Das österreichische Antlitz: Essays. Felix Salten

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Das österreichische Antlitz: Essays - Felix Salten

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oftmals recht groteske Gestalten, wie Eugen Kirchner sie zeichnet. Vor Jahren ging hier als ein hagerer Jüngling Paderewski umher, mit einem dünnen, langen Hals, aus dessen Magerkeit der Kehlkopf wie ein halbverschluckter Bissen hervorstach. Sein Gesicht trug die vielen Sommersprossen der Rothaarigen und er hatte einen roten Schopf, der ihm verzweifelt in die Höhe stand, dann bis tief zur Nase ins Gesicht herein wuchtete und sich ausnahm wie ein Hahnenkamm. Zuletzt etliche deutsche Brüder und Schwestern aus dem Reich, die erheblich schnarren. Endlich die beweglichen Wiener Judenmädel und die Wiener Christenmädel, von denen wieder manche sehr hausmeisterisch aussehen und manche wie Erzherzoginnen.

      Alle aber sind vom gleichen Feuer entzündet; allen ist der heiße Ehrgeiz von den Zügen abzulesen, das angespannte, mühevolle Streben, allen merkt man die harte Arbeit vieler Stunden an, das Ringen mit dem eigenen Wesen, mit den tückischen Problemen der Technik. Und alle sind erregt, als seien definitive Entscheidungen zu erwarten. Es ist ganz merkwürdig, wie alle miteinander befangen werden, wenn einer ans Klavier gerufen wird. Dieses Mitfühlen ist stärker als persönliche Gegensätze, stärker als vereinzeltes Übelwollen. Wie durch einen elektrischen Kontakt sind sie alle sofort mit dem einen verbunden, der aus ihrer Reihe vor den Lehrer treten muß, und sie zittern mit ihm, haben mit ihm Lampenfieber. Aus der Schule her wird man sich erinnern, wie durch die ganze Klasse immer ein Beben geht, wenn ein strenger Professor prüft. Die Kinder vergessen allen Streit und wünschen auch dem feindlichen Kameraden in diesen schweren Minuten jegliches Glück. Niemals fühlt man das Ta twam asi naiver und stärker als in solchen frühen Augenblicken. Hier aber ist doch noch ein wesentlicher Unterschied, denn neben der Anteilnahme regt hier sich in allen Hörern auch sofort die Strenge mit dazu. Die Ansprüche sind hoch; man ist verwöhnt, hier in diesem kleinen roten Kottagehaus, wo seit fünfundzwanzig Jahren alle großen Künstler, die nach Wien kamen, ihr Können zeigten, hier wo die Wände die allerbeste und die allerhöchste Musik seit einem Vierteljahrhundert vernehmen. Dieses ganze Haus ist von oben bis unten erfüllt von einer klingenden großen Tradition und in diesen Räumen hier sind die edelsten Weisen verhallt, die in der Welt nur unter edelsten Künstlerhänden ertönen. Drei, vier Virtuosengenerationen haben von hier ihren Ausgang genommen, sind über die ganze Erde gewandert, da und dort verschollen, am Wege gestorben oder mit Ruhm, Ehre und Reichtum beladen in das kleine Haus im Kottage zurückgekehrt, um hier vor dem alten Lehrer und den neuen Schülern ihren Ruf, ihre Entwicklung und ihre Reife bestätigen zu lassen.

      Wenn so ein junger Mann oder ein junges Mädchen während der kurzen Schritte zum Klavier sich an diese Dinge erinnerte, dann müßte das bißchen Courage freilich zusammenschnappen. Meistens aber denken sie an gar nichts als an ihr Stück, an dessen schwierige Stellen, und nur daran, daß »der Professor« da ist und sie anhört. Da kommt eine hübsche Engländerin. Das rostrote Haar umgibt ihr Haupt wie ein brennender Schein. Sie spielt scheinbar ohne körperliche Anstrengung; aber mit niedergeschlagenen Augen beaufsichtigt sie den Lauf der Finger über die Tasten. Ihre lächelnden Mienen werden ernster und ernster, ihre Mundwinkel zucken leise, und allmählich steigt eine sanfte Röte über den Saum ihres Kragens herauf zu den Wangen, zur Schläfe, und färbt ihr blasses Gesicht. Während die Leute applaudieren, tritt sie sofort zu Leschetitzky, lachend, eilig, als flüchte sie zu ihm nach einer glücklich überstandenen Gefahr. Dann, nachdem sie eine Silbe erhascht hat, verschwindet sie. Schon sitzt auch eine andere am Flügel. Ein kleines, blühendes Ding, eine Wienerin rotwangig und frisch, aber mit kurzsichtigen Augen und mit willensstarken, geschlossenen Zügen, aus denen nichts anderes als Fleiß, Entschiedenheit und sichere Ruhe spricht. Sie stößt mit sprungartigen Bewegungen in die Tasten, hält sich verkauert, fährt zurück und schießt gleich wieder mit aller Heftigkeit los, die Arme wie Krallen vorgestreckt, den Kopf geduckt, so daß man bei ihren Sprüngen unwillkürlich an ein kämpfendes Huhn denkt. Sie scheint nichts zu hören, nichts zu fühlen, nichts zu sehen. Zum Schluß aber tritt sie sofort, des Beifalls nicht achtend, zu Leschetitzky, aufatmend, lachend, eilig, als flüchte auch sie zu ihm nach einer glücklich überstandenen Gefahr. Alle wenden sich ihm so zu, wenn sie fertig sind; alle haben die gleiche Art, zu ihm zu flüchten, einen Augenblick lächelnd, aufatmend vor ihm zu stehen und dann zu verschwinden. Jetzt sitzt ein sehr bleicher, sehr englisch aussehender junger Mann am Flügel, der das Zittern seiner Unterlippe nicht beherrschen kann, der wie bewußtlos vor sich hinstarrt, und der doch unter dem Zwange des Augenblicks alles aus sich herausholt, was an Talent, an technischer Sicherheit und durchdachter Auffassung in ihm bereit lag. Dann kommt eine bildschöne Russin, die sehr ruhig scheint. Ihr elfenbeinschimmerndes Gesicht färbt sich nicht höher, nur den kleinen Mund preßt sie heftig zusammen und ihre Nasenflügel beben, während sie mit ihren dunklen, großen Augen die Leute anblitzt. Nach ihr eine Amerikanerin, die sich im Sessel wie in einem Sattel wiegt, die gütig den Kopf zur Seite neigt, zur Klaviatur herabnickt, als könne sanftes Zureden helfen. Dann wieder ein sehr ernster Mann mit einer Rubinsteinfrisur und – wenn man so gut sein will – mit einem Rubinsteingesicht, der hier nur gastiert, und der sein Lampenfieber hinter einer düsteren Entschlossenheit zu bergen trachtet. Dann ein Kind von vierzehn Jahren. American Girl, nicht eben schön. Ein bißchen dick in ihrem kurzen weißen Kleid, ein bißchen breitnasig und ein bißchen zu vollwangig. Spielt aber, als ob sie allein sei und nach keinem Menschen zu fragen hätte; den Kopf weit zurückgeworfen, Verzückung in den Mienen, die großen hellen Augen, die manchmal zu jauchzen scheinen, aufwärts gerichtet, und ist völlig eingehüllt in ihrer Musik wie in einer kleinen Wolke von Begeisterung.

      Über all dieser Entfaltung von Talent, Energie, Ehrgeiz und Fleiß wacht der weißbärtige alte Herr, der mit seinen weißen, russisch geschnittenen Haaren, mit der gemütlichen Nase und den schwimmenden, verkniffenen, vergnügten blauen Augen wie ein Muschik aussieht. Rosig und frisch im ganzen Gesicht, bis unter die Haarwurzeln rosig, ist er voll Elastizität, voll Temperament und Nerven, scheint aus der musizierenden Jugend, die ihn beständig wie ein Choral des Lebens umgibt, immer neue Erquickung, immer neue Frische zu schöpfen. Mit der Präzision eines Thermometers und mit derselben Empfindlichkeit reagiert sein Kunstgefühl auf jeden Ton, der sein Ohr erreicht. Andere ermüden, seine Aufnahmefähigkeit aber wächst von Stunde zu Stunde und ermattet nicht. Gelingt etwas so recht nach seinem Willen, dann lachen seine Augen, sein Mund, seine Wangen; alles an ihm lacht, auch sein Herz: das sieht man sehr gut. Und in solchen Augenblicken ebenso wie in Momenten des Zornes, der Ungeduld kann man wahrnehmen, wie durch und durch künstlerisch das Wesen dieses Mannes ist und wie groß seine Gabe, sich zwingend, deutlich, überzeugend mitzuteilen. Oft und oft setzt er sich an das zweite Klavier, wenn der Vortrag des Spielenden ungleich, oberflächlich, verwischend wird, oder wenn's am Rhythmus oder an der dynamischen Wirkung hapert. Dann begleitet er nach seiner Weise den Schüler ein Stück des Weges, reißt ihn schneller mit sich fort, oder hält ihn zügelnd zurück, oder gibt einer Cantilene mehr Weichheit, hilft einem Thema zum plastischen Ausdruck und läßt dann den wider Willen Geleiteten allein weiter laufen. Oder er fährt wütend dazwischen, schickt die Vortragende unter heftigen Scheltworten vom Klavier weg und erlaubt ihr erst auf inständiges Bitten das Weiterspielen. Und da ist es oft rührend, wie so ein junges Ding nun seine ganze Aufmerksamkeit in beide Hände nimmt, um das glückliche Ende zu erreichen. Niemand wundert sich über solche Zwischenfälle, niemand von den Betroffenen zeigt falsche Scham. Alle wissen ja, daß sie hier eigentlich nur für ihn allein spielen, und nicht für die anderen hundert Menschen, die zufällig dabei sind.

      Wie ein vielmögender Pförtner an der Schwelle des Ruhmes steht er vor dieser andrängenden, stürmisch den Einlaß begehrenden Jugend, die er durch sein Künstlertum beherrscht, durch den Glanz einer großen Vergangenheit und durch den Scharme einer immer sprudelnden, immer lebendigen und verheißungsvollen Gegenwart. Es ist ein hervortretender Zug im Wesen Leschetitzkys, daß er Festlichkeit um sich verbreitet. Damit lockt er und wirkt er wohl am meisten. All seine Wissenschaft und Erkenntnis würde ihm die Menschen nicht zuführen und könnte den Menschen nichts nützen, wenn er zufällig ein Schulmeister wäre und kein Künstler, wenn sein Ernst trocken wäre und er dieses strömende, zum Wohlsein und zur Feiertagslaune geneigte Temperament nicht besäße. Denn nie ist ein Schulmeister geliebt worden, und es ist kein Schaffen möglich ohne Heiterkeit des Herzens und festlich gestimmte Laune.

      Stünde dieses kleine Haus in Graz, in Magdeburg oder in Düsseldorf, man würde sich beeilen, von Wien

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