster blickten die altersschwarzen Holzhäuser darein. Vereinzelt stand wohl ein Ziegelbau dazwischen, aber auch das Rot seiner Mauern hatte sich schon fast gänzlich zu Schwarz verdunkelt. Nur an den Giebeln oben leuchtete hier und da ein verputztes Stückchen Wand in der Sonne und tat mit seiner grellen Weiße den Augen weh. Allerlei Unrat lag am Boden herum: alte Dachrinnen, Lumpen, Küchenabfall, zerbrochne Töpfe. Jeder warf, was ihm im Weg war, kurzerhand vor die Tür hinaus – mochte sich, wer vorüberkam, dabei denken, was er sich dachte. Ein Reiter zu Pferd hätte mit gestrecktem Arm beinah die Wäschestangen erreichen können, die von Fenster zu Fenster quer über die Straße liefen, und an denen Strümpfe, Hosen, geräucherte Gänse und andre Herrlichkeiten baumelten. Hübsche junge Schicksen mit schmutzigen Wachsperlenschnüren um den Hals zeigten ihre Gesichter hinter den trüben Scheiben. Ein Haufe von ungewaschnen, zerlumpten krauslockigen Judenbengeln wälzte sich schreiend im Dreck. Ein rothaariger Jude, besprenkelt mit Sommersprossen wie ein Spatzenei, streckte den Kopf zum Fenster heraus und begann, als er Jankel erblickte, in seinem Kauderwelsch auf diesen einzureden; Jankel nickte ihm zu und lenkte sein Gespann durchs Tor in den Hof. Grade kam noch ein andrer Jude des Weges, er machte Halt und mischte sich in das Gespräch. Als Bulba sich endlich unter seinen Ziegeln hervorgearbeitet hatte, erblickte er drei Hebräer, die lebhaft durcheinander mauschelten.
Jankel trat auf Taraß zu und sagte ihm, sie wollten die Sache schon machen. Ostap säße im städtischen Gefängnis. Es würde ein schweres Stück Arbeit sein, die Wärter herumzukriegen, aber er hoffe dennoch, ihm Zutritt zu dem Kerker Ostaps zu verschaffen.
Bulba begab sich mit den drei Juden ins Haus.
Wieder erhoben die Hebräer ein großes Gemauschel in ihrer unverständlichen Sprache. Taraß schaute von einem zum andern. Ein Sturm von Gefühlen schüttelte ihn; aus seinen sonst so harten und ruhigen Augen brach ein heftiger Strahl von Hoffnung – wahnwitziger Hoffnung, wie sie den Menschen grade in der tiefsten Verzweiflung zuweilen packt; sein altes Herz schlug so voll und heftig, als sei er ein Jüngling.
»Hört einmal zu, ihr Juden!« sagte er, und seine Stimme hatte fast etwas Verzücktes. »Ihr bringt ja alles fertig in der Welt; und liegt ein Schatz auf dem Grunde des Meeres – ihr fischt ihn heraus. Es ist ja ein altes Sprichwort: Ein Jude ist fähig, den eignen Kopf zu stehlen, wenn er sonst nichts zum Stehlen erwischt. Befreit mir meinen Ostap! Helft ihm aus den Krallen dieses Teufelsgesindels! Ich hab dem Mann da fünftausend Dukaten versprochen, ich leg noch einmal fünftausend dazu. All mein Geld, das ich habe, meine kostbaren Becher und mein vergrabnes Gold, mein Haus und meine letzten Kleider verkauf ich; und ich geb es euch schriftlich auf Lebenszeit, daß ihr von allem, was ich noch jemals im Krieg erbeute, die Hälfte bekommt!«
»Es geht nix, goldner Herr, es geht nix!« sagte Jankel mit einem tiefen Seufzer.
»Gott straf mich, nein, es geht nix!« stimmte der rote Jude ein.
Die drei Juden wechselten Blicke.
»Nu–u, aber probieren …?« sagte der dritte und schaute, fast über sich selbst erschrocken, scheu auf die andern. »Wenn Gott will …«
Und nun begannen die drei auf deutsch zu verhandeln. So eifrig Bulba die Ohren spitzte, er verstand keine Silbe. Nur daß häufig der Name »Mardochai« fiel, wurde ihm klar.
»Horcht ämal, Herr!« sagte Jankel. »Mer müssen besprechen die Sache mit einem Mann – einem Mann, wie es noch niemals hat keinen gegeben ßu sein in der Welt. Straf mich Gott! Der is so weise als wie der grauße Salomo; und wenn er es nix macht – kä andrer macht es erst recht nix. Bleibt nur hier sitzen! Da is der Schlüssel. Und laßt bloß kä Seele von Menschen ins Zimmer!«
Die Hebräer verließen das Haus.
Taraß verschloß die Tür, stellte sich an das kleine Fenster und sah auf die schmutzige Gasse hinaus. Die drei Juden standen draußen und führten eine hitzige Unterhaltung. Ein vierter gesellte sich zu ihnen, und dann noch ein fünfter. Immer wieder erklang der Name: »Mardochai, Mardochai.« Die ganze Schar blickte nach dem einen Ende der Straße hinunter. Endlich trat dort über die Schwelle eines schmutzigen Hauses ein Fuß in jüdischem Schuh, über dem die Schöße des Kaftans flatterten.
»Mardochai, Mardochai!« schrieen die Hebräer wie aus einem Munde.
Ein hagrer Jude, dem aus dem faltenreichen Gesicht eine ungeheure Oberlippe ragte, etwas kleiner von Wuchs als Jankel, näherte sich der ungeduldigen Schar; alle seine Glaubensgenossen schnatterten in wildem Durcheinander rasend schnell auf ihn ein. Mardochai ließ die Augen öfter zu dem Fenster wandern, hinter dem Taraß stand. Dieser konnte leicht merken, daß von ihm die Rede war. Mardochai focht mit den Händen in der Luft, hörte zu, stellte hie und da eine Zwischenfrage, spuckte häufig zur Seite, hob die Schöße des Kaftans, wobei er eine äußerst schäbige Hose enthüllte, versenkte die Hände tief in die Taschen und holte irgendwelchen Klapperkram hervor. Schließlich erhoben die Hebräer ein solches Geschrei, daß der eine von ihnen, der den Auftrag hatte, Wache zu halten, das Warnungszeichen geben mußte. Taraß begann schon für seine Sicherheit zu fürchten, beruhigte sich aber bald wieder, kannte er doch den jüdischen Brauch, alles immer auf offner Straße zu verhandeln, und wußte er doch, daß aus diesem Gemauschel nicht einmal der Teufel selber klug werden konnte.
Nach einer kleinen Weile strömte die Judenschar zu ihm ins Zimmer. Mardochai trat auf Taraß zu, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Wenn mir und der liebe Gott uns annehmen um de Sach, denn werd gewiß nix versäumt, was geschehn kann.«
Taraß musterte prüfend diesen weisesten Salomo, der je auf der Welt gelebt hatte, und schöpfte wieder einige Hoffnung. Mardochais Äußeres vermochte in der Tat Vertrauen einzuflößen. Diese Oberlippe war einfach ein Monstrum – sie konnte ihre Dicke nur Einwirkungen von fremder Hand verdanken. Der Bart des Juden zählte höchstens fünfzehn Haare, und die befanden sich alle auf der linken Seite. Sein Gesicht wies soviel Spuren von Püffen auf, die dem »weisen Salomo« für seine Frechheit versetzt worden waren, daß er sicher selber längst nicht mehr Buch über diese Beulen führte und sich entschlossen hatte, sie schlechtweg als Muttermale zu betrachten.
Mardochai empfahl sich mit seinen Freunden, die voll von Staunen ob seiner Weisheit waren. Bulba blieb