Mami Staffel 2 – Familienroman. Gisela Reutling
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Читать онлайн книгу Mami Staffel 2 – Familienroman - Gisela Reutling страница 24
»Das war keine Schau. Das war ein Sprachenwettbewerb.«
»Nanu! Bist du dafür denn schon alt genug?«
Die schwarzen Augen strahlten Achim vergnügt an.
»Klar!«
»Miguel«, rief eine Stimme hinter der halb geöffneten ockergelben Tür, »trink deine Cola aus, wir gehen gleich!«
»Du heißt Miguel?« fragte Achim in plötzlich erwachtem Interesse.
»Ja, Miguel Hersfeld. Ich gehe hier in die Internationale Schule – ah, da kommt meine Mutter ja schon –«
Achim drehte sich um. Bevor er sie erblickte, wußte er, wer sie war. Katharina Busch – seine Jugendliebe. Blond wie eh und je, forsch ausschreitend in ihrem offenen Trenchcoat, eine Papierrolle unter den Arm geklemmt.
Die Hand nach Miguel ausstreckend, stutzte sie sekundenlang und krauste die Stirn.
»Achim«, rief sie, »dich habe ich ja eine Ewigkeit nicht gesehen!«
»Zuletzt in Montelindo«, entgegnete er mit einem melancholischen Lächeln, »in Battenberg habe ich dich immer verpaßt. Ich komme auch nur noch selten hin. Sag mal, ich gehe doch nicht fehl in der Annahme, daß ich diesen Jungen schon einmal gesehen habe?«
»Ganz richtig, vor fast zehn Jahren, zu Weihnachten. Er war noch ein Baby damals, und du hattest leichte Bedenken, was seine Entwicklung betrifft«, bestätigte Kati lachend.
»Wirklich? Daran erinnere ich mich gar nicht mehr!«
»Ist auch nicht mehr wichtig. Inzwischen muß ich ihn eher bremsen. Ihm machen diese Wettbewerbe zwar viel Spaß – er gewinnt sie immer – aber wir haben ja auch noch anderes zu tun, nicht wahr, Miguel?«
Sie fuhr ihm liebevoll durch seinen schwarzen Haarschopf.
»Du lebst jetzt ganz in Deutschland mit deiner Familie?« erkundigte sich Achim.
»Ja, unser Wohnsitz ist hier. Ab und zu hat Christof in Montelindo zu tun, und wenn es sich gerade gut trifft mit den Ferien, fahren wir mit ihm hinüber. Es ist ja unsere zweite Heimat.«
»Natürlich«, murmelte Achim, »und du? Ich habe gehört, du hast die Schule aufgegeben?«
»Das war nur vorübergehend. Seit Bianca – das ist unsere Tochter – in die erste Klasse geht, unterrichte ich wieder. Deshalb muß ich jetzt auch schleunigst los – mach’s gut, Achim!«
Sie schüttelte seine Hand, legte den Arm um Miguel und schob ihn vor sich her, den breiten, regenbogenfarbigen Korridor entlang.
Achim sah ihnen benommen nach.
Die Begegnung hatte ihn aufgerührt.
Plötzlich kam Miguel noch einmal zurückgetrabt, um den Plastikbecher in den Behälter neben dem Cola-Automaten zu werfen.
Er strahlte Achim aus runden, schwarzen Augen an, hob winkend eine kleine braune Hand und rief: »Adios!«
»Du mußt schon gehen?« fragte Schreinermeister Ruppert Lange seine Tochter. »Und was soll ich tun, wenn der nächste Bewerber kommt?«
Barbara schüttelte den Kopf, sah ihn mit gespieltem Mitleid an und schlüpfte mit einem vernehmlichen Seufzer in ihren Lodenmantel. Es war heute kalt für Ende März, und sie hatte es ziemlich eilig. »Du wirst ihm nahebringen müssen, daß du mir, deiner einzigen Tochter, die große Wohnung über der Werkstatt ausgebaut hast. Damit ich immer bei dir bleibe, kann sie keinem anderen zugestanden werden. Darum muß er, wenn er unbedingt eine Unterkunft braucht, mit einem Kämmerchen im alten Haus vorliebnehmen und als dein Mitbewohner eben alle deine Schwächen ertragen«, neckte sie ihn.
»Und wenn er daraufhin wieder auf die Stellung verzichtet?«
»Dann hast du nichts verloren, Väterchen. Tut mir leid. Ich muß jetzt fahren.« Sie legte sich noch einen leichten Schal um.
Neblig und ungemütlich war es draußen. Der Nebel in den Bergen ließ keinen noch so winzigen Sonnenstrahl durch. Und weil sie spät dran war, mußte sie die kurze Strecke zur Schule mit dem Auto fahren. »Servus! Bis mittags. Ich koch uns dann was Feines.«
»Ohne deinen Beistand finde ich nie einen Gesellen, der später als Meister den Betrieb übernehmen kann«, meinte er gottergeben, winkte ihr aber lächelnd nach, als sie im Hof in ihr Auto stieg und davonfuhr.
Barbara gab Gas. Mehr als eine Unterrichtsstunde konnte sie nicht ausfallen lassen, um ihrem Vater zur Seite zu stehen, wenn sich am frühen Morgen ein Bewerber in der Schreinerei vorstellte. Was dachte er nur? Sie konnte ihm doch keine Entscheidung abnehmen. Manchmal fragte sie sich schon, ob er das von ihr erwartete, weil sie nun schon seit einem Jahr Lehrerin an der kleinen Schule in Wesing war. Und was aus ihm werden sollte, wenn sich seine Unentschlossenheit und Hilflosigkeit noch verstärkte? Aber dann lächelte sie. Trotz seiner kleinen Schwächen war und blieb ihr Vater der einzig geliebte Mann in ihrem Leben.
Als sie den Parkplatz für die Lehrkräfte der Dorfschule erreichte, hatte sich das Lächeln auf ihrem frischen Gesicht längst verloren. Der fröhliche Lärm, der aus dem flachen Schulgebäude drang, mahnte sie an ihre eigenen Pflichten. Grete Niebauer, die als Gemeindeschwester manchmal für eine Lehrerin einsprang, kam ihr auf dem Flur entgegen.
»Ist alles gutgegangen?« fragte Barbara gleich.
»Aber ja! Ihre Klasse ist ja musterhaft. Und so eine Stunde Basteln und Malen mit den Kleinen macht mir selbst Freude. Nur denke ich, Frau Lange, Ihre ABC-Schützen haben mich nur ungern akzeptiert. Ich kann Ihnen, der heißgeliebten Lehrerin, das Wasser kaum reichen«, fügte sie schmunzelnd hinzu.
»Danke fürs Kompliment und daß Sie mich trotzdem vertreten haben!« entgegnete Barbara gutgelaunt. Sie betrat den Aufenthaltsraum fürs Kollegium gar nicht mehr, sondern zog sich auf dem Flur schon den Mantel aus. Keine weitere Minute wollte sie sich verspäten, denn sie liebte ihren Beruf und jeden einzelnen ihrer ABC-Schützen. Auch, wenn es einige darunter gab, die ihr das Leben nicht immer leichtmachten.
»Guten Morgen, Frau Lehrerin!« begrüßte sie die Schar von zweiundzwanzig Kindern. Rosige Gesichter, von blonden und braunen Locken umrahmt und glänzenden Augen beherrscht, strahlten ihr entgegen.
»Guten Morgen. Ihr könnt euch setzen!« Barbara hängte ihren Mantel an den Haken, stellte ihre Tasche auf den Stuhl am Tisch und holte ihre Bücher hervor. Sie legte das Kästchen mit den bunten Kreiden zurecht und freute sich schon darauf, eine Narzisse und eine Tulpe an die Tafel malen zu können. Wie so oft wollte sie heute den Unterricht im Lesen mit der Naturkunde verbinden. War es nicht trotz des trüben Wetters höchste Zeit, sich mit den ersten Frühlingsboten zu beschäftigen?
Ein Tuscheln und Raunen ging durch den Raum und wollte kein Ende nehmen. Barbara blickte in die Gesichter. »Was ist denn? Was gibt’s zu lachen und zu tuscheln? Holt lieber eure Malstifte hervor, wenn ihr sie schon wieder weggeräumt habt. Wir werden sie auch in dieser Stunde brauchen.«
Das Gekicher und Geschwätz hielt an. Besonders der rotbäckige Karli in der ersten Reihe