Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch. Arthur Conan Doyle

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Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch - Arthur Conan Doyle

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werden sogleich an der Vauxhall-Brücke sein,« sagte Jones, »dort können Sie mit der Schatzkiste landen, Doktor. Ich brauche Ihnen kaum zu sagen, daß ich eine große Verantwortlichkeit auf mich nehme, indem ich das gestatte. Es ist gänzlich gegen die Ordnung; aber natürlich bleibt es dabei, weil es einmal verabredet ist. Indessen halte ich es für meine Pflicht, Ihnen einen Beamten mitzugeben, da Sie einen so kostbaren Gegenstand in Händen haben. Sie nehmen doch eine Droschke?«

      »Ja, ich werde fahren.«

      »Sehr schade, daß kein Schlüssel vorhanden ist, und wir nicht erst ein Inventarium machen können. Sie werden den Kasten aufbrechen müssen. Wo ist denn der Schlüssel, guter Freund?«

      »Auf dem Grund des Flusses,« sagte Small kurz.

      »Hm. Die unnütze Mühe hättet Ihr uns ersparen können. Wir haben Arbeit genug mit Euch gehabt. – Ich brauche Sie wohl nicht besonders zu bitten, Herr Doktor, recht vorsichtig zu sein. Bringen Sie die Kiste dann nur in Ihre Wohnung nach der Bakerstraße. Sie finden uns dort, auf dem Wege zum Polizeiamt.«

      Bei Vauxhall wurde ich mit meiner eisernen Kassette ans Land gesetzt; ein freundlicher Polizist begleitete mich. Nach einer viertelstündigen Fahrt erreichten wir Frau Forresters Wohnung. Die Dienerin schien erstaunt über einen so späten Besuch. Frau Forrester befand sich in einer Abendgesellschaft und wurde erst spät zurückerwartet, Fräulein Morstan war jedoch zu Hause. Ich traf sie im Wohnzimmer, wohin ich mich mit der Kiste im Arm begab. Den gefälligen Beamten hatte ich in der Droschke zurückgelassen.«

      Sie saß am offenen Fenster, in einen duftigen, weißen Stoff gekleidet, der nur am Hals und Gürtel durch etwas Rot belebt war. Das gedämpfte Licht einer Lampe fiel auf sie, spielte in ihren ernsten, sanften Zügen und gab den reichen Flechten ihres üppigen Haares einen förmlich metallischen Glanz. Sie hatte sich in den Stuhl zurückgelehnt und in ihrer ganzen Gestalt und Haltung prägte sich tiefe Schwermut aus.

      Beim Schall meiner Schritte sprang sie jedoch auf, und ein helles Rot der Ueberraschung und Freude färbte ihre bleichen Wangen.

      »Als ich einen Wagen vorfahren hörte,« sagte sie, »glaubte ich, es sei Frau Forrester, die so früh heimkäme. Daß Sie es sein könnten, hätte ich mir nicht träumen lassen. Was für Nachricht bringen Sie mir?«

      »Ich bringe Ihnen etwas, das mehr wert ist als alle Nachrichten der Welt,« sagte ich, den Kasten auf den Tisch niedersetzend, in lebhaftem, heiterem Ton, obgleich mir das Herz in der Brust schwer war. »Ich bringe Ihnen ein großes Vermögen.«

      Sie sah nach der eisernen Kiste hin. »Ist denn das der Schatz?« fragte sie kühl.

      »Ja, das ist der große Agra-Schatz. Die Hälfte davon kommt Ihnen zu; die andere Hälfte gehört Thaddäus Scholto. Jedes von Ihnen wird ein paar Hunderttausend haben. Denken Sie nur! Eine Jahreseinnahme von zehntausend Pfund Sterling. Es wird wenige junge Damen in England geben, die reicher sind. Ist das nicht herrlich?«

      Ich mag wohl meine Freude etwas zu stark aufgetragen haben, oder hatte sie einen hohlen Klang in meinen Glückwünschen entdeckt? Ihre Augenbrauen hoben sich leise und sie blickte mich forschend an.

      »Wenn ich dies Vermögen erhalte, so danke ich es Ihnen.«

      »Nein, nein,« antwortete ich. »Nicht mir, sondern meinem Freunde Sherlock Holmes. Mit allem guten Willen von der Welt hätte ich die Lösung nicht finden können, die selbst sein Genie hart auf die Probe gestellt hat. Noch im letzten Augenblick hätten wir um ein Haar alles verloren.«

      »Bitte setzen Sie sich und erzählen Sie mir, Herr Doktor.«

      Ich berichtete kurz, was sich zugetragen hatte, seit ich sie zuletzt gesehen. Holmes’ neue Methode, die Entdeckung der ›Aurora‹, die Beteiligung von Athelney Jones an unserer nächtlichen Expedition und die wilde Jagd auf der Themse. Sie horchte mit geöffneten Lippen und glänzenden Augen der Schilderung unserer Abenteuer. Als ich von dem Bolzen sprach, dem wir mit genauer Not entgangen waren, ward sie so bleich, als sei sie einer Ohnmacht nahe.

      »Es ist nichts,« sagte sie, als ich nach einem Glas Wasser griff. »Ich bin ganz wohl. Mich erschreckte es nur zu hören, daß ich meine Freunde einer so gräßlichen Gefahr ausgesetzt habe.«

      »Das ist nun alles vorüber. Ich werde Ihnen keine so düsteren Einzelheiten mehr erzählen; wir wollen uns zu etwas Heiterem wenden. Hier ist der Schatz. Was könnte erfreulicher sein? Mir ist erlaubt worden, ihn mit her zu bringen, da ich glaubte, es würde Ihnen lieb sein, wenn Sie die erste wären, die ihn betrachtet.«

      »Natürlich wird mich das aufs höchste interessieren,« sagte sie; doch klang keine Begierde aus den Worten. Mir schien, sie wollte sich nur nicht gleichgültig gegen einen Preis zeigen, den zu gewinnen wir uns so viel Anstrengung hatten kosten lassen.

      »Ein hübscher Kasten,« sagte sie, sich über denselben beugend. »Vermutlich indische Arbeit?«

      »Ja, es ist Metallarbeit, wie sie in Benares gemacht wird.«

      »Und so schwer!« rief sie aus, indem sie versuchte, ihn zu heben. »Der Kasten allein muß schon von Wert sein. Wo ist der Schlüssel?«

      »Small hat ihn in die Themse geworfen; ich muß mir Frau Forresters Schüreisen borgen.«

      Vorn an dem Kasten befand sich eine schwere, breite Haspe mit dem Bild eines sitzenden Buddha. Ich schob die Spitze des Eisens darunter, es als Hebel gebrauchend. Der Versuch glückte. Die Haspe sprang mit einem lauten Knall auf, und zitternd vor Erregung schlug ich den Deckel zurück. Wer schildert aber unser Erstaunen – der Kasten war leer! –

      Kein Wunder, daß er so schwer wog. Die Eisenwände ringsum waren fast zolldick, und augenscheinlich so massiv und gut gearbeitet, um Dinge von hohem Wert darin aufzubewahren; aber nicht ein Krümel, noch Brocken von Metall und Edelstein lag darin. Er war, wie gesagt, vollständig leer.

      »Der Schatz ist verloren,« sagte Fräulein Morstan ruhig.

      Als ich diese Worte hörte und ihre Bedeutung begriff, atmete ich erleichtert auf. Ich hatte nicht gewußt, wie schwer dieser Agra-Schatz mich niederdrückte, bis mir die Last jetzt von der Seele genommen ward. Es war ohne Zweifel eigensüchtig, unredlich, sündhaft – aber ich hatte kein anderes Gefühl, als daß die goldene Scheidewand zwischen uns gefallen war.

      »Gott sei Dank!« rief ich aus tiefstem Herzensgrund.

      Ein Lächeln flog über ihre Züge; sie sah mich fragend an.

      »Warum sagen Sie das?«

      »Weil Sie wieder in meinem Bereich sind,« versetzte ich, ihre Hand ergreifend, die sie mir nicht entzog. »Weil ich Sie liebe, Mary – so innig wie jemals ein Weib geliebt worden ist. Weil dieser Schatz, diese Reichtümer, mir die Lippen versiegelten. Nun sie fort sind, darf ich Ihnen meine Liebe gestehen. Und deshalb sage ich: ›Gott sei Dank.‹«

      »Dann sage auch ich ›Gott sei Dank‹, flüsterte sie, während ich sie in meine Arme schloß. Mochte jener große Schatz immerhin verloren sein, ich wußte an dem Abend, daß ich einen weit größeren Schatz gewonnen hatte.

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      Mein

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