Das österreichische Antlitz: Essays. Felix Salten

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Das österreichische Antlitz: Essays - Felix Salten

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wurden. Sie kamen bald darauf nochmals zum Vorschein, offenbar hatten sie so geschwind den ganzen Saal durchmessen. Sie, eine kleine, dicke, nicht mehr ganz jugendliche Person. Er, ein baumlanger Kerl, im Ruderleibchen und grauen Rock. Er mußte sich tief herabbücken, seine Dame um die Taille zu fassen, und so, in dieser anscheinend qualvollen Haltung, die einer andauernden, devoten Verbeugung glich, schwang er sich wie ein gepeitschter Kreisel. Ganz in meiner Nähe fielen sie plötzlich, wie hingeschleudert, auf eine Bank, mit todblassen, benommenen Mienen, nach einer Sekunde aber sprangen sie wieder auf und wirbelten mit derselben, unbegreiflichen Schnelligkeit weiter. Noch einige Male kamen sie also angesaust, und es war auffallend, wie wenig sie sich in solchen Pausen umeinander scherten, da sie doch, tanzend, so begeistert zusammenhielten. Wie nach einer Krankheit saßen sie da, machten verstörte Augen, bis es sie wiederum ergriff und emporriß. Ein Pärchen erzwang sich die Aufmerksamkeit, weil es sehr künstlich tanzte; bald nach rechts, bald nach links, bald geradeaus nach vorwärts, bald zurück. Dabei hatte sie ein gänzlich mißlungenes Gesicht, darin, wie bei einem geborstenen Schränkchen, durchaus nichts klappen wollte, weder Mund noch Augen. Und er war ein bißchen schief von Wuchs, hatte einen ärmlichen, farblosen Bart, schielte ein wenig, und seine geringfügige Nase nahm sich unter einer dicken Hornbrille sehr gedemütigt aus. Aber beiden konnte man die Anständigkeit sogleich anmerken, und so tanzten sie auch: treu, ehrlich und fleißig, versäumten keine Figur, ließen sich keine Nachlässigkeit zuschulden kommen und hatten eine sachliche Freude des Gelingens, in der ihr gedrücktes Selbstbewußtsein frei wurde. Sorgloser gingen zwei andere zu Werke, die mit ruckweisen Drehungen im Tanze sich schwangen; die Köpfe weit zurückgebogen, daß sie einander beständig ins Antlitz schauen konnten. Und beständig lachten sie, als ob ein prächtiger Scherz ihnen von einem Mund zum andern ginge. Dabei sagten sie kein Wort, redeten nur mit den lachenden Augen, und das war wie ein Spiel fröhlicher Kinder.

      Überhaupt war in allen diese kindergleiche, vollkommene Hingabe an die Freude, und diesem tanzenden Gewühl entströmte eine unaussprechliche Glückseligkeit, mühelos verlockt, hingerissen und entfacht von ein paar Walzertakten und etlichen Trommelschlägen. Und die erwachende Sinneslust schlug die Harmlosigkeit hier keineswegs nieder. Vielmehr wurde all das Begehren, davon die Atmosphäre bebte, ins Unschuldige gerückt, da es so aufrichtig und mit solcher Selbstverständlichkeit sich äußerte. Was hier die Arme umeinanderschlang, das liebte sich, gleichviel, ob vorher schon oder jetzt erst, aber es gab keine andere Veranlassung zum Tanz als die Liebe. Sie tanzten mitsammen, weil sie sich liebten, und sie liebten sich, weil sie mitsammen tanzten.

      Zwei Soldaten waren hereingekommen und standen neben mir. Artilleristen. Der eine von ihnen, aufragend und in der Fülle seiner Kraft, »schön wie ein junger Gott«, mit blauen, fröhlich leuchtenden Siegeraugen. Der andere schwächlich, von der Uniform fast erdrückt, und mit verprügelten Mienen. Ein hübsches blondes Mädchen sprang ihnen entgegen, flog mit ausgebreiteten Armen auf den schönen Burschen zu und küßte ihn, munter, herzlich, vergnügt. Er ließ sichs gefallen und meinte nur, auf den Kameraden deutend: »Dem gibst d' a a Bußl!« Sie zögerte keinen Moment, lächelte, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte den Verprügelten. Dann wartete sie, daß der Schöne sie zum Tanze führe. Der aber schaute gelassen umher, achtete ihrer kaum. Er war nicht in der Geberlaune. So ließ sie sich denn vom andern umfangen.

      Ein Ländler begann, eine kleine, bescheidene Melodie, die sich zufrieden im Kreise um sich selbst drehte, dann wieder innehielt, um sich gleich wieder gutgelaunt weiterzuschwingen. Und jetzt waren die Großstadtkinder und die vom Lande Zugereisten deutlich zu unterscheiden. Für die einen war's eben nur wieder ein Walzer, die anderen aber fingen an, sich in kleinen Gehschritten kirchweihmäßig zu wiegen, in jener ernsthaften Ruhe, mit der die Bauern den Tanz als eine feierliche Arbeit traktieren, und das Bauerng'wand schien unter mancher Uniform jetzt sichtbar zu werden. Ein Juchschrei flog da und dort empor, der Erinnerung an das ferne Dorf entstiegen, Händeklatschen, mühevolle Verschlingungen. Heimatkunst, in bescheidener Munterkeit verrichtet.

      Inmitten dieser stampfenden, jubelnden, lachenden und liebenden Jugendseligkeit regt sich der Wunsch, hier nicht als Fremder stehen zu müssen, nicht wie nach fremden Tieren auf diejenigen zu schauen, die in Ursprünglichkeit und ungebrochener Lust genießen, nicht in Grübelei und nachdenklichem Zögern den Inhalt froher Stunden zu messen, sondern Anteil nehmen zu können, besinnungslos und ohne Rückhalt. Und da erträumt sich die Phantasie einen jungen Menschen, der, in allen Finessen des Geistes, des Wissens und der Kultur geschmeidig, dennoch so viel Schnellkraft sich bewahrt, daß er den Subtilen gelegentlich entwischt, seinen Lebensunband hierher zu tragen, der untertaucht in diesem dampfenden Tumult einfältiger Urtriebe, und dann neugebadet zurückkehrt zu den anderen, die nur beziehungsweise Wehmut kennen und vieldeutige Sentimentalität.

      Schon dem Ausgange zugewendet, erblicke ich meine Bekannte vom Ringelspiel wieder. Sie walzt jetzt mit ihrem Burschen, ihr hübsches Gesicht ist dunkelrot geworden und hat denselben Ausdruck von Versunkenheit wie vorhin, da sie auf dem hölzernen Schaukelpferd saß. Hier aber fällt sie gar nicht auf, denn hier gleicht sie völlig den anderen, denen das Leben und die Jugend noch so überaus einfach geblieben: Man arbeitet erst und geht dann tanzen. Saure Wochen, frohe Feste.

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