Zum Kontinent des eisigen Südens. Erich von Drygalski

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Zum Kontinent des eisigen Südens - Erich von Drygalski Edition Erdmann

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und Koettlitz hingegen konnten ihre besonderen Kenntnisse bei Scott weniger einbringen, weil sie nicht wie Drygalski oder Bruce die Position des Expeditionsleiters innehatten. Drygalski verstand es auch, alle Männer während des Winters zu beschäftigen. Die sinnlosen Versuche, das Schiff durch Hacken, Sägen und Sprengungen freizubekommen, dienten nebenbei ja auch dazu, den Männern an der frischen Luft Arbeit zu geben.

      In seinem Reisebericht stellte Drygalski respektvoll jedes Expeditionsmitglied vor, auch wenn es sich nur um einen Heizer handelte, denn jeder hatte in seinem Bereich zum Gelingen der Expedition beigetragen. Wenn er besondere Fähigkeiten zeigte, wurden sie ebenfalls genutzt, unabhängig von Rang und Ausbildung. Beispielsweise erwies sich der 19-jährige blinde Passagier Lennart Reuterskjöld als Glücksfall, der sich hervorragend als Bidlingmaiers Assistent für die diffizilen magnetischen Messungen eignete. Zudem legte Drygalski eine natürliche Autorität an den Tag, der sich alle bereitwillig unterwarfen. Nur das Verhältnis zum Kapitän war wegen der besonderen Machtverhältnisse etwas komplizierter. Es gab zwar sogenannte »Stimmungen« an Bord, insbesondere als man nicht wusste, ob das Schiff nach einem Jahr der Gefangenschaft im Eis wieder freikäme, aber es gelang Drygalski immer, durch geeignete gemeinsame Feste die Stimmung wieder anzuheben. Daneben wurde auch etwas für die Fortbildung der Männer getan, indem verschiedene Vorträge zu wissenschaftlichen und technischen Themen aus dem Umkreis der Expedition gegeben wurden. Zur Abwechslung konnten die Expeditionsmitglieder in ihrer Freizeit auch kleinere Schlittenreisen durchführen. So wuchsen die »Gauß«-Männer immer mehr zusammen. Nicht nur unter den Wissenschaftlern wie Drygalski, Gazert und Bidlingmaier entstanden lebenslange Bindungen, sondern beispielsweise auch zwischen Gazert und dem Steward Besenbrock.

      Nach 52 Wochen kam der »Gauß« endlich wieder frei und nahm Kurs auf das nächste Telegrafenamt in Südafrika, um mit dem Bericht über die erfolgreiche Expedition die Aussendung einer Hilfsexpedition nach dem 1. Juni 1903 zu verhindern. Außerdem wollte Drygalski nach einem Wechsel in der Mannschaft mit neuen Instrumenten ein zweites Mal nach Süden vordringen.

      Ohne dass Drygalski in der Antarktis davon erfahren konnte, war die Internationale Meteorologisch-magnetische Kooperation inzwischen um ein weiteres Jahr bis 1904 verlängert worden, weil es die Aussicht gab, noch mehr gleichzeitige Messdaten aus dem Süden zu erhalten. Die ozeanographisch ausgerichtete Scottish National Antarctic Expedition war nämlich erst 1902 in das Weddellmeer aufgebrochen und überwinterte 1903 auf Laurie Island, einer der Südorkney Inseln. Dort unterhielt sie für ein Jahr eine Wetterstation, die anschließend dem argentinischen Wetterdienst übergeben wurde und nun die längste Aufzeichnung von Wetterdaten aus der Subantarktis liefert. Zusätzlich war eine unabhängige Basisstation auf Cape Pembroke, Falkland Islands tätig. Außerdem musste die britische Expedition nochmals überwintern, weil die »Discovery« im Rossmeer immer noch vom Eis festgesetzt war. Schließlich war auch eine französische Expedition unter der Leitung von Jean-Baptiste Charcot (1867–1936) zur Antarktischen Halbinsel unterwegs, um dort ein umfassendes Forschungsprogramm durchzuführen. Hätte Drygalski von der Verlängerung der Messperiode gewusst, wäre er vielleicht nicht nach Kapstadt gesegelt, sondern hätte gleich seine Forschungen weiter westlich fortgesetzt.

      In der Zwischenzeit hatte das Entsatzschiff »Morning« Scott nicht nur neuen Proviant und Ausrüstung geliefert, sondern neben einigen abgeschobenen Expeditionsteilnehmern wie Ernest Shackleton auch die Nachricht mit heimgebracht, dass Scott am 30. Dezember 1902 bis auf 82° 17' S vorgedrungen sei. Aufgrund dieser Mitteilung wurde über Drygalskis Expedition in Abwesenheit das Urteil gefällt. Kaiser Wilhelm II. war zutiefst enttäuscht, denn der politische Rivale hatte die britische Flagge in die Nähe des Südpols gesetzt, während der eigene Vertreter es nur bis zum Polarkreis geschafft hatte. Dass dort aber ein Jahr lang hervorragende Beobachtungen durchgeführt und Sammlungen angelegt worden waren, spielte hierbei überhaupt keine Rolle, da sie ja erst noch jahrelang ausgewertet werden mussten. Aber nahe dem Südpol eine Stecknadel in das Weiß einer Landkarte zu stecken, war ein unschlagbares Argument für den geographischen Erfolg einer Entdeckungsfahrt.

      Drygalski selbst hatte nie zum Südpol gelangen wollen und hätte ihn von seinem Ausgangspunkt bei 66° S auch gar nicht so leicht erreichen können wie Scott, dessen Winterlager auf der Ross Insel bei 77° 51' S dem Pol wesentlich näher lag. Auch war Drygalski zu sehr Wissenschaftler, als dass er kontinuierliche systematische Untersuchungen zugunsten langer Schlittenreisen auf einer eintönigen eisigen Hochebene unterbrochen hätte, die keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn erwarten ließen. Aber allein schon der Name »Südpolarexpedition« implizierte für jeden den Südpol als Ziel der Unternehmung. Auch die zum weiteren Gelderwerb produzierten Grußpostkarten mit der Inschrift »Deutsche Südpolar-Expedition« wirkten in diese Richtung. Eine der Postkarten zeigte sogar eine Boje, auf deren Fähnchen »Zum Südpol« stand. Es wundert nicht, dass alle erwarteten, Drygalski würde hohe Breiten anstreben. Als dies nicht geschah, wurde die Expedition wie eine heiße Kartoffel mit dem Urteil fallen gelassen, dass ja nichts dabei herausgekommen sei. Offiziell wurde Drygalski wegen mangelnder Geldmittel die Heimreise und damit der Abbruch aller weiteren Expeditionspläne befohlen. In seiner Reisebeschreibung reflektierte er ausführlich über alle wichtigen Entscheidungen und seine Beweggründe dafür, um insbesondere darzustellen, dass die Kerguelenroute, die ihn zur Überwinterung am Polarkreis gezwungen hatte, nicht seine Idee gewesen sei. Den Ausführungen im letzten Kapitel seines Buches ist deutlich zu entnehmen, dass er von der fehlenden Anerkennung der wissenschaftlichen Leistung seiner Expedition sehr enttäuscht war. Davon abgesehen gab er noch Verbesserungsvorschläge für ozeanographische Messmethoden und die Ausrüstung für Untersuchungen in polaren und tropischen Gewässern, damit spätere Expeditionen auf seine Erfahrungen zurückgreifen konnten.

      1904 bezog Drygalski in kleines Büro im Gebäude des Reichsministeriums des Innern in Berlin, wo er mit der Organisation der Auswertung begann. Insgesamt kümmerten sich 16 Wissenschaftler um die astronomischen, geographischen, geologischen, magnetischen, medizinischen, meteorologischen und ozeanographischen Daten, während sich 89 Wissenschaftler den biologischen Sammlungen widmeten. 1906 wechselte Drygalski von Berlin nach München, wo er der erste Lehrstuhlinhaber für Geographie an der Ludwig-Maximilians-Universität wurde. Er schaffte es, trotz mehrerer Regierungswechsel und der vierjährigen Unterbrechung durch den Ersten Weltkrieg immer wieder, Geld für die Herausgabe der Ergebnisse vom Reichsministerium des Innern zu erhalten. 1932, gerade noch rechtzeitig vor dem nächsten Regierungswechsel, wurde das Südpolarwerk bestehend aus zwanzig Bänden und zwei Atlanten beendet.

      Ursprünglich waren zehn Textbände vorgesehen und zwei Atlanten für die meteorologischen und erdmagnetischen Karten. Statt der zwei geplanten Bände für die Zoologie wurden insgesamt zwölf Bände publiziert, um die 4030 gesammelten Arten zu beschreiben, darunter 1470 neue Arten. Man war völlig überrascht, dass es bei den tiefen Temperaturen im Polarmeer so viel Leben gab. Vanhöffen wollte noch den ersten Vergleich zwischen arktischer und antarktischer Fauna und Flora anstellen, aber leider wurde dieses Projekt durch seinen Tod im Jahr 1918 verhindert. Als Gazert 1914 den Bericht über die Beriberifälle auf den Kerguelen herausgab, konnte er den Vitamin-B Mangel als richtige Ursache nennen, weil zwei Jahre zuvor das Beriberi-Vitamin (Vitamin-B) entdeckt worden war. Die Ergebnisse der Internationalen Meteorologischen Kooperation wurden ab 1909 publiziert. Für die Bearbeitung der meteorologischen Daten lagen aus der gesamten Messperiode von 913 Tagen 100 000 Datensätze mit etwa 600 000 Einzelbeobachtungen von allen verfügbaren Stationen vor. Aus der Analyse der Luftdruck- und Temperatur- und Winddatendaten konnte die mutmaßliche Höhe des antarktischen Kontinents zu 2000 ± 200 m abgeschätzt werden. Für die verschiedenartigen synoptischen Wetterkarten des meteorologischen Atlasses mussten ohne Computer aus allen Luftdruckwerten 913 Tagesmittelwerte, 30 Monatsmittelwerte, acht saisonale Mittelwerte und zwei Jahresmittelwerte berechnet werden. Diese Wetterkarten kamen ab 1911 heraus und sollten der Seewarte in Hamburg dazu dienen, die Zugbahnen der südpolaren Tiefdruckgebiete für den Seeweg um Kap Hoorn besser vorhersagen zu können. Durch Eröffnung des Panamakanals verloren die Karten jedoch an Bedeutung. Die Beobachtung der Südlichter bestätigte den Zusammenhang mit den kurzperiodischen Störungen des Erdmagnetfeldes. Zudem entwickelte Bidlingmaier auf der Rückreise einen Doppelkompass zur Bestimmung der Horizontal-Intensität des Erdmagnetfeldes,

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