Gesammelte Werke. Aristoteles

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Gesammelte Werke - Aristoteles

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einen ersten Schritt dahin gethan hat und es ist deshalb wahrscheinlich, dass er auch noch weitere Fortschritte dahin machen wird; und wenn er so fortfahrt, so wird er schliesslich in den entgegengesetzten Zustand gelangen, sofern ihm die genügende Zeit dazu bleiben sollte. Dagegen ist es bei dem Haben und der Beraubung unmöglich, dass das eine in das andere sich gegenseitig verändern kann; denn das Haben kann sich wohl in die Beraubung verändern, aber die Beraubung nicht umgekehrt in das Haben; denn der Blind-Gewordene hat niemals wieder gesehen und der Kahlköpfige ist niemals wieder behaart geworden; und eben so hat der Zahnlose nie wieder Zähne bekommen.

      Alles endlich, was wie Bejahung und Verneinung einander entgegengesetzt ist, ist es offenbar in keiner der bisher besprochenen Weisen; denn nur bei ihnen muss immer das eine von beiden nothwendig wahr und das andere falsch sein, während bei den Gegentheilen es nicht immer nothwendig ist, dass das eine wahr und das andere falsch sei, und auch bei den Beziehungen und bei dem Haben und der Beraubung dies nicht nöthig ist. So sind z.B. die Gesundheit und die Krankheit Gegentheile und doch ist keines von beiden wahr oder falsch. Ebenso sind das Doppelte und das Halbe einander als Bezogene entgegengesetzt und doch ist keines von beiden entweder falsch oder wahr, und dasselbe gilt auch für das Haben und die Beraubung, wie z.B. für das Gesicht und die Blindheit. Ueberhaupt ist Alles, was ohne Verbindung gesprochen wird, weder falsch noch wahr und alle diese erwähnten Gegensätze werden ohne Verbindung ausgesagt. Indess könnte man meinen, dass dies gerade bei den Gegentheilen dann vorzugsweise der Fall sei, wenn sie in einer Verbindung ausgesagt würden; wie z.B. das Gesundsein des Sokrates das Gegentheil von dem Kranksein des Sokrates sei. Allein auch dann ist es nicht immer nothwendig, dass eines von beiden wahr und das andere falsch sei. Allerdings wird, wenn Sokrates lebt, das eine wahr und das andere falsch sein, aber wenn Sokrates überhaupt nicht besteht, so sind beide Gegensätze falsch; denn weder das Kranksein noch das Gesundsein des Sokrates ist wahr, wenn überhaupt Sokrates nicht besteht. Was aber die Beraubung und das Haben anlangt, so ist zwar auch, wenn Sokrates überhaupt nicht vorhanden ist, keines von beiden wahr, aber selbst, wenn er vorhanden ist, ist nicht immer das eine wahr und das andere falsch. Der Satz, dass Sokrates das Gesicht habe, ist z.B. dem Satze, dass er blind sei, so wie das Haben der Beraubung entgegengesetzt und trotzdem ist es, auch wenn Sokrates lebt, nicht nothwendig, dass das eine wahr und das andere falsch sei; (denn wenn Sokrates überhaupt von Natur kein Gesicht hat, so ist beides falsch); ist aber Sokrates überhaupt nicht vorhanden, so ist auch dann beides falsch, sowohl dass er sehe, als dass er blind sei. Dagegen ist bei der Bejahung und der Verneinung, mag nun der Gegenstand vorhanden sein oder nicht, immer die eine falsch und die andere wahr. Denn dass Sokrates krank sei oder dass er nicht krank sei, davon ist offenbar, wenn Sokrates vorhanden ist, das eine wahr und das andere falsch und dies gilt auch, wenn Sokrates nicht vorhanden ist; denn bestellt Sokrates nicht, so ist sein krank – sein falsch, aber wahr, dass er nicht krank ist. Sonach ist es nur denjenigen Gegensätzen allein eigen, dass immer einer von beiden wahr und der andere falsch sein muss, welche sich wie Bejahung und Verneinung gegenüberstehen.

      Elftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Das Gegentheil vom Guten ist nothwendig das Schlechte, wie sich durch Betrachtung des Einzelnen ergiebt; so ist die Krankheit nothwendig das Gegentheil von der Gesundheit und die Feigheit von der Tapferkeit und dasselbe gilt für andere solche Fälle. Aber von dem Schlechten ist bald das Gute, bald das Schlechte das Gegentheil; denn wenn der Mangel ein Schlechtes ist, so ist auch das Uebermaass ein gegentheiliges Schichte; gleichzeitig ist aber auch die Mitte, welche das Gute ist, das Gegentheil von jenen beiden. Dieser Fall wird weniger häufig vorkommen; in den meisten Fällen ist das Gegentheil vom Schlechten immer das Gute.

      Bei den Gegentheilen ist es nicht nothwendig, dass wenn das eine vorhanden ist, auch das andere bestehe; denn wenn alles Lebende gesund ist, so besteht zwar die Gesundheit, aber nicht die Krankheit; ebenso besteht, wenn alles weiss ist, das Weisse, aber nicht das Schwarze. Wenn ferner das Gesundsein des Sokrates von dem Kranksein desselben das Gegentheil ist, und es nicht möglich ist, dass Sokrates beides zugleich sein kann, so wird es auch nicht möglich sein, dass, wenn eines von beiden besteht, dann auch das andere bestehe; denn wenn das Gesundsein des Sokrates ist, so wird das Kranksein desselben nicht sein.

      Auch erhellt, dass die Gegentheile von Natur an Gegenständen, die zu derselben Art oder Gattung gehören, entstehen. So entsteht von Natur die Krankheit und Gesundheit an den Körpern der lebenden Wesen; die Weisse und die Schwärze an den Körpern überhaupt; die Gerechtigkeit und die Ungerechtigkeit an der Seele der Menschen.

      Es ist auch nothwendig, dass die Gegentheile sich entweder in derselben Gattung gegenüberstehen, oder in den gegentheiligen Gattungen oder dass sie selbst Gattungen seien. So gehören das Weisse und das Schwarze zu derselben Gattung (denn die Farbe ist ihre Gattung); ferner gehören die Gerechtigkeit und die Ungerechtigkeit zu gegentheiligen Gattungen (denn die eine gehört zur Gattung der Tugend, die andere zu der des Lasters); das Gute und das Schlechte endlich gehört nicht zu einer Gattung, sondern sie selbst sind Gattungen.

      Zwölftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Früher, als ein anderes wird von etwas auf vierfache Weise gesagt. Erstens und hauptsächlich geschieht es in zeitlicher Hinsicht, wonach etwas den Jahren oder dem Dasein nach älter als ein anderes genannt wird; denn etwas heisst so, weil es längere Zeit bestanden hat. Zweitens heisst etwas so, wenn es in Bezug auf die Folge des Seins sich nicht umkehren lässt; so ist die Eins früher als die Zwei; denn wenn die Zwei ist, so folgt sofort, dass auch die Eins ist; aber wenn die Eins ist, so ist nicht nothwendig auch die Zwei; deshalb gilt die Umkehrung nicht, dass wenn die Eins ist, auch die andern Zahlen seien, und dasjenige gilt als das Frühere, bei dem umgekehrt der Satz von der Folge des andern nicht statthaft ist.

      Drittens heisst etwas früher in Bezug auf eine bestimmte Ordnung, wie z.B. bei den Wissenschaften und den Reden; denn bei den auf Beweisen ruhenden. Wissenschaften beruht das Frühere und das Spätere auf der Ordnung (denn die Elemente sind der Ordnung nach früher als die Figuren und in der Sprachlehre sind die Buchstaben früher, als die Sylben) und ebenso verhält es sich bei den Reden, denn das Vorwort ist der Ordnung nach früher als die Ausführung.

      Neben diesen angeführten Fällen scheint auch das Bessere und Geehrtere der Natur nach ein Früheres zu sein und die Menge pflegt von den geehrteren und von ihnen mehr geliebten Männern zu sagen, dass sie die Ersten bei ihnen seien. Indess ist diese Weise des Gebrauchs von Früher wohl die ungewöhnlichste.

      Dies sind so ziemlich die Weisen, in denen das Früher gebraucht wird; indess dürfte es ausser denselben noch eine andere Art seines Gebrauchs geben; denn von den Dingen, wo gegenseitig das Dasein des einen aus dem Dasein des andern folgt, dürfte der Grund irgendwie mit Recht das von Natur Frühere gegen die Folge genannt werden und dass dergleichen vorkommt, ist klar; denn das Dasein eines Menschen gestattet die Umkehrung dahin, dass aus dem Sein desselben die Wahrheit der dies ausdrückenden Rede und aus der Wahrheit dieser das Sein desselben folgt; denn wenn der Mensch ist, so ist auch die Rede wahr, womit man ausspricht, dass der Mensch ist; und dies lässt sich auch umkehren; denn wenn die Rede wahr ist, womit man ausspricht, dass der Mensch ist, so ist auch der Mensch vorhanden. Nun ist aber die wahre Rede keineswegs der Grund von dem Dasein des Gegenstandes; wohl aber erscheint der Gegenstand irgendwie als der Grund von der Wahrheit der Rede; denn weil der Gegenstand vorhanden ist oder nicht ist, gilt die Rede von seinem Dasein als wahr oder falsch. Sonach wird also auf fünf verschiedene Weisen das eine als das Frühere gegen das andere ausgesagt.

      Dreizehntes Kapitel

      

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