Das österreichische Antlitz: Essays. Felix Salten

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Das österreichische Antlitz: Essays - Felix Salten

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Ernst in den Augen und einem frommen, strengen Harm auf den eingefallenen Wangen. Noch einer fiel mir im zweiten Bild auf: der Pierrot. Ein schöner, feingeschnittener Kopf. So geisterhaft beschattete, gleichsam gehöhlte Züge, daß man an die wunderbaren Pierrots denken mußte, die Willette gezeichnet hat. Dieses Bild brachte ein bewegliches Kindermenuett. Ein Halbdutzend winziger Prinzessinnen und Komtessen und, das muß wahr sein, sie haben wie die kleinen Ladstöcke getanzt. Aber lustig war's doch, wie an den Kindern gewisse Unterschiede am schärfsten merkbar wurden. Wie die einen nämlich, von ihrer Angst, von ihrer Befangenheit und von ihrem Ehrgeiz hypnotisiert, nur mehr automatisch sich rührten, indessen die anderen mit einer großartigen Gleichgültigkeit, mit absoluter Ruhe ihre Schritte und Knickse taten, unbekümmert, ob's gut sei oder schlecht, und als dächten sie: hier tanzt die Prinzessin Mimi – das genügt! Es waren dann im Schubert-Bild ein paar niedliche Mädchen zu sehen, von einem kleinbürgerlichen Typus, der unsere Vertraulichkeit nicht gar zu sehr entfernt. Und ein blonder Jüngling war bei ihnen, von der Schlankheit und federnden Grazie russischer Windspiele, dazu mit Augen, die so vergißmeinnichtblau schimmerten wie Schubertsche Lieder. Die Schubertschen Lieder aber sang ein Sänger – und die Wohltätigkeit ist wohltätig genug, seine Kunst zu schirmen. So wie er jedoch müßte der Bellac im Burgtheater aussehen, und im »Probepfeil« der Krasinski sollte sich eine solche Maske nehmen und ein Schubertlied als Einlage singen. Das gäbe einen Sturm. Weniger empfehlenswert für die Burg wären die spanischen Messerhelden, die man hernach zu sehen bekam, und die spanische Donna, die an der Leiche des gemordeten Liebsten ein so gemütliches Entsetzen, eine so gänzlich nebensächliche Verzweiflung agierte. Dann aber kam das letzte Bild, wo in der Tiefe des Ozeans der bärtige Freiherr mit dem »Jägerg'müat« als Neptun auf dem Throne saß und eine frappante Ähnlichkeit mit dem Pikkönig hatte, wo auf dem Meeresgrund ein weiblicher Leibhusar von pausbackiger Feschheit der Wassermajestät zur Seite stand, wo ein Hofnarr so hochmütig und schlecht gelaunt sein glattes, junges Antlitz in Falten zog, als sei er beim Demel oder im Café Pucher, wo ein Vierteldutzend adelige Frauen mit all der Sicherheit posierten, die ein fabelhafter Perlen- und Diamantenschatz der Seele verleiht, wo inmitten der Meeresgötter ein befrackter Baßgeiger erschien, der prachtvoll spielte, der aber mit all seiner Musik die Dissonanz zwischen seinem Frack und den Märchengewändern der übrigen nicht aufzulösen vermochte, und wo endlich – auch im Frack – Alfred Grünfeld kam, um mit Schuberts silbern tönender »Forelle« der fürnehmen Mummerei ein willkommenes Ende zu bereiten.

      Man möchte vorschlagen: lasset die Aristokraten Karussels veranstalten. Niemand vermag ihnen das gleichzutun. Zu Pferde, in allen Künsten des Sattels und der Zügel, im Glanz ererbter herrlicher Kostüme werden sie uns Schauspiele geben können, die nur der Adel zu geben vermag, werden eine künstlerische, ja, gewiß eine berauschende Augenweide bieten, für die man ihnen wird danken müssen. Der Mensch, auch der vom Baron aufwärts, sollte immer nur das tun, wozu er Talent hat. Das Komödiespielen aber, das jetzt im Schwang ist, bleibt doch stets ein arges Dilettieren, das durch die vielen edlen Namen nur prätentiös wird, von seinen Mängeln aber, von seinen menschlichen und von seinen Geschmacksmängeln nichts verliert. Den namenlosen Zuschauern möchte man sagen: Habt ihr denn wirklich so viel von einer Vorstellung, in die ihr nur euren Snobismus mitnehmt? Und fühlt denn der Snobismus selbst sich nicht beschämt, da jeder Bürgerliche doch empfinden muß, bei einem Haustheater zu sein, in einem Hause, dessen Insassen euch sonst nie einlassen würden, und die in eurer Gegenwart fortfahren, sich untereinander zu vergnügen. Aber den Snobismus scheint das gar nicht zu genieren. Den Aristokraten scheint es Spaß zu machen, wenn die Unzulänglichkeit ein gesellschaftliches Ereignis wird. Die öffentliche Meinung dienert im Kartell vor dero leutselig Pläsier, und da schließlich doch ein bißchen Geld an fromme Vereine kommt, muß man die Dinge gehen lassen, wie sie gehen. Es ist nicht das Schlimmste, es ist nicht das Wichtigste, und die Mehrzahl der Menschen hat andere Sorgen.

       Inhaltsverzeichnis

      Ein Liebespaar hat mich zum Fünfkreuzertanz geführt. Sie war mir schon früher beim Ringelspiel aufgefallen, wo sie rasch eintrat und sich augenblicklich auf ein Pferd schwang, mit so viel Entschlossenheit, als wollte sie sagen: Von der Arbeit zum Vergnügen, das muß eben sein! Dann nahm sie sich in der verwaschenen Bluse und dem weißen Kopftuch, hoch zu Roß, sonderbar genug aus. Und wie das Ringeln anfing, schaute jedermann nach ihr, weil ihr hübsches Gesicht und ihre ganze Haltung solch ein leidenschaftliches Genießen, so tiefe Versunkenheit aussprach, so viel körperliche Hingabe und dabei so überraschenden Ernst. Man merkte, daß sie sich vollständig allein fühlte, daß die anderen Leute für sie nicht existierten. Später, als ich sie dann wiedersah, war sie freilich nicht mehr allein.

      Ich vernahm, wie ein Budenausrufer mit einer wahrhaft tobenden Stimme von der Dame ohne Unterleib behauptete, sie sei das süße Mädel. Da blieb ich denn im Menschenschwarme stehen, um zu hören, wie der Mann seine immerhin schwierige Sache verfechten werde; und hier erblickte ich die Reiterin von früher wieder. Sie hing jetzt am Arme ihres Liebsten, den Kopf an seine Schulter gelehnt, während er, die Soldatenmütze weit zurückgeschoben, mit seinem jungen Antlitz, gläubig lächelnd, zu dem Ausrufer und zur Dame ohne Unterleib emporblickte. Ein Dritter kam herzu, und ich meinte zuerst, es sei ein Bekannter. Nur schien es mir sonderbar, daß der Mann barhaupt im Prater herumgehe. Es ergab sich jedoch, daß es gleichfalls ein Ausrufer war, ein Gehilfe sozusagen. Eigentlich aber noch ein blutiger Anfänger, denn er machte keine Späße; er sah auch gar nicht danach aus, als sei er zu Scherzen aufgelegt, und er war offenbar noch zu schüchtern, um laut zu allem Volk zu sprechen. Deshalb begnügte er sich einstweilen damit, sich an die einzelnen zu wenden und ihnen ganz privatim die Vorteile auseinanderzusetzen, die der Besuch der Bude ihnen bringen würde. Dabei sprach er sehr leise, und wenn auch mit enormer Wichtigkeit, so doch sichtlich verschämt. Das Liebespaar hörte ihn ebenfalls sehr befangen an. Nie habe ich drei Leute in solcher Verlegenheit und so ratlos beisammen gesehen. Unwillkürlich nahm ich Anteil an dieser heillosen Situation und war auf den Ausgang beinah ängstlich gespannt. Die Reiterin aber führte die Geschichte rücksichtslos zu Ende, indem sie ihren Burschen an der Hand nahm und wegging. Ganz einfach. Da folgte ich den beiden, die jetzt rasch dahinschritten, neugierig, das Vergnügungsprogramm dieses entschlossenen Mädchens kennen zu lernen. Sie eilten zum Tanz.

      Unzähligemal bin ich an schönen Sommerabenden im Prater bei diesen Fünfkreuzerbällen vorübergegangen; oder manchmal für einen Augenblick nur stehengeblieben, um auf das Gewühl da drinnen zu schauen, mit jenem flüchtigen töricht-überlegenen Lächeln, das man gewöhnlich für die Freuden der Einfachen bereit hat. Wahrscheinlich wäre ich auch heute wieder vorbeigegangen, wenn mich nicht die Lust angewandelt hätte, zu sehen, ob sie auch so leidenschaftlich tanzen werde, wie sie sich ringeln ließ, so hingegeben und so versunken.

      Unsicher und mit dem gewissen Lächeln stand ich im Saal, schaute in das dichte Getümmel, blickte in den großen, schmucklosen Raum umher und redete mir ein, daß mich die raucherfüllte Luft bedrücke, daß mir der Kleiderdunst lästig sei, der aufwirbelnde Staub, der scharfe Biergeruch, der Tumult so vieler schreiender Stimmen, das unbarmherzige Tosen der Blechmusik, und daß ich in zwei Minuten gehen werde.

      Meine Liebesleute suchte ich vergebens. Der Wirbel hatte sie verschlungen. Aber es fand sich Ersatz genug. Gleich das erste Paar, das sich für meinen irrenden Blick aus der Menge löste, fesselte mich im Nu. Sie tanzten langsam, einen schönen, sicheren Sechsschritt und hielten sich dabei umarmt, vielmehr sie hatten einander um den Hals gefaßt und drückten Wange an Wange. Beide waren hochrot im Gesicht, der Schweiß lief ihnen über die Stirn, des Mädchens Haare hatten sich gelöst, aber sie achteten dessen nicht. Sie hielten immerzu die Wangen gegeneinandergepreßt, beinahe Mund an Mund, und glitten dahin, wie in einer tiefen Erregung, so daß von ihrer Unbekümmertheit schier etwas Feierliches ausging. Ein zweites Paar kam wiegend und sacht sich drehend einher. Sie ganz frisch und goldblond und zart, und er beinahe riesenhaft, aber schlank, mit einem Flaumbart. Und sie reichte ihm kaum bis zur Brust, lag in seinen Armen mit einem grenzenlosen Vertrauen, die Augen geschlossen, wie schlafend, und er sah hoch über sie

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