Mami Bestseller Staffel 1 – Familienroman. Marianne Schwarz
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Dorothees Herz flog der Kleinen sofort zu. »Ich bin Dorothee«, sagte sie liebevoll. »Und du bist bestimmt die kleine Annika.«
Prompt legte sich die kleine Stirn in Falten. »Ich bin schon ganz groß. Siehst du das denn nicht, Dote?«
»So darfst du das nicht sagen, Liebling«, mahnte Gudrun rasch. »Du mußt Tante Dorothee sagen.«
»Ach, lassen Sie nur, Schwester Gudrun«, lachte Dorothee. »Ich finde Dote hübsch. Dabei können wir es ruhig belassen. Und natürlich bist du ein großes Mädchen, Annika. Ich habe das gleich gesehen.«
Gudrun führte ihren Gast in den Wohnraum. Er war hell und freundlich eingerichtet, und es war sofort erkennbar, wie wichtig das Kind in diesem kleinen Haushalt war. Nicht nur, daß überall Spielzeug herumlag, auch die hellen Möbel waren absolut kinderfreundlich, und Sofa und Sessel hatten lustig bunte, waschbare Überwürfe, so daß es für die kleine Annika wohl keine Tabuzonen in diesem Raum gab.
Dorothee fand das sehr liebenswert. Sie setzte sich in den ihr angebotenen Sessel – die mitgebrachten Blumen hatte sie Gudrun bereits in der Diele gegeben – und öffnete nun ihre Tasche. »Schau mal, Annika«, sagte sie. »Ich habe dir etwas mitgebracht. Ob dir das wohl gefällt?«
Sie wollte den Stoffhasen auspacken, doch die Kleine nahm ihr das Paket einfach aus der Hand. »Annika kann das«, sagte sie energisch und begann sogleich, das Papier in Fetzen abzureißen.
Es wurde Dorothee ganz warm ums Herz, als sie sah, wie die Kinderaugen aufleuchteten, nachdem das weiße Plüschhäschen zum Vorschein gekommen war. Annika packte es an den langen Ohren und lief mit ihren strammen Beinchen zu Gudrun hin, die ihr Töchterchen friedlich lächelnd beobachtete.
»Mami, schau!« rief Annika aufgeregt. »Ein Karinchen. Ein ganz schönes, liebes Karinchen.«
»Kaninchen«, wollte Gudrun berichtigen, aber dann fand sie das Wort ›Karinchen‹ wohl auch niedlich und bestätigte lachend: »Ja, das ist wirklich ein liebes Karinchen, Süße.«
Annika umschloß den Hasen mit beiden Ärmchen. »Karinchen bleibt bei Annika. Immer.«
»Dann mußt du dich aber auch ganz lieb bei Tante Dorothee bedanken, Annika«, mahnte Gudrun.
Die Kleine zierte sich nicht. Sie machte augenblicklich eine Kehrtwendung, lief zu Dorothee hin und kletterte ohne viel Federlesens auf ihren Schoß, was ihr allerdings einige Mühe bereitete, denn der Hase mußte ja mit. Sie hatte ihn jetzt wieder an beide Ohren gepackt. Doch Annika ließ es sich nicht verdrießen, und als sie es geschafft hatte, schmiegte sie sich an Dorothee und drückte ihr einen recht feuchten Schmatzer auf die Wange.
»Du bist lieb, Dote«, sagte sie ernsthaft.
Dorothee waren unwillkürlich die Augen feucht geworden. Sie drückte das Kind liebevoll an sich. »Und du bist auch ein lieber Schatz, Annika.«
Sie blickte zu Gudrun, die die Szene mit glücklichem Lächeln verfolgt hatte. »Die Kleine ist ja ganz bezaubernd, Schwester Gudrun.«
Gudrun nickte. »Ja, das ist wahr. Ich bin auch von Herzen froh, daß ich sie habe. Aber nennen Sie mich doch bitte nicht mehr Schwester Gudrun. Das ist vorbei. Ich habe meinen Job ja inzwischen aufgegeben, wie Sie wohl wissen. Einfach nur Gudrun. Darf ich Ihnen etwas anbieten, Frau Werth? Kaffee vielleicht? Ich habe auch noch selbstgebackenen Kuchen.«
»Ja, gern, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Störe ich auch nicht? Ich hätte mich ja vielleicht doch besser vorher anmelden sollen.«
»Nein, nein, Sie stören überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich freue mich sehr über Ihren Besuch.«
Später saßen die beiden Frauen dann am nett gedeckten Kaffeetisch. Der frisch aufgebrühte Kaffee duftete, und der Kuchen war köstlich. Annika saß auf dem Boden und spielte selbstvergessen mit ihrem Hasen.
»Was ist passiert, Gudrun?« fragte Dorothee. »Warum haben Sie so plötzlich gekündigt? Ich will nicht neugierig sein, und Sie müssen es mir auch nicht sagen, wenn Sie nicht möchten, verstehen Sie, aber…«
»Mein Stiefvater hatte einen Herzinfarkt. Er ist noch im Krankenhaus, er hat überlebt, aber… Ich kann Annika nun nicht mehr bei meiner Mutter lassen. Das ist völlig unmöglich. Sie muß jetzt ganz für ihren Mann da sein.«
»Und wie soll es dann jetzt bei Ihnen weitergehen?«
Gudrun zuckte die Achseln. »Es ist das eingetreten, wovor ich mich gefürchtet habe. Ich kann nicht mehr arbeiten, ich muß für mein Kind sorgen. Da helfen keine Klagen und auch kein falscher Stolz, ich muß die Realität akzeptieren. Verstehen Sie mich nicht falsch, Frau Werth, ich bin eine glückliche Mutter und für nichts in der Welt würde ich mein Kind wieder hergeben, aber schwer ist es trotzdem.«
Dorothee nickte. »Ja, das glaube ich Ihnen gern, Gudrun. Ich glaube es Ihnen nicht nur, ich bin ja auch in einer ähnlichen Lage, darum kann ich es Ihnen gut nachfühlen.«
»In einer ähnlichen Lage? Sie?«
»Ja«, bestätigte Dorothee. »Ich… ich habe bisher in der Praxis noch nicht darüber gesprochen. Ich habe mich nämlich bereits vor einiger Zeit von meinem Mann getrennt, bin aus Südamerika, wo wir lebten, nach Deutschland zurückgekommen, habe mich hier auf das, was man wohl eine Affäre nennt, eingelassen… Nun ja, und die Schwangerschaft war natürlich nicht geplant. So stehe ich jetzt also vor einer Situation, die ich auch noch nicht so richtig zu meistern weiß. Zurück zu meinem Mann nach Santiago will ich auf keinen Fall, das Kind will ich natürlich, und ich will es auch behalten, wenn es geboren ist, und außerdem habe ich auch noch ein zusätzliches Problem, das ich zwar selbst reichlich albern finde, das ich trotzdem aber nicht leugnen kann und wobei ich noch nicht weiß, wie ich damit klarkommen soll.«
»Wollen Sie darüber reden, Frau Werth?«
Dorothee setzte ein schiefes Lächeln auf. »Ich bin ja wohl schon dabei. Es geht nämlich darum… also, es ist mir peinlich, in meinem Alter als alleinerziehende Mutter aufzutreten, wo ich doch eher die Großmutter sein könnte. Sehen Sie, Gudrun, Probleme gibt es überall. Auch da, wo man sie vielleicht nicht vermuten würde.«
Die junge Frau wirkte betroffen. »Ja, das hätte ich wirklich nicht vermutet, Frau Werth. Ich finde zwar, daß Sie Ihr Alter nicht zu wichtig nehmen sollten, aber andererseits weiß ich auch, daß man psychische Probleme durch Vernunft nicht einfach aus der Welt schaffen kann.«
»Sie sind die erste, mit der ich darüber gesprochen habe, Gudrun.«
»Danke für Ihr Vertrauen, Frau Werth. Reden und Aussprechen ist immer wichtig und hilft manchmal auch. Und wenn Sie es möchten, bin ich immer für Sie da. Ich kann zwar keine Probleme aus der Welt schaffen, aber zuhören kann ich immer.«
»Lieb von Ihnen«, lächelte Dorothee.
Aber dann wurde ihre ganze Aufmerksamkeit von Annika beansprucht. Die Kleine fand wohl, sie hätte lange genug mit ihrem Karinchen gespielt und kletterte nun entschlossen und zielstrebig wieder auf Dorothees Schoß. »Du sollst hierbleiben, Dote«, sagte sie bestimmt. »Ich mag dich. Und Karinchen mag dich auch. Du kannst auf mich aufpassen, wenn die